Wie der Kreml die besetzte Ukraine russifiziert

Bitter: Gestohlene Häuser, Zuzug aus Russland und ausgelöschte Identität

Mittwoch, 23. April 2025 | 08:09 Uhr

Von: ka

Mariupol/MoskauKiew – Mit verlockenden Angeboten wie „neuen“ Wohnungen mit Meerblick zu Vorzugspreisen versucht Moskau, Russen in die russisch besetzten Gebiete der Ukraine zu locken. Ziel des Kremls ist es, vollendete Tatsachen für einen „Frieden unter russischem Vorzeichen“ zu schaffen.

Dabei geht Russland mit äußerster Härte vor. Während die Wohnungen der geflüchteten Ukrainer vom russischen Staat beschlagnahmt werden, um sie zu günstigen Konditionen an zuziehende Russen weiterzugeben, werden die Ukrainer vor die „Wahl“ gestellt, entweder „Russen zu werden“, aber in ihrer Heimat bleiben und ihre Wohnung behalten zu dürfen, oder als „unerwünschte Personen ohne Rechtsstatus“ zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen zu werden.

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Der Kreml lässt keinen Zweifel daran, was er mit den russisch besetzten Gebieten der Ukraine vorhat. Auf einem Forum, auf dem russische Beamte und die prorussische Verwaltung von Mariupol ihre demografischen Pläne für die besetzten ukrainischen Gebiete vorstellten, betonten sie, dass es ihr Ziel sei, die Gesamtbevölkerung der besetzten Gebiete von derzeit fünf auf zehn Millionen Menschen zu erhöhen.

Nach den Vorstellungen Moskaus sollen fünf Millionen Russen in die „russische Ukraine“ umgesiedelt werden. Die Häuser, in denen Tausende russische Familien untergebracht werden sollen, stehen bereits. Meist handelt es sich um Häuser, deren Bewohner bei den Kämpfen und Bombardierungen getötet wurden oder die Menschen auf der Flucht vor der russischen Armee verlassen haben. Allein in Mariupol kamen Tausende Zivilisten ums Leben. Von den 430.000 Einwohnern, die vor dem Krieg in der Hafenstadt am Asowschen Meer lebten, flohen etwa 350.000.

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Da während der Belagerung und Eroberung Mariupols mehr als 90 Prozent der Häuser und Wohnungen entweder völlig zerstört oder zumindest schwer beschädigt wurden, ist in der Stadt am Asowschen Meer ein intensiver Wiederaufbauprozess im Gange. „Der Neubau findet fast ausschließlich in Mariupol statt. In den anderen besetzten Städten wie Berdiansk, Tokmak, Melitopol oder auch auf der Krim wird dagegen fast nichts gebaut“, erklärt Petro Andrjuschtschenko, Leiter des Zentrums für Studien über die besetzten Gebiete und ehemaliger Berater des Bürgermeisters von Mariupol, gegenüber Today.co.uk.

In diesen Städten, die weniger unter den Kämpfen gelitten haben, greift Moskau auf bestehende Wohnungen zurück, die von den geflohenen Ukrainern zurückgelassen wurden. „In vielen Fällen deklarieren die russischen Behörden diese Wohnungen als Eigentum des russischen Staates und bringen sie auf den Immobilienmarkt, oft über staatliche Banken“, berichtet Petro Andrjuschtschenko. Diese Maßnahmen sind nicht neu, aber ein kürzlich verabschiedetes Gesetz hat es den rechtmäßigen ukrainischen Eigentümern noch schwerer gemacht, sich zu wehren oder ihr Eigentum zurückzufordern.

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Die russischen Behörden rechtfertigen die Beschlagnahmung tausender Wohnungen mit dem Begriff „herrenlos“. Dieser Begriff bezeichnet Immobilien, die laut Moskau nicht genutzt werden oder keinen in Russland registrierten Eigentümer haben. Viele dieser Wohnungen gehören in Wirklichkeit ukrainischen Bürgern, die die Stadt nach der russischen Besetzung verlassen mussten, oder sind das Erbe ukrainischer Bürger, die bei den Angriffen getötet wurden.

Ein Gesetz sieht vor, die beschlagnahmten Häuser neuen Bewohnern zuzuweisen. Zu diesem Zweck wurde bereits vor zwei Jahren ein spezielles Hypothekenprogramm aufgelegt, das subventionierte Hypotheken für russische Staatsbürger vorsieht, die sich in den besetzten Gebieten niederlassen wollen. Bei den Käufern handelt es sich häufig um Zuwanderer, die bereits die russische Staatsbürgerschaft besitzen und deren wirtschaftlicher Beitrag die Kassen der von Moskau unterstützten Besatzungsverwaltungen füllt.

Für den Kreml sind die besetzten Gebiete nun formell Teil der Föderation, und das Eigentum dort gehört nur denen, die sich den neuen Regeln unterwerfen. In Mariupol beschleunigen die prorussischen Behörden die Beschlagnahmung von Wohnraum, was Teil eines umfassenderen Plans zur „Russifizierung“ des Gebiets zu sein scheint. Zu dieser Strategie gehören auch der Bau neuer Militäreinrichtungen und die Umbenennung von Straßen in von Moskau genehmigte Ortsnamen.

X/Mariupol

In der Hafenstadt am Asowschen Meer wird für „neue“ Wohntürme mit Meerblick geworben, die an der Stelle abgerissener zerstörter Wohnviertel errichtet werden. Die neuen, von Moskauer Banken finanzierten Wohnungen sind für russische Zuwanderer, russischstämmige Umsiedler aus den besetzten Gebieten, für ukrainische Familien mit russischem Pass und für Arbeitsmigranten aus den Föderationsrepubliken und den mit Russland verbündeten Ländern des Fernen Ostens reserviert.

Während die Wohnungen der ukrainischen Flüchtlinge vom russischen Staat beschlagnahmt werden, um sie zu günstigen Bedingungen an russische Neuankömmlinge weiterzugeben, stehen die Ukrainer vor der „Wahl“, entweder „Russen zu werden“, aber in ihrer Heimat bleiben und ihre Wohnungen behalten zu dürfen, oder als „unerwünschte Personen ohne Rechtsstatus“ gezwungen zu werden, ihre Heimat zu verlassen.

X/Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation.

Petro Andrjuschtschenko beschreibt die russische Siedlungspolitik in Mariupol als Teil einer Strategie, die mit den geopolitischen und strategischen Interessen des Kremls zusammenhängt. „Diese Gebiete haben einen enormen Wert. Der Süden der Regionen Saporischschja und Donezk, der zum Asowschen Meer hin liegt, ist reich an landwirtschaftlichen Ressourcen und hat im Vergleich zu vielen anderen russischen Regionen ein günstiges Klima. Außerdem gibt es dort strategisch wichtige Häfen wie Mariupol und Berdjansk“, betont der Leiter des Zentrums für Studien über die besetzten Gebiete und ehemalige Berater des Bürgermeisters von Mariupol.

X/Mariupol

Ein völkerrechtlich unzulässiges Vorhaben, das Russland aber offenbar mit Nachdruck verfolgt. „Es spielt keine Rolle, dass ihnen manchmal die Mittel fehlen. Der politische Wille ist da, und das reicht aus, um eine echte Gefahr heraufzubeschwören“, warnt der Direktor des Zentrums für Besatzungsstudien. Die russische Regierung bemühe sich, dieses Kolonisierungsprojekt in die Tat umzusetzen, fügt Petro Andrjuschtschenko mit einem Anflug von Bitterkeit hinzu.

Wladimir Putin glaubt, im Angriffskrieg gegen die Ukraine längst die Oberhand gewonnen zu haben und dem Westen die Friedensbedingungen diktieren zu können, sodass niemand Russland daran hindern kann, Teile der Ukraine zu annektieren und vollständig zu „russifizieren“. Dunkle Wolken ziehen über der Ukraine auf.

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