Auch Europa will sich wappnen

Die Ukraine sitzt am längeren Hebel – trotz Trump

Donnerstag, 20. Februar 2025 | 08:54 Uhr

Von: mk

Kiew/Moskau – US-Präsident Donald Trump macht alle sprachlos: Nach einem Treffen der Außenminister Marco Rubio und Sergej Lawrow in Riad in Saudi-Arabien, bei dem weder Vertreter der EU noch der Ukraine anwesend waren, meinte Trump in seinem Wohnsitz in Florida, die Ukraine trage selbst die Schuld an der russischen Invasion. Außerdem stellte er die Legitimität von Präsident Wolodymyr Selenskyj infrage und bediente damit ein russisches Narrativ. Dass wegen Trump alle auf die politische Arena starren und das Geschehen an der Front vergessen, ist jedoch möglicherweise ein Fehler.

Internationalen Friedensexperten zufolge gab es in den ersten Monaten des Krieges tatsächlich Chancen auf einen „Deal“ zwischen Russland und der Ukraine, der zwar eine weitgehende Demilitarisierung für die Ukraine sowie neue Landesgrenzen und Russisch als zweite Amtssprache vorgesehen hätte, berichtet die dpa. Darauf wäre die Ukraine vielleicht eingegangen. Friedensverhandlungen sind aber daran gescheitert, dass parallel die Gräueltaten der russischen Armee aufgedeckt wurden, die sie an der ukrainischen Zivilbevölkerung in besetzten Gebieten angerichtet hatte, unter anderem in Butscha.

Allem Anschein nach scheinen sich die USA unter der Führung von Trump mit Russland arrangieren zu wollen. Geheimdienstinformationen zufolge geht es Kreml-Herrscher Wladimir Putin nun in erster Linie darum, die USA von Europa und der Ukraine loszureißen. Gleichzeitig wird die vollständige Einverleibung der Ukraine als primäres Kriegsziel beibehalten.

Dass Russland einen echten Frieden will, dafür gibt es keine Anzeichen. Geplant sei vielmehr ein Waffenstillstand, damit Russland in der Zwischenzeit seine Kräfte sammeln und sich wieder aufrüsten kann. Ziel ist es unterdessen, die USA davon abzuhalten, die Ukraine in ihrem Abwehrkampf weiterhin militärisch und finanziell zu unterstützen.

Als Köder bietet Moskau den Amerikanern dafür unter anderem gemeinsame Projekte in der Arktis sowie die Aussicht auf eine Vorzugsschiene für US-Ölkonzerne bei Investitionen in russische Ölförderung und Raffinerien. Die Russen packen die Trump-Administration bei ihrer Gier – und haben offensichtlich Erfolg damit.

Die USA winden sich unterdessen weiter aus ihrer Verantwortung, die sie für die Ukraine unter Joe Biden übernommen haben. So erklärte Trump etwa, er habe zwar keine Einwände gegen die Stationierung europäischer Friedenstruppen in der Ukraine. Die USA würden ihrerseits keine Truppen dort stationieren müssen.

Trotzdem könnten Trump und seine Leute die Rechnung ohne den Wirt gemacht haben. Europa und die Ukraine scheinen politisch zwar in die Ecke gedrängt, doch gemeinsam stellen sie eine nicht zu unterschätzende Kraft dar.

In Kursk an der Front hat die Ukraine erst kürzlich wieder die Initiative zurückgewonnen, auch an anderen Frontabschnitten startete die Ukraine kleiner Offensiven. Moskaus Artillerievorteil ist von 10:1 zu Kriegsbeginn mittlerweile auf 2:1 geschrumpft. Während die russische Armee tagtäglich immense Verluste auf dem Schlachtfeld erleidet, hat die Ukraine auch in Sachen Drohnen die Nase vorn – nicht zuletzt dank technologischer Unterstützung aus Großbritannien, Dänemark, Norwegen und Deutschland. Aus einer geplanten Unterwerfung in drei Tagen wurde ein Krieg, der mittlerweile fast drei Jahre dauert, während die russische Schwarzmeerflotte nahezu zum Erliegen gekommen ist.

Einen Diktatfrieden – egal, ob ihn Russland oder die USA verlangen – werden die Ukrainer kaum akzeptieren. Trump könnte dies persönlich nehmen, weil er nicht schwach erscheinen will, und setzt das angegriffene Land womöglich weiter unter Druck.

Nach der Kehrtwende der USA in ihrer Ukraine-Politik haben trotzdem zahlreiche westliche Verbündete dem angegriffenen Land weitere Unterstützung zugesagt. “Wir stehen an der Seite der Ukraine und werden alle unsere Verantwortlichkeiten wahrnehmen, um Frieden und Sicherheit in Europa zu gewährleisten”, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach einer informellen Videoschalte, bei der neben Frankreich 19 europäische Länder und Kanada vertreten waren.

Die EU-Staaten haben sich auf ein neues Paket mit Sanktionen gegen den Aggressor Russland verständigt. Was jedoch entscheidend ist: Die Waffenproduktion ist in Europa angesprungen. Allein die deutsche Produktion von Granaten des Kalibers Kaliber 155 mm ist von null auf 50.000 pro Monat angestiegen.

Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas schlug vor, ein sechs Milliarden Euro schweres Paket mit neuen Militärhilfen zu schnüren, um der Ukraine das nötige Material zu liefern und die westliche Waffenproduktion anzukurbeln. Dieses könnte die Ukraine stärken, wenn der Krieg weitergehen sollte und damit auch als eine Art Sicherheitsgarantie dienen. Vorgesehen sind 3,5 Milliarden Euro für 1,5 Millionen Artilleriegeschosse, 500 Millionen Euro für Flugabwehrsysteme und zwei Milliarden Euro für Ausrüstung und Ausbildung von zwei ukrainischen Brigaden. Hatte die Ukraine im Sommer noch mit Munitionsproblemen zu kämpfen, sollen die Ukrainer im Jahr 2025 zusätzlich zu den 1,8 Millionen Granaten aus der tschechischen Initiative weitere zwei Millionen erhalten, schreibt der Militäranalyst, der den Telegramkanal „Military & Strategic“ betreibt.

Dass sich Europa wappnet und an einer neuen Sicherheitsarchitektur arbeitet, ist auch bitter nötig. Russlands imperialistische Bestrebungen sind nicht nur auf die Ukraine begrenzt, wie aus einem estnischen Geheimdienstbericht hervorgeht, den Anton Geraschtschenko, Berater des ukrainischen Geheimdienstes, bei X gekürzt veröffentlicht hat. In dem Geheimdienstbericht werden die russischen Bestrebungen hin zu einer „autarken Waffenproduktion“ als deutliche Warnzeichen gesehen, dass „eine potenzielle Bedrohung für die an Russland grenzenden Nato-Länder“ vorliegt.

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