Von: luk
Bozen – Landtagsvizepräsident Thomas Widmmann konnte heute im Plenarsaal des Landtags eine Delegation des Ausschusses für Bundes- und Europaangelegenheiten im Bayerischen Landtag begrüßen. Nach einer Übersicht über die gesetzgeberischen Zuständigkeiten des Landtags und das diesbezügliche ständige Ringen mit Rom (auch im Lichte des anstehenden Verfassungsreferendums) schilderte Widmann den Gästen, gemeinsam mit dem zuständigen Abteilungsdirektor Günther Burger, das System des öffentlichen Personennahverkehrs in Südtirol, bei dessen Aufbau er als Landesrat federführend war: Südtirol-Takt und Südtirol-Pass, die Vernetzung von Bahn und Bus, die Tarifgestaltung und weitere Maßnahmen, die zu einem hohen Nutzungsgrad der öffentlichen Verkehrsmittel in Südtirol beigetragen haben, nicht zuletzt unter Senioren und Jugendlichen. Die Fragen der bayerischen Delegation unter der Leitung von Ausschussvorsitzendem Franz Rieger galten bei diesem Thema vor allem der Finanzierung und der Einbindung der Gemeinden.
Die großen europäischen Themen wurden anschließend bei einem Treffen mit den Vertretern der Fraktionen im Südtiroler Landtag besprochen: die Flüchtlingsfrage und die Vertrauenskrise in der EU. Vorsitzender Franz Rieger stellt fest, dass Kanzlerin Merkels Flüchtlingspolitik in Deutschland nicht unumstritten sei, dass man in Bayern, das zum Durchzugs- und Aufnahmeland geworden sei, auch längerfristig Probleme sehe und daher eine strengere Kontrolle der EU-Binnengrenzen befürworte, wenn die Außengrenzen nicht gesichert würden. Er fragte nach der Meinung der Südtiroler Parteienlandschaft zur österreichischen Grenzpolitik. Pius Leitner und Sven Knoll hielten eine Schließung bzw. Verschärfung der Brennergrenze zwar für bedauernswert, auch aus historischen Gründen, zeigten aber Verständnis für die Haltung Österreichs, da die EU nicht imstande sei, die Einhaltung der Verträge samt Schutz der Außengrenzen zu garantieren. Hans Heiss wies auf eine oft inhumane Behandlung der Flüchtlingen auch bei den Grenzkontrollen hin und sah nicht in der Einwanderung an sich das Problem – es gehe um knapp 0,5 Prozent der europäischen Bevölkerung –, sondern in der mangelnden gerechten Verteilung. Europa sollte sich auf seine humanitären Wurzeln besinnen. Andreas Pöder kritisierte an der EU, dass sie die lokalen Verhältnisse und vor allem den Willen der Bevölkerung übersehe – kein Wunder, dass die Bürger sich betrogen fühlten und andere Parteien wählten. Dieter Steger sah in Südtirol immer noch eine breite Zustimmung zum Europagedanken, immerhin habe Europa die Öffnung der Brennergrenze und eine grenzüberschreitende Zusammenarbeit gebracht, mit der letzthin auch ein Zaun am Brenner abgewehrt werden konnte. Die Nationalstaaten seien zu klein für die ganz großen Probleme und zu groß für die lokalen Probleme, die Zukunft könne nur im Europa der Regionen liegen, meinte Steger auf die Idee Riegers, die großen europäischen Staaten wie Deutschland und Frankreich sollten die kleineren an der Hand nehmen und einen Grundkonsens zu Flüchtlingsfrage und Währungspolitik erreichen, denn die EU sei dazu derzeit nicht imstande und könne so auch das verlorene Vertrauen nicht zurückgewinnen. Dies würde allerdings das Misstrauen gegenüber Deutschland verstärken, befürchtete Heiss.
Im Rahmen des ausführlichen Gesprächs wurden auch die unterschiedlichen bayerischen Positionen zur Flüchtlingsfrage sichtbar. Gabi Schmidt (Freie Wähler) sah nur eine europäische Lösung als möglich an, aber auch nur, wenn man auch die Ursachen der Flucht angehe. Diana Stachowitz (SPD) sah in einer gelungenen Integrationspolitik – über Sprache und Ausbildung – eine geeignetere Form von Entwicklungshilfe, die man jenen mitgebe, die wieder in ihr Land zurückkehrten. Jürgen Mistol (Grüne) lobte den Beitrag der Freiwilligen bei Aufnahme und Integration und sah in der Einwanderung auch ein Mittel gegen den Fachkräftemangel. Dagegen meinte Martin Huber (CSU), bei der Behebung des Fachkräftemangels sollte man zuerst an die vielen arbeitslosen Jugendlichen in Südeuropa denken.
Vizepräsident Thomas Widmann vermutete in Südtirols Bevölkerung derzeit eine abwartende Haltung gegenüber der EU – früher sei sie der große Bruder gewesen, mit der man vieles habe aufbauen können, heute sei sie nicht imstande, die wichtigsten Probleme zu lösen. Für Südtirol sehe er Entwicklungschancen nur in einem Europa der Regionen. „Der Europa-Gedanke ist in Südtirol noch sehr stark“, schloss Vorsitzender Franz Rieger den Besuch im Landtag, „das werden wir nach Bayern als Eindruck mitnehmen.“