Kämpfe sind heftig

Armee befreite vier Hamas-Geiseln – Hamas: 210 Tote

Samstag, 08. Juni 2024 | 18:41 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Israelische Spezialkräfte haben im Zentrum des Gazastreifens nach Armeeangaben vier Geiseln aus der Gewalt der Hamas gerettet. Die am 7. Oktober vom Nova-Musikfestival Entführten seien am Samstag bei zwei Einsätzen im Flüchtlingsviertel Nuseirat befreit worden, teilte das Militär mit. Es handelt sich demnach um eine 25 Jahre alte Frau und drei Männer im Alter von 21, 27 und 40 Jahren. Die Palästinenser im Gazastreifen über 200 Tote.

Mutmaßlich im Zusammenhang mit der israelischen Befreiungsaktion wurden nach Angaben einer Behörde der militanten Palästinenser-Organisation Hamas 210 Palästinenser getötet. In Nuseirat im Zentrum des Küstengebiets seien zudem rund 400 Menschen verletzt worden. Die Angaben ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde sowie medizinische Kreise im Gazastreifen hatten zuvor von 55 Toten gesprochen. Israels Armeesprecher Daniel Hagari wiederum sprach am Abend von weniger als 100 Todesopfern. “Ich weiß nicht, wie viele davon Terroristen sind”, sagte er.

Das Medienbüro der Hamas sprach von “einem beispiellosen, brutalen Angriff auf das Flüchtlingslager Nuseirat”. Das Al-Aqsa-Krankenhaus befinde sich in einer katastrophalen Lage. Berichten zufolge gab es heftige Luftangriffe und Artilleriebeschuss in der Gegend. Auf Aufnahmen, die Szenen aus dem behandelnden Krankenhaus zeigen sollen, sind blutüberströmte Opfer, Tote und verletzte Kinder zu sehen. Berichten zufolge soll in der Al-Aqsa-Klinik in Deir al-Balah völliges Chaos ausgebrochen sein.

Bei der Befreiungsaktion hätten Extremisten Zivilisten als Schutzschilde missbraucht, sagte Armeesprecher Hagari. In den beiden Wohngebäuden, aus denen die vier Geiseln befreit worden seien, hätten Familien und bewaffnete Wächter die Geiseln festgehalten. Die Einsatzkräfte seien heftigem Beschuss ausgesetzt gewesen, sagte der Sprecher weiter. Palästinenser seien mit Panzerfäusten auf die Straßen gelaufen, um die Soldaten anzugreifen. Die israelischen Einsatzkräfte feuerten Hagari zufolge aus der Nähe und aus der Luft zurück. Die Angaben des Militärs ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen. Israelischen Polizeiangaben zufolge wurde bei dem Einsatz auch ein hochrangiger Beamter getötet.

Nach Angaben Hagaris wurden die Befreiten medizinisch untersucht und im Krankenhaus mit ihren Familien wieder vereint. Medien zeigten bereits das glückliche Wiedersehen der 25 Jahre alten Frau mit ihren Angehörigen.

Der Auslandschef der Hamas, Ismail Haniyeh, bezeichnete Israels jüngste Einsätze in Gaza als “Massaker” an den Palästinensern. “Der Feind setzt sein Massaker gegen unser Volk, unsere Kinder und Frauen, in Nuseirat und Deir al-Balah fort”, teilte Haniyeh mit. Israel habe “militärisch, politisch und moralisch versagt”. Es blieb unklar, ob er sich direkt auf die Nachricht über die Befreiung der Geiseln aus Gewalt der Hamas bezog.

Palästinenser-Präsident Mahmoud Abbas forderte eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrats. Auch er sprach laut der Nachrichtenagentur WAFA von “einem blutigen Massaker”, das israelische Truppen verübt hätten.

Das Schicksal der nun befreiten Frau, die von Terroristen auf einem Motorrad entführt wurde und dabei verzweifelt weinend um Hilfe rief, bewegt Israel schon seit langem. Ihre Mutter leidet an Krebs im Endstadium. Die Frau hatte immer wieder darum gebeten, ihre Tochter vor ihrem Tod noch einmal sehen zu dürfen. Dieser Wunsch dürfte jetzt erfüllt werden. Medien zufolge fiel der Tag der Befreiung zudem auf den Geburtstag des Vaters.

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu rief die 25-Jährige nach Angaben seines Büros am Samstag an. Sie freue sich, nach so langer Zeit wieder auf Hebräisch zu sprechen, sagte die Israelin Medien zufolge in dem Gespräch. Der ebenfalls entführte Freund der Studentin befindet sich nach Angaben des Forums der Geiselfamilien noch immer in Gewalt der Hamas.

Ein 27-Jähriger, der am Samstag befreit wurde, hatte am 7. Oktober Medien zufolge seiner Freundin geschrieben, er sei von Terroristen umzingelt, die Raketen auf ihn und andere Betroffene feuerten.

“Wir sind überglücklich, euch zu Hause zu haben”, sagte Israels Verteidigungsminister Yoav Gallant nach Angaben seines Büros. Er sprach von einer “heldenhaften Operation”.

Israels Staatspräsident Yitzhak Herzog dankte den israelischen Einsatzkräften für die “beeindruckende und mutige Rettungsaktion”. Er rief auch bei der befreiten jungen Frau an. Auf der Plattform X veröffentlichte er eine Aufnahme der strahlenden Frau während des kurzen Gesprächs.

Benny Gantz, Minister in Israels Kriegskabinett, teilte nach der Rettung der Geiseln Medien zufolge mit, sein “Herz sei erfüllt”. Zugleich sagte er eine ursprünglich für den Abend geplante Ansprache ab. Es war erwartet worden, dass er dabei aufgrund von Meinungsunterschieden mit dem Kurs von Regierungschef Benjamin Netanyahu im Gaza-Krieg den Austritt seiner Partei aus der Regierung bekanntgeben würde.

US-Präsident Joe Biden und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron begrüßten die Befreiung der vier Geiseln. “Wir werden nicht aufhören, zu arbeiten, bis alle Geiseln nach Hause kehren und eine Waffenruhe erreicht ist”, sagte Biden bei einer gemeinsamen Pressekonferenz im Pariser Élyséepalast am Samstag. Auch Macron sprach sich für diese Ziele aus.

Macron kritisierte allerdings auch, dass die Lage in der südlichen Stadt Rafah sowie die Zahl der Getöteten und Verletzten nach nunmehr neun Monaten Krieg inakzeptabel seien. Auch könne man nicht tolerieren, dass Israel nicht alle Grenzübergänge für humanitäre Hilfe öffne, wie die internationale Gemeinschaft es seit Monaten fordere.

“Sehr erleichtert” von der Rettungsaktion zeigte sich auch Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP). In einem Post of X wies er aber darauf hin, dass die Hamas immer noch viel zu viele Geiseln brutal gefangen halte. “Sie alle müssen unverzüglich freigelassen werden”, forderte er unter Verweis auf die österreichisch-israelische Geisel Tal Shoham. Man konzentriere sich voll darauf, ihn wieder zu seiner Familie zurückzubringen. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Geiselbefreiung auf X als “wichtiges Zeichen der Hoffnung”.

Bei dem beispiellosen Massaker am 7. Oktober ermordeten Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen in Israel nahe der Grenze zum Gazastreifen rund 1.200 Menschen. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und einer Bodenoffensive.

Dabei wurden nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde mindestens 36.801 Menschen getötet und weitere 83.680 verletzt. Diese Angaben, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, lassen sich derzeit nicht unabhängig verifizieren. Israels Armee steht wegen ihres Vorgehens im Gazastreifen und der hohen Zahl ziviler Opfer international stark in der Kritik.

Militärsprecher Hagari zufolge befinden sich noch 120 Geiseln der insgesamt mehr als 250 aus Israel verschleppten Menschen im Gazastreifen. Es wird befürchtet, dass ein Großteil von ihnen nicht mehr am Leben ist.