Neuer Premier Starmer empfing europäische Regierungschefs

Bekenntnis zur Ukraine bei paneuropäischem Gipfel in England

Donnerstag, 18. Juli 2024 | 18:54 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters/AFP

Der britische Premierminister Keir Starmer hat beim Europagipfel vor einer Bedrohung durch Russland gewarnt und der Ukraine dauerhafte Unterstützung zugesagt. “Habe Sie keinen Zweifel: Wir werden an Ihrer Seite stehen, solange es nötig ist”, sagte Starmer an den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj gerichtet. Beim Gipfel der Europäischen Politischen Gemeinschaft versammelten sich Vertreter von 47 Staaten im südenglischen Blenheim Castle.

“Wir stehen für die Werte, die er auf der Welt verkörpert. Freiheit und Demokratie, ja, aber auch Trotz und Entschlossenheit in deren Verteidigung”, sagte Starmer. “Heute, wo sich ein neuer Sturm über unserem Kontinent zusammenbraut, entscheiden wir uns dafür, ihm in demselben Geist zu begegnen, und wir entscheiden uns dafür, ihm gemeinsam zu begegnen.” Starmer betonte die Bedeutung von Zusammenarbeit.

“Unsere erste Aufgabe hier und heute ist es, unsere unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine zu bekräftigen”, sagte Starmer, dessen sozialdemokratische Labour Party vor zwei Wochen die bis dahin regierenden Konservativen in Großbritannien abgelöst hat. Ihre Aufgabe sei es, der Aggression gemeinsam entgegenzutreten.

“Denn die Bedrohung durch Russland erstreckt sich über Europa. Viele von uns haben Angriffe auf unsere eigenen Demokratien erlebt. Menschen werden auf der Straße angegriffen, Militärflugzeuge dringen in unseren Luftraum ein, Schiffe patrouillieren vor unseren Küsten”, warnte Starmer.

Selenskyj nutzte seinen Auftritt beim EPG-Gipfel zu einem Appell an die Verbündeten, den Einsatz westlicher Waffen auf Ziele in Russland zu erlauben. “Je weniger Einschränkungen wir haben, desto mehr wird Russland den Frieden suchen”, sagte er. Selenskyj verwies darauf, dass die Erlaubnis einiger westlicher Länder, solche Angriffe in der Region Charkiw auf grenznahe Ziele in Russland zuzulassen, nicht zu einer Eskalation geführt habe.

Selenskyj drängte die Verbündeten auch dazu, russische Drohnen und Raketen über seinem Land abzuschießen. “Es muss einen kollektiven Willen geben, diese abzuschießen, genauso wie es bei iranischen Raketen und Drohnen (bei Israel) war”, sagte er mit Blick auf den von den USA, westlichen und arabischen Staaten vereitelten Angriff auf Israel.

Scharf äußerte sich der ukrainische Präsident über den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. “Wenn jemand Reisen in die Hauptstadt des Kriegs machen will, um zu reden und vielleicht irgendwas auf Kosten der Ukraine zu versprechen, warum sollten wir so eine Person beachten?”, sagte Selenskyj. Moskau sei immer interessiert, die Geschlossenheit des Westens durch individuelle Angebote oder auch Erpressung zu brechen.

Der scheidende NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte an, dass das geplante neue NATO-Ukraine-Kommando bereits im September einsatzbereit sein werde. Es soll die internationale Militärhilfe und -ausbildung für die Ukraine vom deutschen Wiesbaden aus koordinieren.

Die EPG geht auf eine Initiative des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zurück, der nach der russischen Aggression gegen die Ukraine den europäischen Zusammenhalt stärken wollte. Der EPG gehören die 27 EU-Länder sowie 20 Drittstaaten von Albanien bis zur Ukraine an, die Gipfel werden abwechselnd von EU- und Nicht-EU-Staaten ausgerichtet.

Starmer bezeichnete den Gipfel als Neustart für die Beziehungen Großbritanniens zu Europa. “Der EPG wird der Startschuss für die neue Herangehensweise dieser Regierung an Europa sein, von der wir nicht nur jetzt, sondern über Generationen hinweg profitieren werden”, sagte er. Großbritannien wolle “eine aktivere Rolle” auf der Weltbühne einnehmen, um “echte Partnerschaften zu schließen, die Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben”. Die Sicherung der Grenzen solle bei der Neuausrichtung ein zentrales Thema sein, hieß es.

Das Handwerk legen will Starmer hingegen Schlepperbanden. Beim Gipfel rief er andere Staaten zur Zusammenarbeit auf. Es sei ein kriminelles Imperium am Werk, das von menschlichem Elend und Verzweiflung profitiere, sagte der Premier. “Wir müssen unsere Ressourcen bündeln”, forderte Starmer. Es müssten Geheimdienstinformationen und Taktiken geteilt, Schleuserrouten unterbrochen und Banden zerschlagen werden. Außerdem müsse mehr gegen die Fluchtgründe unternommen werden -nämlich gegen Konflikte, Klimawandel und extreme Armut.

Auf dem Weg nach Großbritannien ertrinken immer wieder Menschen beim Versuch, mit Schlauchbooten den Ärmelkanal zu überqueren. Die frühere konservative Regierung wollte Menschen, die ohne nötige Papiere ins Land kommen, nach Ruanda abschieben. Starmer lehnt das ab. Er will stattdessen den Grenzschutz mit einer neuen Struktur stärken. Starmer versicherte auch, nicht aus der Europäischen Menschenrechtskonvention aussteigen zu wollen. Einem Bericht der “Times” zufolge hofft er auf ein Abkommen mit Frankreich zur Rücknahme irregulär eingereister Menschen.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte in Blenheim Palace, er sei “zuversichtlich, dass ein neues Kapitel mit dem Vereinigten Königreich aufgeschlagen werden kann”. Der deutsche Kanzler Olaf Scholz sagte, dass beim Gipfel auch über die Weiterentwicklung der transatlantischen Zusammenarbeit gesprochen werde. “Und ich bin ganz sicher, sie wird auch weitere Jahrzehnte gut funktionieren”, sagte er in Anspielung auf Sorgen, dass ein möglicher Wahlsieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen im November Konflikte mit der EU bringen könnte.

Der britische Außenminister David Lammy sprach vor Beginn des Gipfels im Sender Sky News von einem “fantastischen, historischen Treffen”. Es gehe um die Beziehungen nach dem Brexit nicht nur zur EU, sondern auch zu anderen europäischen Partnern. “Wir haben Vertreter aus Norwegen, der Türkei, Moldau und anderen Ländern dabei”, sagte er.

Starmer hatte die Ukraine-Hilfe, den Kampf gegen illegale Migration sowie Sicherheits- und Energiefragen als Gipfelthemen definiert. Österreich ist beim vierten EPG-Gipfel erstmals nicht vertreten. Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) absolviert im Inland seine Bundesländer-Tour, eine Vertretungsmöglichkeit ist nicht vorgesehen.