Schäuble prägte die deutsche Politik über Jahrzehnte

Deutscher Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist tot

Mittwoch, 27. Dezember 2023 | 14:38 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters/AFP

Der frühere deutsche Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist tot. Der CDU-Politiker sei im Kreise seiner Familie zu Hause am Dienstagabend gegen 20 Uhr friedlich eingeschlafen, teilte die Familie am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur mit. Der 81-Jährige starb nach langer schwerer Krankheit. Er war in seiner langen politischen Laufbahn Minister, CDU-Chef, Fraktionsvorsitzender und Präsident des Deutschen Bundestages. Niemand gehörte dem Parlament länger an als er.

Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg geboren. Er studierte Jus, es zog ihn aber früh in die Politik. Er trat 1965 in die CDU ein. 1972 errang er erstmals ein Mandat für den Deutschen Bundestag, dem er ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod angehörte.

Mit dem Namen Schäuble sind Jahrzehnte deutscher Politik verbunden. Unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) war er zunächst Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben, von 1989 bis 1991 deutscher Innenminister. Schäuble handelte nach dem Mauerfall in der DDR den Einigungsvertrag mit aus. Seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes auf ihn im Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl, seine politische Karriere ging aber weiter. Von 1991 bis 2000 führte er die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nach dem Machtverlust der Union 1998 wurde Schäuble im Zuge der Neuaufstellung der CDU Parteichef. Angela Merkel wurde Generalsekretärin.

In den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach Aussagen zu einer 100.000-Mark-Barspende trat Schäuble im Februar 2000 als CDU-Chef zurück. Merkel wurde Parteichefin, 2005 machte sie als Kanzlerin Schäuble zum Innenminister, vier Jahre darauf zum Finanzminister. Das Amt hatte Schäuble zwei Wahlperioden inne, er schafft die “schwarze Null”, also einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden.

Nach der Bundestagswahl 2017 wurde Schäuble als Nachfolger von Norbert Lammert zum Bundestagspräsidenten gewählt, das zweithöchste Amt im Staat. Das höchste Amt im Staat, das des Bundespräsidenten, blieb Schäuble verwehrt.

Nach der von der Union verlorenen Bundestagswahl 2021 zog sich Schäuble aus den Führungsgremien zurück. Im Bundestag wurde die SPD-Politikerin Bärbel Bas Präsidentin, Schäuble war nun einfacher Abgeordneter. In seiner Rede als Alterspräsident – jener Abgeordnete mit den meisten Dienstjahren – warb er für offenen Diskurs und selbstbewusste Abgeordnete.

In seiner Partei zählte Schäuble eher zu den konservativen Politikern, hinter den Kulissen hatte sein Wort stets Gewicht. Auf der anderen Seite hatte er früher als andere die CDU zur Offenheit für Bündnisse mit den Grünen aufgerufen. Schon 2007 sagte er der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”: “Schwarz-Grün ist nicht unser Wunsch, aber eine Option für die Union.” Im Ringen um die Kanzlerkandidatur 2021 schlug sich Schäuble auf die Seite des damaligen CDU-Chefs Armin Laschet und stellte sich gegen CSU-Chef Markus Söder.

Auch im Privaten spielte bei Schäuble oft die Politik eine Rolle. Schon Vater Karl Schäuble war CDU-Politiker und gehörte dem Badischen Landtag an. Schäubles jüngerer Bruder Thomas war ebenfalls Politiker, 13 Jahre lang war er Landesminister in Baden-Württemberg. 2013 starb er an den Folgen eines Herzinfarkts. Der CDU-Spitzenpolitiker Thomas Strobl war Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble, Tochter Christine, die ARD-Programmdirektorin, Strobls Ehefrau. Schäuble hinterlässt insgesamt vier Kinder und Ehefrau Ingeborg, mit der er seit 1969 verheiratet war.

Deutschlands Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier würdigte Schäuble als “Glücksfall für die deutsche Geschichte”. “Mit Wolfgang Schäuble haben wir einen großartigen Menschen und leidenschaftlichen Politiker verloren, der Historisches für unser Land erreicht hat”, schrieb Steinmeier am Mittwoch an die Witwe Ingeborg Schäuble. “Ein reiches Leben ist nun zu Ende gegangen – das Werk dieses herausragenden Staatsmannes und Menschen wird Bestand haben. Wir werden Wolfgang Schäuble nicht vergessen. Er hat sich um Deutschland und Europa verdient gemacht.”

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte Schäubles “beeindruckende und sehr lange Politiker-Karriere”. “Sein Intellekt, seine Freude an der demokratischen Auseinandersetzung, sein konservatives Weltbild und seine rhetorische Schärfe zeichneten ihn in all dieser Zeit ganz besonders aus”, hieß es in einer Erklärung des SPD-Politiker vom Mittwoch.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) würdigte ihren gestorbenen Vorgänger als “außergewöhnliche Persönlichkeit”. “Ihr Mann war ein Ausnahmepolitiker, leidenschaftlicher Parlamentarier und großer Europäer. Kaum jemand hat die deutsche Politik so lange maßgeblich mitgeprägt wie Wolfgang Schäuble”, schrieb Bas am Mittwoch an die Witwe.

Die frühere deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reagierte “mit großer Bestürzung” auf den Tod ihres langjährigen politischen Weggefährten. “Deutschland verliert mit ihm eine überragende Persönlichkeit mit politischer und programmatischer Weitsicht”, hieß es in einer Erklärung Merkels vom Mittwoch. “Wolfgang Schäubles Stimme werden wir in Deutschland vermissen, sein Rat wird mir persönlich fehlen.”

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz reagierte bestürzt auf den Tod Schäubles. Die Nachricht erfülle ihn mit großer Trauer, schrieb Merz am Mittwoch auf der Plattform X (früher Twitter). “Ich verliere mit Wolfgang Schäuble meinen engsten Freund und Ratgeber, den ich in der Politik je hatte. Meine Gedanken sind bei seiner Familie, insbesondere seiner Frau Ingeborg.”

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder würdigte die jahrzehntelange politische Leistung des verstorbenen CDU-Politikers. Dieser habe sich unter anderem als Innenminister, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, CDU-Vorsitzender und Bundestagspräsident “große Verdienste um Deutschland erworben”, schrieb der CSU-Vorsitzende am Mittwoch auf der Plattform X (früher Twitter). “Die CSU wird ihm ein ehrendes Andenken bewahren.”

“Kaum ein Politiker hat die jüngste deutsche Geschichte und unsere demokratische Kultur so geprägt wie Wolfgang Schäuble”, würdigte ihn die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne).

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) erklärte am Mittwoch: “Er reißt eine schmerzhafte Lücke, nicht nur als politische Ausnahmeerscheinung, sondern auch als politischer Intellektueller.” Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) reagierte ähnlich: “Unser Land verliert einen leidenschaftlichen Verteidiger unserer parlamentarischen Demokratie.” Über unterschiedliche politische Überzeugungen hinweg habe sie Schäuble als meinungsstarken und verlässlichen Menschen kennengelernt, der für die Politik und unsere Demokratie lebte.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht in Schäubles Tod einen schweren Verlust für Deutschland und Europa. “Nicht nur Wolfgang Schäubles Intellekt und seine Disziplin waren herausragend, sondern auch sein tiefer Respekt vor dem demokratischen Diskurs und seine Fähigkeit, sich immer wieder auf Neues einzulassen”, schrieb seine Parteifreundin am Mittwoch auf der Plattform X (früher Twitter).

“Ich bin tieftraurig, in Wolfgang Schäuble einen wahren treuen Freund zu verlieren”, erklärte Christine Lagarde, die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) am Mittwoch gegenüber “Zeit online”. Schäuble sei “ein wirklich überzeugter Europäer” gewesen, der seinem Land “mit seinem immensen Talent und seiner beeindruckenden Kraft” gedient habe.

Der französische Präsident Emmanuel Macron nannte den verstorbenen CDU-Politiker einen “Freund Frankreichs”. Der frühere Finanzminister habe “zur deutschen Wiedervereinigung, zum Aufbau des Euro und zur europäischen Einheit beigetragen”, schrieb Macron am Mittwoch im Onlinedienst X, vormals Twitter.