Von: luk
Bozen – Bei der Plenarsitzung im Südtiroler Landtag wurde heute das Lieferkettengesetz, Lebenshaltungskosten und Long Covid thematisiert. Anträge von Grünen/SVP, Fratelli d’Italia und Fünf-Sterne wurden behandelt.
Begehrensantrag Nr. 15/20: Italien braucht ein Lieferkettengesetz: Für Textilien, aber nicht nur (eingebracht von den Abg. Foppa, Dello Sbarba und Staffler am 10.03.2020, ersetzt durch einen Antrag von Foppa und Gert Lanz am 30. 6.) Der Landtag möge Parlament und Regierung auffordern, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, um in Zusammenarbeit mit Unternehmen- und Konsumentenverbänden, Lohn-, Sozial- und Umweltdumping beim Import von Rohstoffen, Produkten, Handelswaren und Dienstleistungen zu unterbinden.“
“Vor allem bei Lebensmitteln legen viele Menschen Wert auf regionale Herkunft”, erklärte Brigitte Foppa (Grüne). “Bei vielen anderen Produkten verhält sich das mit der Regionalität etwas komplizierter: Kommt eine Handtasche, ein Hemd, ein Staubsauger usw. tatsächlich aus dem Land, auf welches das „Made in …“-Label verweist? Das oben zitierte Label mit dem „Made in …“-Kennzeichen, das wir in unseren Kleidungsstücken – aber nicht nur – finden, verrät lediglich, in welchem Land eine Ware den letzten Schliff erhalten hat. Dieses Land wird dann als Produktionsort angegeben. Immer mehr europäischen Ländern wird bewusst, dass sie sich ihrer Verantwortung stellen- und Unternehmen dazu verpflichten müssen, entlang ihrer gesamten Lieferkette dafür Sorge zu tragen, Menschenrechts- und Umweltstandards einzuhalten.”
Paul Köllensperger (Team K) erinnerte an die diesbezüglichen Vorgaben der UNO, denen Großbritannien, die Niederlande und Finnland als erste gefolgt seien. Er sei froh über die neue Fassung des Antrags, die auf spezifische gesetzliche Maßnahmen ziele, ohne unnötige Bürokratie zu schaffen.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) bemerkte, dass dieser Antrag die Unternehmen in die Pflicht nehme. Man sollte aber auch auf die Konsumenten schauen. Man unterstütze die Stoßrichtung, befürchte aber mehr bürokratische Auflagen für die Unternehmen.
Der Antrag gehe in die richtige Richtung, meinte Helmut Tauber (SVP). Es gebe bereits Qualitätssiegel und Herkunftsbezeichnungen für europäische Produkte, nun müsse man auch etwas weiter schauen.
Wenn Produkte auch einen komplexen Hintergrund hätten, so funktioniere Wirtschaft im Grunde sehr einfach, meinte Gerhard Lanz (SVP), es gehe um Emotionen. Es gehe nun nicht darum, mehr Bürokratie zu schaffen, sondern auf die Einhaltung der Menschenrechte zu achten. Man müsse vermeiden, dass die verschiedenen Zertifizierungen eine Alibifunktion erhielten. Produkte aus Regionen, die in unserem Wertesystem ein Defizit haben, sollten anders bewertet werden.
Das Ziel des Antrags finde im Plenum breiten Konsens, stellte LH Arno Kompatscher fest. Ein Mindeststandard sollte weltweit eingehalten werden, ansonsten habe man auch unlautere Konkurrenz. Es geben verschiedene Maßnahmen der Staaten, Förderung, Siegel, Sanktionen, wobei es dabei Vor- und Nachteile gebe, aber man könne die Dinge nicht so lassen, wie sie seien.
Brigitte Foppa erklärte sich überzeugt, dass auch die Konsumenten über kurz oder lang ihre Verantwortung wahrnehmen würden, es brauche aber mehr. Manchmal könnten nur die Staaten etwas bewirken.
Der Antrag wurde mit 30 Ja und vier Enthaltungen angenommen.
Beschlussantrag Nr. 358/20: Maßnahmen zur Eindämmung der hohen Lebenshaltungskosten in Südtirol und Untersuchung der Ursachen (eingebracht vom Abg. Urzì am 24.11.2020). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1) eine gründliche und umfassende Analyse der Ist-Situation in die Wege zu leiten, um die Ursachen derart hoher Lebenshaltungskosten in Südtirol – italienweit zählen sie zu den höchsten – zu ermitteln; 2) einen umfangreichen und gezielten Aktionsplan vorzusehen, um jene Maßnahmen festzulegen, die zur Eindämmung der höheren Lebenshaltungskosten im Vergleich zum restlichen Italien am geeignetsten erscheinen.
“Während die Lebenshaltungskosten im restlichen Staatsgebiet laut den im Oktober aktualisierten ISTAT-Daten inflationsbedingt einen Rückgang von 0,4 Prozent erfahren haben, sind die Lebenshaltungskosten in Bozen um ein Prozent gestiegen, was für eine Familie durchschnittliche Mehrausgaben von 318 Euro pro Jahr bedeutet”, stellte Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) fest. “Die Statistikinstitute haben diesen Trend Jahr für Jahr mit klaren Bestandsaufnahmen beschrieben, die keinen Spielraum für Auslegungen und Zweifel lassen, und trotzdem hat die Landesverwaltung bisher keine wirksamen Maßnahmen ergriffen, um eine Kehrtwende dieser Entwicklung einzuleiten; dieser Trend ist nämlich darauf zurückzuführen, dass das Land den Wettbewerb durch seine protektionistische Politik stark eingeschränkt hat. Bisher wurden nicht nur keine geeigneten Maßnahmen zur Reduzierung der Lebenshaltungskosten ergriffen, sondern man es auch verabsäumt, eine gründliche Analyse der Ursachen durchzuführen, die zu dieser Situation geführt haben. Dazu gehören unter anderem Faktoren wie die hohen Grundstückspreise sowie die beachtlichen Baukosten, geringere Steuersenkungen für Gewerbeunternehmen, mangelnde Beschäftigungsaussichten und geringe Attraktivität des Arbeitsmarktes, auch aufgrund von Zweisprachigkeit und Proporz, die vom Statut vorgesehen sind.” Urzì wies auch darauf hin, dass in Südtirol die Geschäfte an gewissen Tagen geschlossen halten müssten. All das führe auch dazu, dass viele auswärts einkaufen würden.
Urzìs Antrag sei interessant, habe aber den falschen Ansatz, meinte Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten). Südtirol habe wohl die höchsten Lebenshaltungskosten, aber auch den geringsten Anteil an Schattenwirtschaft. Gemäß der makroökonomischen Theorie von Fisher sei die Inflation höher, wenn die Beschäftigungsrate höher sei. Man sollte Südtirol daher eher mit Gebieten vergleichen, die ein ähnliches Preisniveau, aber höhere Löhne hätten.
Die Lebenshaltungskosten seien in Südtirol um 20 Prozent höher, bestätigte Hanspeter Staffler (Grüne), damit liege man näher an Mitteleuropa. Die Probleme, die Urzì aufzeige, seien aber real: hohe Wohnungspreise, niedrige Löhne.
Jeder wisse, dass die Lebenshaltungskosten in Südtirol auch höher seien als in anderen Regionen des Alpenraums, ausgenommen die Schweiz, bemerkte Andreas Leiter Reber (Freiheitliche). Er begrüßte den Antrag, denn man müsse die Ursachen ergründen, um die Situation zu ändern, auch bei den Kollektivverträgen. Seit Jahren warte man auf das neue Wohnbaugesetz; in Südtirol gebe man 50 Prozent des Gehalts für die Miete aus, ein vernünftiges Verhältnis wären 40 Prozent.
Magdalena Amhof (SVP) teilte die Analyse von Repetto und Staffler. Sie sei froh, dass die Geschäfte am Sonntag geschlossen hätten, und diese Frage habe nichts mit den Lebenshaltungskosten zu tun. Anstatt neuer Erhebungen brauche es konkrete Maßnahmen. LR Deeg habe im Gesetzgebungsausschuss ein Maßnahmenpaket vorgelegt, um das Wohnen leistbarer zu machen. Man dürfe auch nicht unterschlagen, dass es auch viel finanzielle Unterstützung für die Familien gebe.
Es sei ein Thema, mit dem sich die Landesregierung ständig befasse, erklärte LH Arno Kompatscher. Repetto habe klargemacht, dass diese Statistiken zu kurz greifen würden. Viel Inflation gebe es dort, wo die Wirtschaft stark in Bewegung sei. Bis zur Pandemie habe man Vollbeschäftigung gehabt, und laut derzeitigen Anzeichen bewege man sich wieder dorthin. Auch das trage zur Inflation bei, ebenso wirke sich der knappe Grund auf die Wohnungspreise aus. Wo es hohe Lebensqualität, hohe Beschäftigung gebe, gebe es auch hohe Inflation. Die Landesregierung tue das ihre zur Abfederung, etwa kostenlose Dienste, die anderswo zu bezahlen seien. Die fiskalischen Maßnahmen, die Südtirol getroffen habe, hätten laut Studien mehr zum Ausgleich beigetragen als in anderen Regionen. Dasselbe Ziel habe die Wohnbauförderung, bei der es bald Neuerungen geben werde. Man wolle nun auch auf der Angebotsseite agieren, unter anderem durch mehr Flexibilität bei der Nutzung des Altbestandes. Fast im Wochenrhythmus würden Studien veröffentlicht – auch von der Banca d’Italia, vom WIFI, vom Astat -, die sich mit diesem Zusammenhang befassten, man brauche keine neuen.
Punkt 1 des Antrags wurde mit zehn Ja, 17 Nein und sechs Enthaltungen, Punkt zwei mit 14 Ja, 18 Nein und zwei Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 428/21: Versorgung von genesenen COVID-19-Patienten und Aktivierung ticketbefreiter Nachsorgeangebote (eingebracht vom Abg. Nicolini am 08.04.2021). Der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, 1. landesweit gültige Richtlinien festzulegen, welche die Handlungsanleitungen zur Aktivierung der Nachsorgedienste enthalten, um COVID19-Patienten nach deren Genesung zu versorgen; 2. festzulegen, dass sich die Bürger bei erstmaliger Nutzung der Nachsorgedienste nicht an den Kosten beteiligen müssen, da diese Dienste ticketbefreit sind, (hierbei handelt es sich um fachärztliche Untersuchungen zum Schutz der allgemeinen Gesundheit, die bei Auftreten einer Epidemie auf lokaler Ebene angeboten werden, und zwar gemäß Artikel 1 Absatz 4 des Gesetzesdekrets Nr. 124/1988 und insbesondere gemäß Buchstabe b) desselben).
“Die bis dato verfügbare Fachliteratur berichtet von zahlreichen auf kurze oder lange Sicht aufgetretenen Folgeerkrankungen und Gesundheitszuständen, unter denen Personen, die an Corona erkrankt waren, nach ihrer Genesung leiden”, erklärte Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung). “Einige Beispiele hierfür sind etwa das Post Intensive Care Syndrome (PICS), das sich auf die eigene Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu erledigen, auswirkt und bei dem häufig Stimmungsstörungen auftreten, das chronische Erschöpfungssyndrom, das nach einer Virusinfektion zu anhaltender Müdigkeit und Abgeschlagenheit führt, bleibende Organschäden, vor allem von Herz und Lunge, oder das „Long Covid“, eine Krankheit, die nur schwer einzuordnen ist, und deren zahlreiche Symptome auch Monate nach der Infektion noch nicht abgeklungen sind. Deshalb müssen spezifische Nachsorgedienste angeboten werden, um die an Corona erkrankten Personen, die diese Krankheit inzwischen überwunden haben, nach deren klinischen Genesung zu begleiten und um ihnen Nachfolgeuntersuchungen durch die Spezialisten des Landesgesundheitsdienstes anzubieten.”
Der Antrag greife einen wichtigen Aspekt der Pandemie auf, erklärte Franz Ploner (Team K). Wahrscheinlich erkranke jeder achte Covid-Patient an solchen Folgeerscheinungen. Diese Erkrankung sei chronisch und bedürfe einer Langzeitbetreuung, insbesondere einer psychologischen, denn solche Patienten würden oft den inneren Antrieb verlieren und dadurch auch ihre Arbeit; der Ausstoß des Glückshormons Dopamin werde gestört, wie eine Studie der Sterzinger Neurologie ergeben habe. Er empfehle auch Post-Covid-Ambulanzen.
Brigitte Foppa (Grüne) unterstützte den Antrag und verwies auf einen ähnlichen aus ihrer Fraktion. Das Thema werde oft unterschätzt, auch weil es oft von Betroffenen unterschätzt werde.
Auch Ulli Mair (Freiheitliche) unterstützte den Antrag. Die Ticketbefreiung sei das Mindeste. Man müsse auch eine finanzielle Hilfe andenken, denn viele würden durch die Krankheit arbeitsunfähig werden, aber kein Arbeitslosengeld beziehen.
LR Thomas Widmann verwies wie Ploner auf die Sterzinger Studie. Bei dieser sei ihm bewusst geworden, wie lange einen das Thema noch beschäftigen werde. Das Land habe bereits einige Maßnahmen ergriffen, so eine Post-Covid-Ambulanz für die Betriebe. Die Ticketbefreiung sei bereits vorgesehen, nun werde eine Liste der Leistungen erstellt, für die die Befreiung noch um drei Jahre verlängert werde. Im Wesentlichen werde der Antrag bereits umgesetzt.
Diego Nicolini zeigte sich erfreut über die Debatte und auch über die Auskünfte von LR Widmann.
Der Antrag wurde mit 16 Ja und 19 Nein abgelehnt.