Franzobel als Fotoreporter: Narwal-Fang in Grönland

Autor Franzobel fürchtet bei US-Annexion Grönlands um Inuit

Montag, 03. Februar 2025 | 05:45 Uhr

Von: apa

Grönland, die unwirtliche Insel im hohen Norden, ist seit den von Donald Trump geäußerten Begehrlichkeiten plötzlich im Zentrum der Weltpolitik. Der US-Präsident möchte das als Autonomiegebiet zu Dänemark gehörende Land kaufen oder annektieren. Die überwiegend traditionell lebenden Bewohner, die Inuit, würden dann wohl ein Indianer-Schicksal erleiden, glaubt der österreichische Autor Franzobel. Sein in Kürze erscheinender Roman “Hundert Wörter für Schnee” spielt auf Grönland.

“Beim Schreiben habe ich mir schon manchmal gedacht: Wen soll das interessieren?”, schmunzelt der 57-jährige Bachmann-Preisträger im Gespräch mit der APA. “Doch manchmal werden Projekte vom Universum begünstigt.” Und so geht es auch seinem Schauplatz, der großteils von Eis bedeckten Landmasse, die laut Franzobel “so viele Einwohner wie St. Pölten hat, aber 25 Mal so groß wie Österreich ist”. Durfte man 2022, als die vierte Staffel der beliebten dänischen TV-Serie “Borgen” Grönland aufgrund von Erdölfunden zum Spielball chinesischer und amerikanischer Interessen machte, noch die Fantasie des Drehbuchautors Adam Price bewundern, so ist Grönland nun tatsächlich Gegenstand hektischer diplomatischer Aktivitäten – inklusive Auslotung militärischer Optionen.

Verständliches strategisches Interesse

Strategisch sei Trumps Interesse an dem Land, das bis 1953 eine dänische Kolonie war und 2009 die Selbstverwaltung inklusive dem Recht zur Selbstbestimmung erhielt, verständlich, meint Franzobel, schließlich sei Moskau über die Nord-Route erstaunlich nahe – und auch die Bodenschätze, die unter kilometerdickem Eis und vor der Küste vermutet werden, sind wohl beträchtlich. Seit Beginn der 1950er-Jahre existiert eine US-Luftwaffenbasis, die erst vor wenigen Jahren modernisiert und mit dem grönländischen Namen (Pituffik) versehen wurde – als Verbeugung vor jenen ursprünglichen Einwohnern, die einst zwangsweise umgesiedelt wurden.

Wie grausam einst “Eroberer” mit Ureinwohnern umgingen, davon erzählt u.a. Franzobels Roman “Die Eroberung Amerikas” (2021), der sich der 1538 unternommenen Florida-Expedition des Spaniers Hernando de Soto widmete. Auch für “Das Floß der Medusa” (2017) hat er einen historischen Stoff als Ausgangspunkt verwendet. Für “Hundert Wörter für Schnee” widmet er sich der Geschichte des Inuit Minik, der 1897 von dem Polarforscher Robert Peary gemeinsam mit einigen Verwandten als Schauobjekt nach New York gebracht wurde.

Zwei Supermarkt-Lieferungen pro Jahr

Miniks Lebensgeschichte befindet sich bereits seit vielen Jahren in Franzobels Materialsammlung für mögliche Romanstoffe. Gestoßen war er darauf bei einem Besuch des Frammuseums in Oslo, wo das von norwegischen Polarforschern verwendete Forschungsschiff “Fram” ausgestellt ist. Im Sommer 2023 war er dann in Begleitung der österreichischen Ethnologin und Inuit-Spezialistin Verena Traeger in Grönland, um an den Originalschauplätzen zu recherchieren, denn die den Büchern entnommenen historischen Szenen sollten schließlich möglichst anschaulich beschrieben werden.

“Schon die Organisation der Reise war nicht einfach. Grönland ist ja nicht gerade ein touristischer Hotspot und weder auf den gängigen Flugbuchungs- noch auf den Hotelportalen vertreten.” Mit der Air Greenland kam man schließlich von Kopenhagen über Nuuk bis nach Qaanaaq, der nördlichsten Stadt der Welt. “Dort ist nichts. Ein kleines Hotel mit fünf Zimmern, ein Gemeindeamt, eine Ärztin und ein Supermarkt. Der wird zweimal im Jahr von Aarhus aus mit dem Versorgungsschiff beliefert, zu Anfang und am Ende des Sommers. Dort werden dann vor allem Unmengen von Chips und Cola ausgeladen. Setzt sich Trump durch, wird sicher gleich auch ein McDonald’s eröffnet.”

Rohe Robben-Leber zum Geburtstag

Fast Food oder internationale Küche sind auf Grönland derzeit noch kein großes Thema. “Im Gegensatz zu den Inuit in Kanada und Alaska leben die Menschen hier noch immer sehr traditionell. Jede Familie hat rund ein Dutzend Schlittenhunde. Es gibt ja in ganz Grönland vielleicht 10 Kilometer Straße. Die Jagd erfolgt teilweise noch immer mit Harpune und Kajak.”

Dass die blutigen Jagdmethoden und Essgewohnheiten, die er in seinem Roman detailreich beschreibt, noch immer gepflogen werden, konnte Franzobel selbst mitverfolgen. Zu seinen eindrucksvollsten Grönland-Fotos zählen der Fang eines Narwals und der gemeinschaftliche Verzehr eines Robbenbabys bei einer Geburtstagsfeier. Vor allem rohe Robben-Leber gilt als sehr gesund. Auch der österreichische Gast durfte zugreifen und zubeißen. “Es schmeckt ein bisschen wie Sushi, ist aber schwerer zu kauen. Gegraust hat es mich aber vor allem wegen der vielen Fliegen rund um das Fleisch. Die sind wie die früher hier unbekannten Stechmücken eine Folge des Klimawandels.” Auch die Zyklen der Tiere und die Eisfreiheit der Schifffahrtsrinnen ändere sich, erzählt der Autor.

Gegenentwurf zum westlichen Wachstumsfetischismus

Was sich freilich nicht ändert, ist der extreme Jahresrhythmus nördlich des Polarkreises: Ein halbes Jahr geht die Sonne nie unter, ein halbes Jahr geht sie nie auf. “Das ist psychisch und physisch extrem fordernd und führt dazu, dass Alkoholismus verbreitet und die Selbstmordrate hoch ist.” Man spüre die Ausgesetztheit des Menschen in einer Natur, die das Überleben zum Kampf mache, erzählt Franzobel von seinen Grönland-Eindrücken, und speziell die Lebensweisheiten der Inughuit, der nördlichsten und ursprünglichsten Gruppe der Grönland-Inuit, seien ein glatter Gegenentwurf zum westlichen Wachstumsfetischismus: “Teile und sei dankbar!” oder “Entnimm der Natur nur, soviel du brauchst!” – das klingt tatsächlich ganz anders als Trumps Aufforderung “Drill, Baby, Drill!”

Es könnte, trotz aller amerikanischen Verlockungen, denen die mit ihrem Status als dänische Bürger zweiter Klasse unzufriedenen Grönländern ausgesetzt seien, im Hohen Norden also nicht nur auf globalstrategische Konfrontationen, sondern auch auf einen Clash of Cultures hinauslaufen. Ein anderer Kulturaustausch hat dagegen friedliche Folgen gezeitigt: US-Forscher Robert Peary, der die Eroberung des Nordpols zu seinem Lebensziel machte, hat etliche Nachkommen auf Grönland gezeugt.

Mit einem seiner Urururenkel, einem Musiker, hat sich Franzobel getroffen. Und dabei den Eindruck gewonnen: Die alten Sagen rund um die Meeresgöttin Sedna und um die Eingeweidefresserin sind hier noch ebenso präsent wie die einheimische Abart des Schamanismus. Trump sei das vermutlich egal, glaubt der Autor: “Ich denke, für ihn ist Grönland unbewohnt.”

(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)

(S E R V I C E – Franzobel: “Hundert Wörter für Schnee”, Zsolnay Verlag, 526 Seiten, 28,80 Euro, ISBN 978-3-552-07543-6, erscheint am 18. Februar)

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