Von: luk
Bozen – Unter dem Motto „Die Stadt ist noch nicht ausverkauft“ forderte das “lab – Stadtlabor Bozen” seit 2015 eine zukunftsorientierte Stadtplanung. Die Vision umfasst eine sichere, lebenswerte Stadt mit grünen öffentlichen Räumen, die Fußgängern und Radfahrern Vorrang gewährt. In einer Stellungnahme wird nun Kritik geübt: Denn fast zehn Jahre später würden immer noch Vorschläge gemacht, die den motorisierten Verkehr und die Bebauung landwirtschaftlicher Flächen fördern. Angesichts der Klimakrise ruft lab zur sofortigen Berücksichtigung nachhaltiger stadtplanerischer Ansätze auf:
Eine sichere Stadt mit hoher Lebensqualität, Unterstützung des Einzelhandels, attraktiven öffentlichen Räumen, Stadtteilen mit eigenen lebendigen Zentren und Vorrang für Fußgänger und Radfahrer. Eine Stadt mit viel Grün, mit einer Aufwertung der städtischen Grünflächen, eine Stadt, die jeden Tag gesünder wird (Arch. Jan Gehl). Grüne Alleen und Wege zum Spielen, Bewegen und Laufen, die für alle Einwohner, ob jung oder alt, zugänglich sind (Slow City).
Auch heute, fast zehn Jahre später, lesen wir immer noch von Vorschlägen, die in die entgegengesetzte Richtung gehen: landwirtschaftliche Grünflächen rund um die Stadt sollen neuen Baugebieten weichen, schnelle Verkehrsadern, um den Verkehr durch die Stadt zu beschleunigen, Tiefgaragen im Stadtzentrum, die zusätzlichen Verkehr in die überlasteten Wohngebiete leiten, und immer noch Autos, die kostenlos auf öffentlichen Flächen geparkt werden und somit ein „gemeinsames“ Gut für private Zwecke in Anspruch nehmen.
Angesichts der sich verschärfenden Klimakrise fordern wir stattdessen die sofortige
Berücksichtigung anderer Kriterien, wie sie seit Jahren von vielen anerkannten Stadtplanern empfohlen werden:
Arch. Paolo Pileri (Professor für Raum- und Umweltplanung am Mailänder Politecnico) zur Nutzung des Bodens: Er stellt einen Vorschlag vor, ein kulturelles Projekt, eine neue Idee, die Stadt, Land und Bürger mit einbezieht. Eine „Pädagogik des Bodens“, die Schulen, Urbanistik, aber auch die Verantwortlichen für die Bodenbewirtschaftung einbezieht. “Bevor wir die Regeln ändern, müssen wir unsere Sichtweise ändern: Der Boden ist kein unendliches Gut, das beliebig vermehrt werden kann und daher geschützt werden muss. „Wir müssen lernen, mit der Natur zu handeln, uns zu verändern, mit unseren Gewohnheiten zu brechen. Wir dürfen dieses gigantische Kohlenstoffreservoir, den Boden, nicht weiter zerstören: Im ersten Meter Boden sind 1700 Milliarden Partikel Kohlenstoff gespeichert und er ist damit ein wichtiger Klimaregulator. Der Boden ist ein Körper, der aus Leben besteht, die ersten 30 cm davon sind unsere lebenswichtige Ressource“. Architekt Pileri erklärt, dass wir den Bodenverbrauch sofort stoppen müssen, indem wir ungenutzte Gebäude wiederverwenden. Die Klimakrise ist auch auf den Bodenverbrauch zurückzuführen: Wir müssen die Architektur überdenken, ein neues Konzept dafür entwickeln, Orte überdenken, dekonstruieren, das Schmarotzerleben vergessen… und uns ernsthafter um die Grünflächen in den Städten kümmern…“
Federico Parolotto (Architekt und Stadtplaner am Politecnico di Milano) in seinem Buch über Mobilität: „Sich in einem engen Raum bewegen – hin zu einer neuen Mobilität”: Es bleibt keine Zeit mehr, um die weitläufigen, zerstreuten Teile des Territoriums umzugestalten. Im Westen sind die Zeiten der großen Transformationen mit Bevölkerungsexplosion und Wirtschaftswachstum vorbei. In diesen Gebieten ist es notwendig, die Infrastruktur zu verändern, sie zu „despezialisieren“ und ein Netz für Mikromobilität zu schaffen. Die Mobilität ist viel weniger starr, als man denkt, ihre Ströme sind viel flexibler als die Studien des Sektors, die oft von einem „predict and provide“-Ansatz geprägt sind, der aus aktuellen Trends Zukunftsszenarien entwickelt. Ein echter Wandel in den Städten lässt sich wohl eher durch „decide and provide“ erreichen.
Das Konzept der langsamen Mobilität (30 km/h) muss weiterverfolgt werden!
Patrik Kofler der Firma Helios, die für viele europäische Städte (und auch für Bozen) Fahrrad- und Fußgängerprojekte entwickelt, argumentiert auch, dass durch eine
Geschwindigkeitsreduzierung auf 30 km/h die Unfälle auf den Straßen stark reduziert werden können, dass eine funktionelle Mixitè, eine gemischte Mobilität zwischen Autos, Fahrrädern und Fußgängern möglich ist (ohne dass die Straßenbeläge geändert werden müssen) im gegenseitigen Respekt der Bürger. Es muss in Projekte investiert werden, wie Rufbusse, Carsharing (auch auf Ruf) und Vorstadtparkplätze, für Autos aus den umliegenden Gemeinden (Pendler und Touristen). Die öffentlichen Dienste müssen voll funktionsfähig sein. Es bedarf vor allem einer neuen Kommunikationsmethode, um den Bürgern die Angst vor dem Unbekannten der notwendigen Veränderungen zu nehmen und den Mehrwert der vorgeschlagenen Veränderungen aufzuzeigen.
Mehr Lebensqualität mit weniger motorisiertem Individualverkehr und öffentliche Räume in menschlichem Maßstab, ein Konzept, das auch Jahn Gehl, dänischer Architekt und Berater für Stadtplanung, vertritt, der argumentiert, dass „die Stadt dem Menschen gehört und nicht dem Auto“ und dass die Autos von den Straßen entfernt werden müssen, indem jeder oberirdische Parkplatz in Rechnung gestellt wird. Hermann Knoflacher, Leiter des Instituts für Verkehrsplanung an der Technischen Universität Wien und Vater der nachhaltigen Mobilität, ist ebenfalls dieser Meinung, und zwar so sehr, dass er Autos „Stehfahrzeuge“ nennt, um anzugeben, wie viel Platz ein Auto mit 1,1 Personen im öffentlichen Raum einnimmt (eine statistische Zahl).
Zum Wohnungsproblem: Um erschwinglichen und wirtschaftlich tragfähigen Wohnraum zu haben, muss die öffentliche Hand in Mehrfamilienhäuser zur Miete investieren (siehe Beispiel Wien), da junge Menschen heute andere Ansprüche haben: Sie wollen flexibel bleiben, mindestens alle zehn Jahre die Stadt und das Land wechseln, entweder studiums- oder arbeitsbedingt. Es ist daher nicht klug, nur Subventionen für Eigentumswohnungen zu gewähren, die stattdessen den Wohnungsmarkt binden und statisch machen. Und schließlich: Wir brauchen eine Planung, die den Klimawandel berücksichtigt und sich nicht an einseitige Interessen privater Investoren orientiert (siehe PPP).