Von: luk
Bozen – Im Südtiroler Landtag wurden am Vormittag Anträge von Süd-Tiroler Freiheit, den Freiheitlichen und Team K behandelt.
Begehrensantrag Nr. 1/18: Begnadigung der Süd-Tiroler Freiheitskämpfer (eingebracht von den Abg. Atz Tammerle und Knoll am 15.11.2018). Die Einbringer haben dazu eine neue Fassung vorgelegt: Der Landtag spricht sich für eine umgehende Begnadigung der verbliebenen Südtiroler Freiheitskämpfer aus und fordert den italienischen Justizminister sowie den italienischen Staatspräsidenten auf, die ausstehenden Begnadigungen der Freiheitskämpfer der 1960-er Jahre unverzüglich in Angriff zu nehmen, damit diese in ihre Heimat und zu ihren Familien zurückkehren können.
Der Antrag war bereits am Vortag andiskutiert worden.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) berichtete von einem Gespräch mit einer Vertretung der Betroffenen, und diese seien schockiert gewesen über die Äußerungen des Landeshauptmanns. In Absprache mit den Betroffenen wolle er den Antrag ein letztes Mal aussetzen, und zwar bis Juni 2021, dem Jahrtag der Feuernacht, um zu sehen, ob der Landeshauptmann dann für eine Unterstützung bereit sei.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) kritisierte die Zulassung der Wortmeldung Knolls als Stellungnahme zum Fortgang der Arbeiten. Wenn es um verurteilte Straftäter gehe, sollte Präsident Noggler nicht tolerant sein.
Der Antrag auf Vertagung sei sehr wohl eine Wortmeldung zum Fortgang der Arbeiten gewesen, erwiderte Präsident Josef Noggler.
Beschlussantrag Nr. 244/20: Bindung der Punkte für Familienzusammensetzung an Ansässigkeit (eingebracht vom Abg. Leiter Reber am 04.02.2020). Der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, die Punktvergabe für die Familienzusammensetzung dahingehend anzupassen, dass — mit Ausnahme von Minderjährigen — ausschließlich erwachsene Personen, welche das 18. Lebensjahr vollendet haben, die seit mindestens fünf Jahren regulär und ohne Unterbrechung in der Provinz Bozen aufhältig sind und seit mindestens zwei Jahren den Wohnsitz oder den Arbeitsplatz ohne Unterbrechung in der Gemeinde haben, für welche das Gesuch gestellt wird, als im gemeinsamen Haushalt zu Lasten lebende Familienmitglieder gelten können.
“Die Bedingung der Mindestansässigkeitsdauer von fünf Jahren gilt nur für den Gesuchsteller selbst”, stellte Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) fest. “Für die von ihm angeführten, zu Lasten lebenden Familienmitglieder reicht als Voraussetzung eine zweijährige Ansässigkeit in der Gemeinde, für welche das Ansuchen gestellt wird, aus. Dies stellt für viele Zuwanderer einen Anreiz dar, über die Familienzusammenführung möglichst rasch seine Eltern aus dem Herkunftsland nach Südtirol zu holen, um mehr Punkte für zu Lasten lebende Familienmitglieder zu bekommen und dadurch die eigenen Chancen auf den Erhalt einer Sozialwohnung zu verbessern.” Familienzusammenführungen würden laufend die Rangordnung der Antragsteller ändern, und Einheimische, deren Voraussetzungen sich nicht änderten, würden weiter zurückfallen. Leiter Reber sprach sich auch für eine grundlegende Neuorientierung der Vergabekriterien aus, auch um den Mittelstand besser berücksichtigen zu können.
Franz Ploner (Team K) sah das Punktesystem als eine mögliche Methode, sie könne aber den verschiedenen Situationen nie gerecht werden. Für Nicht-EU-Bürger gebe es eine getrennte Liste mit zusätzlichen Kriterien wie der Ansässigkeitsklausel. Die Wohnbauförderung für Nicht-EU-Bürger liege unter ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung, demnach könne man nicht von einer Benachteiligung der Einheimischen sehen. Die Ausdehnung der Aufenthaltszeit auf die anderen Familienangehörigen führe unweigerlich zu Nachteilen für die gesamte Familie, daher könne man dem Antrag nicht zustimmen.
Riccardo Dello Sbarba (Grüne) schloss sich Ploners Argumenten an. Die derzeitige Berechnungsmethode sei bereits zum Nachteil der Einwanderer, da die Gesamtförderung an ihren Bevölkerungsanteil und nicht an ihren Bedarf geknüpft werde. Laut Bedarf hätten sie Anrecht auf rund ein Viertel der Förderungsmittel, bekämen aber nur 10 Prozent oder weniger.
Giuliano Vettorato (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) stimmte mit dem Anliegen der Freiheitlichen überein, man wolle aber noch mehr erreichen. Er ersuchte die Freiheitlichen, den Antrag zu vertagen, bis die neue Regelung in Kraft sei.
Das WOBI sei ein Erfolg, auch im Vergleich mit anderen europäischen Regionen, erklärte LR Waltraud Deeg. Dennoch müsse man sich an die Veränderungen anpassen. Die Punktevergabe sei in diesem Bereich näher anzuschauen. Man wolle in Zukunft die Punkte nur noch jenen zuweisen, welche zur engeren Familie gehören: Eltern, minderjährige Kinder, nicht selbständige Familienmitglieder. Im Schnitt würden Nicht-EU-Bürger rund 10 Jahre in Südtirol leben, bevor sie zu einer Sozialwohnung kämen. Was sich bewährt habe, seien die drei Jahre Erwerbstätigkeit als Voraussetzung. Die zwei Jahre Ansässigkeit in der Gemeinde, welche die Freiheitlichen forderten, könne auch für Einheimische zum Nachteil werden.
Andreas Leiter Reber warf Ploner vor, bei seinen Statistiken Wichtiges auszublenden. Viele Einwanderer hätten bereits die Staatsbürgerschaft. Die Grünen wollten natürlich den unbeschränkten Zugang, aber das sei eben deren Position, die sich von jener der Freiheitlichen gänzlich unterscheide. Die Erwerbstätigkeit als Voraussetzung sei zu befürworten. Auf das Wohnbaugesetz warte man schon seit Jahren, man werde immer wieder vertröstet. Die Landesrätin habe immer wieder Gesprächsbereitschaft bekundet, es sei aber nie zu einem Gespräch gekommen. Der Antrag fordere eine kleine Maßnahme, für die es kein Gesetz brauche, nur den politischen Willen.
Nach einer Unterbrechung auf Antrag von Rita Mattei (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) wurde über den Antrag abgestimmt: Er wurde mit fünf Ja, 16 Nein und sieben Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 282/20: Corona-Krise: Maßnahmen zur Armutsprävention in Südtirol (eingebracht von den Abg. Köllensperger und Rieder am 30.04.2020). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1) diese Problematik auf angemessene Weise zu untersuchen und das Ausmaß der zu erwartenden höheren Ausgaben in diesen Kapiteln des Landeshaushaltes zu beziffern; 2) für den Fall eines deutlichen Anstiegs der Sozialausgaben, dessen Ausmaß durch die im vorangehenden Punkt angeführten Berechnungen ermittelt wird, die Einrichtung eines Fonds für die Armutsprävention in Südtirol in Erwägung zu ziehen; 3) dabei vor allem Rentnern, älteren Personen und kranken Menschen, welche durch den „digital divide“ in Zeiten des social distancing besonders betroffen sind, soziale und gemeinnützige Dienste zur Verfügung stellen, damit die Grundversorgung garantiert werden kann und das Risiko sich aufgrund sozialer Distanzierung einsam und depressiv zu fühlen, minimiert wird.
“Durch Covid19 sehen sich viele Familien, Betriebe und ältere Menschen mit existentiellen Ängsten und dem Verfall in die Armut konfrontiert”, bemerkte Paul Köllensperger (Team K). Zudem geraten durch die Corona-Krise auch Menschen in Geldnot, die mitten im Berufsleben stehen. Viele dieser Menschen werden die Hilfen des Landes in Anspruch nehmen, von denen ein großer Teil aber in Kreditgarantien besteht, und sich somit morgen mit Schulden und Ratenzahlungen konfrontiert sehen, in einer Situation die von einer Konjunkturdelle und eventuell höheren Steuern gekennzeichnet sein könnte. Nach der Krise besteht das konkrete Risiko, dass immer mehr Menschen unter die Armutsschwelle rutschen werden – wegen des erwarteten Rückgangs der Beschäftigungsrate, aufgrund der Auswirkungen des Coronavirus auf Lieferketten (z.B. im Tourismus), aufgrund der Schuldentilgungen u.v.m. Zwar wird zurecht immer wieder betont, dass das Coronavirus tödlich ist, jedoch Armut auch.”
Maria Elisabeth Rieder (Team K) wies darauf hin, dass Frauen, Rentner und Arbeitnehmer mit geringem Einkommen vor allem gefährdet seien. 16 Prozent der Familien und damit auch 30.000 Kinder seien armutsgefährdet. Diese Zahlen stammten aus der Zeit vor Corona. Laut UN-Bericht habe die Pandemie die Armut weltweit verschärft. 81 Prozent der Südtiroler Arbeitnehmer nähmen eine große Kluft zwischen Arm und Reich wahr. Man müsse agieren statt reagieren und jetzt schon an jene denken, die von der Krise hart getroffen werden.
Auch während des Lockdowns habe man die Kluft bemerkt, meinte Riccardo Dello Sbarba (Grüne). Die einen hatten einen Balkon, die anderen nicht, die einen konnten selbst einkaufen gehen, die anderen nicht. Ein Fonds gegen die Armut sei eine neue, positive Idee. Ein solcher Fonds sei auf Staatsebene 2016 eingeführt worden; Dello Sbarba fragte, ob das Land dabei eingebunden sei. Die beste Lösung wäre ein allgemeines Grundeinkommen.
Die Zunahme der Armut sei spürbar, meinte Magdalena Amhof (SVP). Allerdings habe Südtirol ein sehr kapillares Sozialwesen. Die Bezirksgemeinschaften würden die Fälle sehr gut kennen und könnten effizient helfen. Die Landesrätin habe gut reagiert, mit der Soforthilfe und mit der Einrichtung einer Task Force, die sich genau mit diesem Thema befasse. Ein Fonds lebe von den Mitteln, die man im Haushalt dafür reserviere, und das hänge vom Landtag ab.
Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit) unterstützte den Antrag, aber das sei nur ein kleiner Tropfen. Die Zahlen würden steigen, die Menschen hätten Angst vor einem neuen Lockdown. Viele Beiträge seien bei den Berechtigten noch nicht angekommen, während Mieten und Raten zu zahlen seien.
Man müsse verhindern, dass aus der Gesundheitskrise mehr und mehr eine soziale Krise werde, erklärte Franz Ploner (Team K). Die Krise mache jene noch ärmer, die schon arm waren, und sie schaffe neue Armut. Heuer seien rund tausend Personen mehr als arm gemeldet. Vorrangiges Ziel müsse es sein, ein Abrutschen in die Langzeitarbeitslosigkeit zu verhindern. Dazu brauche es zielgerichtete Unterstützungsprogramme, ebenso zur Verhinderung der Kinder- und Jugendarmut. Bildung sei hier die beste Prävention.
Man sehe seit Jahren, was die Landesregierung tut oder nicht tut, um soziale Sicherheit zu erreichen, meinte Andreas Leiter Reber (Freiheitliche). Vieles sei zu überdenken, das Beitragssystem, die Strompreise, die Wohnbauförderung u.a. Um große Schritte weiterzukommen, brauche es eine echte Finanz- und Steuerautonomie. Das Argument der Lebensmittelpreise sei nicht stichhaltig, die Ausgaben der Familien für Lebensmittel seien ständig gesunken. Man sollte hier nicht auf “Geiz ist geil” hereinfallen.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) wollte die Aufmerksamkeit auf den Hauptgrund für die meisten Probleme im Lande richten: die Lebenshaltungskosten. Es gäbe Mittel, diese zu senken, sie würden aber nicht in die Hand genommen. Ein Grund seien die hohen Grundstückspreise, die auch Wohnungen und Konsumgüter teurer machten. Wenn man über Sozialhilfen diskutiere, sei es unpassend, auf dem Magnago-Platz acht Stelen aufzustellen, die wahrscheinlich als Pissoirs genutzt würden.
Josef Unterholzner (Enzian) sah es als beste Lösung, den “Corona-Wahnsinn” zu beenden. Die neue Armut sei Folge der Coronamaßnahmen, nicht des Virus, der für über 90 Prozent der Betroffenen harmlos sei. Diese Maßnahmen zerstörten auch das Sozialsystem.
Gerhard Lanz (SVP) erinnerte Unterholzner an seine Aussage vom Mai, diese Menschen wären halt ein paar Monate später gestorben. Das könne nicht die Stoßrichtung sein. Die genannten Maßnahmen hätten natürlich zu Schwierigkeiten geführt, es sei schwer gewesen, die Auswirkungen abzuschätzen. Die Betriebe hätten unterschiedlich darauf reagiert, mit mehr oder weniger Erfolg. Man habe gelernt, dass es jeden treffen könne. Das Land habe Geld für Abfederungsmaßnahmen bereitgestellt. Man müsse bei jedem Vorschlag auch bedenken, dass da Steuergelder verwendet würden. Ein eigener Fonds sei nicht sinnvoll, man sollte beim Haushalt die verschiedenen Notwendigkeiten berücksichtigen. Landtag und Landesregierung hätten sich bei diesem Thema stets sensibel gezeigt.
Von der Sensibilität könne man sich nichts kaufen, meinte hingegen Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit). Viele Rentner, viele Familien täten sich auch beim Einkauf von Lebensmitteln schwer. Das Land müsse ein Zeichen setzen und Mittel bereitstellen, damit diesen Menschen geholfen werde. Man müsse auch vermeiden, dass sich immer mehr Menschen benachteiligt fühlten, etwa wenn sie andere, denen alles die Caritas zahle, mit vollem Einkaufswagen vor der Kassa sähen.
Der Antrag betreffe ein sehr aktuelles Thema, bemerkte LR Waltraud Deeg. Urzìs Vergleiche seien fehl am Platz, allein für die Kinderhilfe gebe man viele Millionen aus, um 28.000 Familien zu unterstützen. Das Land könne auf den staatlichen Fonds nicht zugreifen, da es glücklicherweise die Zuständigkeit habe, diese Ziele selbst zu finanzieren. Andere Regionen müssten sich um das Geld aus Rom streiten. Ein Teil des Fonds sei übrigens ins Bürgereinkommen eingeflossen, um das man auch in Südtirol ansuchen könne. Die Task Force zur Armut sei im Juni zusammengekommen, es habe dann auch ein Treffen mit der Caritas-Schuldnerberatung gegeben, um realistische Daten zur Armut zu erhalten. Es gebe bereits viele Fonds im Land, von Caritas, KVW, SBB u.a. Auch die Sozialsprengel hätten einen Fonds für Härtefälle. Alle diese Fonds seien gut gefüllt. Diese komplexe Thematik werde man nicht durch einen neuen Fonds lösen. Der Punkt 1) des Antrags werde bereits umgesetzt, Punkt 2) mit dem Fonds könne man aus genannten Gründen nicht zustimmen. Punkt 3) spreche ein Problem an, das Alte wie Junge betreffe, hier könne man gerne gemeinsam über Lösungsansätze sprechen.
Aus der Gesundheitskrise sei eine Wirtschafts- und eine soziale Krise geworden, replizierte Paul Köllensperger. Es zeichne sich eine Verschärfung ab, umso mehr müsse man jetzt schon aktiv werden. LR Deeg gebe dem Antrag in der Stoßrichtung recht. Südtirol sollte sich nicht mit anderen italienischen Regionen, sondern mit Tirol, Engadin und anderen Regionen mit ähnlichem BIP. Köllensperger fand wir Urzì die Finanzierung des Magnago-Parcours in diesen Zeiten unpassend.
Punkt 1) und 2) des Antrags wurden mit 14 Ja und 17 Nein abgelehnt, Punkt 3) mit 15 Ja und 17 Nein.