Logo der NGO Amnesty International

Amnesty-Bericht: “Israel begeht Völkermord in Gaza”

Donnerstag, 05. Dezember 2024 | 12:07 Uhr

Von: apa

Ein neuer Bericht von Amnesty International wirft der israelischen Regierung und Armee “Völkermord” an Palästinensern in Gaza vor. Dabei wurden Aussagen von 212 Personen – darunter medizinisches Personal und Beamte der Verwaltung in Gaza – ausgewertet, dazu noch Satelliten-Bilder, Fotos und Aussagen israelischer Politiker und Militärs beigezogen. Israel wies den Bericht am Donnerstag als “völlig falsch” zurück.

“Unsere Recherchen ergeben, dass der israelische Staat Handlungen mit dem Vorsatz verübt, palästinensisches Leben im Gazastreifen auszulöschen”, erklärte Shoura Hashemi, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich, bei der Präsentation des 296 Seiten umfassenden Berichts mit dem Titel: “You feel like you are a subhuman – Israel’s Genocide against Palestinians in Gaza”. “Hierzu zählen Tötungen, die Verursachung schwerer körperlicher und seelischer Schäden sowie das vorsätzliche Herbeiführen von Lebensbedingungen, die auf die Vernichtung der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen abzielen”, so Hashemi.

Israel: Bericht beruht auf Lügen

“Die bedauernswerte und fanatische Organisation Amnesty International hat wieder einmal einen erfundenen Bericht vorgelegt, der völlig falsch ist und auf Lügen beruht”, erklärte das israelische Außenministerium laut Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag in einer Reaktion. Der beispiellose Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 sei “völkermörderisch” gewesen, hieß es weiter. Israel verteidige sich selbst, und handle damit “in voller Übereinstimmung mit dem internationalen Recht”.

Skeptisch zum Bericht äußerte sich auch Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). “Völkermord ist ein Völkerrechtstatbestand mit einer eigenen Konvention”, sagte Schallenberg am Donnerstag am Rande des OSZE-Ministerrats in Valletta. “Da gibt es ein Verfahren beim Internationalen Strafgerichtshof. Ich würde sagen, das soll dort entschieden werden, wo es hingehört, bei der internationalen Gerichtsbarkeit und nicht von NGOs als Vorwurf über Presseaussendungen, das ist der falsche Weg.”

Verweis auf UNO-Völkermordkonvention

Amnesty verwies auf Artikel 2 der UNO-Völkermordkonvention von 1948: Nach den Bestimmungen reichen für diesen Tatbestand schon bestimmte Handlungen aus, “die in der Absicht begangen (werden), eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören”. Nun sei ein Waffenstillstand rasch auszuhandeln. “Alle Vertragsstaaten der Genozid-Konvention, darunter auch Österreich, sind verpflichtet, dazu beizutragen, den Völkermord an PalästinenserInnen im Gazastreifen sofort zu stoppen”, forderte Hashemi.

Hussein Baoumi, Außenpolitik-Experte im Brüsseler Amnesty-Büro, wies auf die nach dem Überfall der Hamas-Terroristen auf Israel im Oktober 2023 von Israels Armee gestartete umfassende Vergeltungsaktion hin. 87 Prozent der Wohngebäude im Gazastreifen seien dabei zerstört oder schwer beschädigt worden. “Die Mehrheit der 2,2 Millionen Palästinenser ist seither gezwungen, in Zelten zu leben. Unterernährung hat vor allem unter Kindern zur Verbreitung von Seuchen und Krankheiten geführt.”

Versorgung im Gazastreifen blockiert

Israel hatte monatelang Transporte von Nahrungsmitteln, Medizin und Treibstoff blockiert oder massiv eingeschränkt. Dazu kam die Sperre von Wasserzufuhr und Strom. 90 Prozent der Palästinenser wurden von israelischen Militärbehörden aufgefordert, ihre Wohnungen zu verlassen und in Gebiete ohne ausreichende Versorgung zu flüchten, wobei sie auch dort Luftschlägen ausgesetzt waren.

Der Amnesty-Bericht will die durch die Völkermordkonvention geächteten Verbrechen der Tötung und schweren körperlichen und seelischen Schädigung anhand einer Untersuchung von 15 Luftangriffen der israelischen Luftwaffe zwischen Oktober 2023 und Ende April 2024 nachweisen. Dabei wurden mindestens 334 Zivilpersonen, darunter 141 Kinder, getötet und weitere hundert Menschen verletzt. Amnesty-Experten und befragte Personen konnten in diesen Fällen keine Beweise finden, dass diese Angriffe gegen militärische Ziele der Hamas gerichtet waren.

Baoumi wies auf eine Frage der APA darauf hin, dass selbst die Anwesenheit von vereinzelten Hamas-Kämpfern eine massive, vorsätzliche und unverhältnismäßige Bombardierung von Wohnvierteln nach dem Völkerrecht nicht zulassen würde. Tausende israelische Luftangriffe in Gaza hätten viele Todesopfer unter der Zivilbevölkerung verursacht. Knapp 60 Prozent der dabei umgekommenen 40.717 Opfer, die vom Gesundheitsministerium in Gaza bis zum 7. Oktober 2024 identifiziert wurden, waren Kinder, Frauen und ältere Personen.

“Unabhängig davon, ob Israel die Vernichtung der PalästinenserInnen als notwendig für die Auslöschung der Hamas oder als hinzunehmendes Nebenprodukt für das Erreichen dieses Ziels ansieht: Eine solche Betrachtung der PalästinenserInnen (…) ist an sich schon ein Nachweis für eine genozidale Absicht”, heißt es im Bericht von Amnesty. Dazu habe Israel im Gaza-Streifen “Lebensbedingungen für Palästinenser geschaffen, die längerfristig auf ihre Vernichtung abzielen”.

Zu Verbrechen der Hamas will Amnesty eigenen Bericht veröffentlichen

Amnesty geht in diesem Bericht nicht auf die Verbrechen der Hamas ein, die am 7. Oktober 2023 in Israel 1.200 Menschen ermordeten und 223 Zivilpersonen als Geisel entführten. Dazu soll Anfang 2025 ein eigener Bericht vorgestellt werden. Amnesty hat zu den Vorwürfen auch offizielle israelische Regierungsvertreter, Armee-Befehlshaber und Knesset-Abgeordnete befragt, aber nach eigenen Angaben keine Antwort erhalten.

Amnesty-Österreich-Chefin Hashemi richtet auch Forderungen an die österreichische Bundesregierung, die sich “von der einseitigen Solidarisierung mit Israel, so verständlich sie aus historischen Gründen auch erscheint”, verabschieden müsse. Außenminister Schallenberg sollte sich künftig mit Kritik an Entscheidungen des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) – wie den Haftbefehlen gegen Israels Premierminister Benjamin Netanyahu und Ex-Verteidigungsminister Yoav Gallant – zurückhalten, da Österreich Mitgliedsstaat des Strafgerichts sei und dessen Entscheide respektieren müsse. “Schallenberg könnte auch verstärkt auf die Bundesregierung in Deutschland einwirken, ihre Waffenlieferungen an Israel einzustellen”, schlug Hashemi vor.

S E R V I C E: Der Amnesty-Bericht im Internet: https://go.apa.at/quEyMN0D (PDF, Englisch)

Kommentare

Aktuell sind 2 Kommentare vorhanden

Kommentare anzeigen