Von: luk
Bozen – Im Südtiroler Landtag wurden heute Vormittag Anträge von Fünf-Sterne-Bewegung und Demokratischer Partei zu bedingungslosem Grundeinkommen und Finanzautonomie behandelt.
Beschlussantrag Nr. 287/20: Bedingungsloses Grundeinkommen in Südtirol (eingebracht vom Abg. Nicolini am 15.05.2020). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1. im Rahmen der Gesundheits- und Sozialfürsorgedienste eine Machbarkeitsstudie zur Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens auf Landesebene auszuarbeiten; 2. Expertenkommissionen einzusetzen, die sich mit der Einführung eines, von der Logik des Wohlfahrtsstaates unabhängigen, bedingungslosen Grundeinkommens auseinandersetzen; 3. im Hinblick auf die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens, die Ausgabenverteilung des Landeshaushaltes ab dem nächsten Zweijahreszeitraum neu auszurichten.
Es handle sich um ein Einkommen ohne Gegenleistung, erklärte Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung). Das Grundeinkommen ist also nicht mit öffentlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung oder mit Beschäftigungsförderung zu verwechseln. Der technische Fortschritt ändere die Arbeitswelt, der Tertiärsektor habe weit größeres Gewicht, es seien weniger Arbeitskräfte nötig, um denselben Mehrwert zu schöpfen. In den nächsten 10, 15 Jahren würden 50 Prozent der Arbeiten nicht mehr benötigt. Viele würden dadurch von Arbeitsmarkt und Gesellschaftsleben ausgeschlossen. Andere Länder würden sich bereits über ein Grundeinkommen Gedanken machen, in Alaska sei es bereits vorgesehen, ebenso in einigen arabischen Ländern. Ein Versuch in Finnland habe gezeigt, dass Bezieher eines Grundeinkommens durchaus nicht untätig blieben, es gebe mehr soziales Engagement, mehr Pflegearbeit usw. Auch Leute wie Mark Zuckerberg, Bill Gates, Elon Musk und Papst Franziskus würden sich für ein Grundeinkommen einsetzen.
Brigitte Foppa (Grüne) verwies darauf, dass in Südtirol diese Idee zuerst von Sepp Kusstatscher aufgegriffen wurde. Auf den Einwand, dass beim Grundeinkommen auch Reiche gefördert würden, habe Kusstatscher geantwortet, dass in Deutschland die Verwaltungsarbeit zu Hartz 4 ein Drittel des Budgets verschlinge. Ein solches Grundeinkommen würde es Menschen ermöglichen, sich um andere zu kümmern.
Mit dem Grundeinkommen müsste eine gigantische Steuerreform einhergehen, und Südtirol habe nicht die Zuständigkeit dafür, meinte Paul Köllensperger (Team K). Aber wenn in den nächsten Jahren viel Arbeit wegrationalisiert werde, dann werde man sich solche Gedanken machen müssen. Es sei auch eine psychologische Frage: Was macht ein bedingungsloses Einkommen mit den Menschen? Ein Vorteil der Bedingungslosigkeit sei die enorme Bürokratieeinsparung. Irgendeine Gegenleistung könne man aber vielleicht fordern. Köllensperger kündigte Zustimmung zum Antrag an, der erst der Beginn einer Diskussion sein könne.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) hielt die Diskussion zum Thema hingegen für abgeschlossen. Ein bedingungsloses Einkommen sei das falsche Signal, es mache alle gleich und unterschlage die Unterschiede. Der Vergleich mit entfernten Ländern sei hier nicht hilfreich. Es gebe eine nichtsozialistische Auffassung von der Gesellschaft, die Leistung anerkenne, aber auch den Schwachen helfe.
Magdalena Amhof (SVP) sah das Finnland-Experiment nicht als vollen Erfolg. Es hätten sich weniger Stresssymptome gezeigt, aber keine Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Menschen identifizierten sich mit ihrer Arbeit und ihrer Leistung, daher sollte der Einsatz guten Arbeitsplätzen gelten. Wenn man ein Grundeinkommen in Südtirol haben wolle, dann brauche es auch die Steuerhoheit.
Für Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) klang die Forderung des Antrags auf den ersten Blick recht charmant, aber sie würde auch das Ende unserer Solidargesellschaft bedeuten, die denen mehr gibt, die weniger haben. Gießkannenbeiträge hätten zudem ihre bekannten Negativwirkungen, etwa die Mieterhöhung infolge des Mietgeldes. Eher scheine ihm eine bedingungslose Mindestrente sinnvoll.
Ulli Mair (Freiheitliche) schloss sich den Überlegungen Köllenspergers an: Wenn, dann ginge es nur mit einer Steuerreform. Außerdem würde es einen Bürokratieabbau brauchen. Es bestehe, wie in der Schweiz, die Sorge vor einer Hängemattengesellschaft. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Wert der Arbeit untergraben. Sinnvoller sei es, jenen zu helfen, die unverschuldet in Not geraten seien. Das Grundeinkommen würde die eigentlichen Probleme nicht lösen.
Die Idee gehe weit über die Landeskompetenzen hinaus, meinte Hanspeter Staffler (Grüne). Aber jede Idee könne im Laufe der Zeit umgesetzt werden. Laut dem Philosophen Precht sei das Grundeinkommen die Rettung des Sozialstaats. In der italienischen Verfassung stehe, dass die Republik auf Arbeit gegründet sei, aber das heiße nicht unbedingt lohnabhängige Arbeit. Gerade die Coronakrise werde zeigen, wie die Robotik Riesenschritte mache und viele Arbeitsplätze vernichte.
Es gehe in dieser Frage auch um Ressourcen, betonte LR Waltraud Deeg. Die für das Grundeinkommen nötigen Mittel müssten anderswo gestrichen werden, und es sei schwer zu rechtfertigen, wenn auch Reiche es bekämen. Mit Bezug auf die Verfassung sagte Deeg, dass es nichts Ungerechteres gebe, als Ungleiches gleich zu behandeln. Es sei schließlich zu fragen, wer am Ende die Rechnung zahle, vor allem, wenn man sich die demografische Entwicklung anschaue. Man müsse auch an die nächsten Generationen denken.
Diego Nicolini wies darauf hin, dass 85 Prozent der Bezieher des Grundeinkommens nicht in der Lage seien, einer Arbeit nachzugehen, aus psychischen oder physischen Gründen. Es sei problematisch, wenn man die Würde eines Menschen an die Arbeit knüpfe, auch weil sich eine Gesellschaft abzeichne, in der viele keine Arbeit mehr finden würden.
Der Antrag wurde mit elf Ja, 19 Nein und zwei Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 267/20: Strategische Maßnahmen für die Beibehaltung und den Ausbau der Finanzhoheit (eingebracht vom Abg. Repetto am 26.03.2020); der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, a) im Einvernehmen mit der Region und der Autonomen Provinz Trient einen Dialog mit der Regierung in die Wege zu leiten, mit dem Ziel, eine neue Phase des Ausbaus der Südtiroler Autonomie einzuleiten, welche gleich bleibende Ressourcen sowie sichere und planbare Ausgaben gewährleistet; b) zu diesem Zweck dahingehend einzuwirken, dass die Region und die Autonomen Provinzen gegenüber der Regierung das Verfahren zur Änderung der Verfassungs- und der Statutsbestimmungen einleiten, mit dem Ziel, der Region und den Autonomen Provinzen die vollständige Steuerhoheit zu gewähren und ihnen dadurch die Vollautonomie bei der Feststellung der Einnahmen sicherzustellen. Dabei werden die Region und die Autonomen Provinzen dem Staat jene Mittel zur Verfügung stellen, die zur Ausübung der Funktionen betreffend die grundlegenden verfassungsmäßigen Zuständigkeiten des Staates erforderlich sind; c) in der Übergangsphase des in Punkt b) genannten Abänderungsverfahrens und im Wissen um die Schwierigkeit, dieses Ziel zu erreichen sowie um die hierfür erforderliche Zeit, dafür zu sorgen, dass die im Gesetzesentwurf zum Staatshaushalt für das Jahr 2020 enthaltene Regelung zum Tragen kommt; Letztere zielt darauf ab, die Haushalte der Autonomen Provinzen und der Region vor den negativen Auswirkungen der staatlichen Bestimmungen über die Staatssteuern und die zugewiesenen eigenen Abgaben zu schützen (Neutralitätsregelung), indem die Maßnahmen betreffend den Beitrag, den die genannten Körperschaften zur Umsetzung der Ziele der öffentlichen Staatsfinanzen zu leisten haben, angepasst werden; falls diese Gesetzesmaßnahme im Laufe des Genehmigungsverfahrens vom Parlament abgelehnt wird, sollte ein Austausch mit der Regierung eingeleitet werden, um das 2014 unterzeichnete Abkommen zur Sicherung der öffentlichen Finanzen (sog. Garantiepakt) zu überarbeiten; dies sollte im Einklang mit der oben beschriebenen Neutralitätsregelung geschehen und gleichzeitig zu einer Änderung des Autonomiestatus führen mit welcher Sonderbestimmungen zur Staatsverschuldung erlassen werden; diese neue Regelung sollte es den Autonomen Provinzen ermöglichen, die für die eigene Entwicklung erforderlichen Investitionen – unter Einhaltung der Verfassungsbestimmungen zum Haushaltsausgleich – zu planen und zu finanzieren; d) sich in Zusammenarbeit mit dem Staat dafür einzusetzen, dass die Bestimmungen gemäß Artikel 82 des Statuts durch den Abschluss von Abkommen mit den zuständigen Ministerien sowie von operativen Vereinbarungen mit den Steuerbehörden umgesetzt werden, mit dem Ziel, die Maßnahmen zur Feststellung von Steuern und Abgaben auf dem Gebiet der Autonomen Provinz zu regeln.
Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) unterstrich die besondere Situation der Regionen mit Sonderstatut, die die meisten Aufgaben mit eigenen Mitteln stemmen müssten, während die direkten Ausgaben des Staates in diesen Regionen gering seien. Die beiden Provinzen seien in ihren strategischen Entscheidungen aber vielfach von der Steuerpolitik des Staates abhängig, während sie einen Entscheidungsspielraum bei den Einnahmen bräuchten, um für ihre Bürger einen sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt ermöglichen zu können.
Sven Knoll (STF) sprach sich grundsätzlich für einen Ausbau der Autonomie ab, Südtirol sollte in dieser Frage aber nicht von Trient abhängen. Südtirol müsse etwa eigenständig auf eine Steuersenkung in Deutschland reagieren können, weil es direkter davon betroffen sei. Er erwarte sich eine Finanzhoheit, nicht eine Finanzautonomie, die morgen auch wieder beschnitten werden könne.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) gab zu bedenken, dass Steuerhoheit auch eine Last bedeute, man müsse den eigenen Bürgern in die Tasche greifen. Repetto wolle dabei auch die Region einspannen, aber deren Rolle sei erst zu prüfen, ebenso die Beteiligung des Landes an staatsweiten Notmaßnahmen.
Die Finanzautonomie sei zu 90 Prozent gegeben, meinte Hanspeter Staffler (Grüne), Südtirol könne 90 Prozent der Steuereinnahmen behalten. Die Finanzautonomie müsse aber auch gelebt werden. Statt die eigenen sozialen Maßnahmen aufzustocken, habe das Land das staatliche Bürgereinkommen übernommen. Es sei auch das Solidaritätsprinzip zu beachten, das in ganz Europa gelte – auch in Deutschland fließe Geld von einigen Ländern zu anderen ab.
Die Coronakrise habe gezeigt, welches Gewicht Grenzen hätten, meinte Myriam Atz Tammerle (STF). Gerade in dieser Zeit habe man Italien als Klotz am Bein spüren können. Die Finanzsituation Italiens werde sich durch die Hilfsmaßnahmen noch verschlimmern. Die beste Lösung sei nicht mehr Autonomie, sondern der Abschied von Italien.
Carlo Vettori (Alto Adige Autonomia) begrüßte den Antrag, dem man die Herkunft nicht ansehe. Punkt c) sei allerdings eine Verwässerung, die man streichen sollte.
Andreas Leiter Reber (Freiheitliche) meinte, dass alles, was die Autonomie betreffe, in Südtirol Tagespolitik sei. Repettos Vorschlage gehe in Richtung dessen, wofür sich auch der Autonomiekonvent ausgesprochen habe. Widmann habe vorgeschlagen, die Unabhängigkeit um 15 Mrd. zu kaufen – jetzt würden es 18 Mrd. sein. Italien sei ein schönes Land mit einer wunderbaren Kultur, aber niemand möchte sich von diesem Staat verwalten lassen.
Rita Mattei (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) zeigte sich angenehm überrascht, dass ein solcher Vorschlag vom PD komme, der hoffentlich auch auf römischer Ebene damit einverstanden sei. Der Vorschlag komme aber spät. LH Kompatscher sei gerade in dieser Frage mit der Staatsregierung in Verhandlung. Man werde dem Antrag dennoch zustimmen.
Helmuth Renzler (SVP) sah den Antrag grundsätzlich positiv, wenn auch einige Stellen zu ändern seien. Die Verschuldung Italiens sei sicher ein Thema, aber diese hänge nicht vom Verhalten der Bevölkerung ab, sondern von den hohen Zinsen, die Italien zahlen müsse. Man dürfe auch nicht den Beitrag unserer Finanzautonomie zu unserer Lebensqualität vergessen, ebensowenig aber den Beitrag Südtirols an der Verschuldung.
Keine Autonomie ohne Finanzautonomie, zitierte LH Arno Kompatscher Silvius Magnago. Eine Finanzhoheit würde bedeuten, dass man die Steuern selbst festlegen könne. Kompatscher kündigte Zustimmung zum Antrag an, da man dessen Forderungen schon lange voranbringe. Einen Teil Steuerhoheit habe man bereits bei den lokalen Steuern erreicht. Der Staat habe noch direkte Ausgaben in Südtirol, auch mit der Steuereinhebung, und dies entspreche den einbehaltenen 10 Prozent. Darüber hinaus leiste Südtirol einen Solidaritätsbeitrag zur Sanierung des Staatshaushaltes; auch Tirol oder Bayern würden einen solchen Beitrag in ihrem Staat leisten. Südtirol habe in dieser Frage viel erreicht, aber es wäre noch einiges zu erreichen, und in diese Richtung arbeite man und gehe auch der Antrag. Punkt c) wolle man nicht zustimmen, auch wenn man die Zielsetzung teile: Man wolle den Sicherungspakt nicht aufschnüren. Dieser schütze nämlich uns und nicht den Staat.
Sandro Repetto betonte, dass sich der PD immer für die Finanzautonomie eingesetzt und dabei auch wesentliche Fortschritte ermöglicht habe.
Der Antrag wurde, ohne Punkt c), in mehreren Teilabstimmungen mit breiter Mehrheit (30-32 Ja) angenommen.