Von: mk
Moskau – Kurz nach Kriegsbeginn hat Kreml-Despot Wladimir Putin unverhohlen damit gedroht: Sollte es nicht anders gehen, habe Russland immer noch die Möglichkeit, auf sein Atomwaffenarsenal zurück zu greifen. Weil Moskau sich völlig isolieren und auch neutrale Partner wie China oder Indien sich abwenden würden, halten Experten diesen Schritt allerdings für unwahrscheinlich. Doch es gibt auch noch ganz praktische Gründe, die gegen einen russischen Atomschlag sprechen.
Seit Russland seinen Angriffskrieg auf die Ukraine begonnen hat, hat Putin die Eskalationsschraube ständig weiter nach oben gedreht. Jüngstes Beispiel sind die Attacken auf das Stromnetz und die zivile Infrastruktur des Landes mitten im Winter.
Auch Atom-Drohungen haben Putin und seine Lakaien mehrmals ausgestoßen.
Viel Aufwand
Doch wenn die Welt in diesem Krieg etwas gelernt hat, dann das: Das russische Heer ist seit dem Fall der Sowjetunion lange nicht so gut aufgestellt und trainiert, wie westliche Analysten dies zunächst befürchtet haben.
Im Gegenteil: Vielmehr erweist sich das Heer als ineffizient. Ausrüstung und Kampftechnik wurden nicht ausreichend in Stand gehalten oder erneuert. Militärfahrzeuge, deren Reifen platzen, und beschädigte Kalaschnikows in den Händen von Soldaten sprechen eine deutliche Sprache. Könnte dasselbe auch auf das russische Atomwaffenarsenal zutreffen?
Laut einem Bericht der BBC verfügt Russland derzeit über 5977 Atomsprengköpfe. Rund 1.500 davon sollen betriebsbereit sein. Doch die Instandhaltung eines so großen Arsenals ist schwierig.
Laut der internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen haben die USA allein im Jahr 2021 insgesamt 44,2 Milliarden Dollar ausgegeben, um den eigenen Bestand an atomaren Sprengkörpern zu warten. Russland hat dagegen nur 8,6 Milliarden Dollar dafür bezahlt.
Konkrete Beweise
Russland besitzt weit mehr Atomwaffen als die USA. Wie kommt es, dass das Land für die Instandhaltung nur rund ein Fünftel des Budgets seines westlichen Konkurrenten benötigt?
Doch es gibt auch konkrete Beweise, dass russische Atomwaffen nicht funktionieren. Im November 2022 ließ Putin die Unterwasserdrohne Poseidon testen, die mit nuklearen Sprengköpfen versehen ist. Wie ein US-Funktionär berichtet, schlug der Test allerdings fehl.
Im Dezember 2022 hat der Kreml den Fehlstart einer weiteren interkontinentalen Rakete im Rahmen eines Tests eingeräumt.
Die Auswahl des Ziels
Ein weiteres Problem, das sich Putin in den Weg stellt, ist die Auswahl des Ziels, falls er sich für den Einsatz von Atomwaffen entscheidet. Den Einsatz einer taktischen Atomwaffe gegen eine Stadt in der Ukraine macht militärstrategisch wenig Sinn. Übrig bliebe der Abwurf auf dem Schlachtfeld. Doch auch das hat Nachteile.
Das ukrainische Heer befindet sich nicht konzentriert an einer Stelle, sondern ist viel zu verteilt. Jegliches militärische Ziel könne Russland auch mit konventionellen Waffen erreichen, erklärte Robert Kelly, Journalist der amerikanische Nachrichtenwebsite Axios.
Trotz allem hätte eine taktische Atombombe – trotz ihres geringeren Ausmaßes – verheerende Auswirkungen. Der Einsatz einer solchen Waffe hätte so gut wie sicher auch Auswirkungen auf das russische Heer.
Furcht vor Vergeltung
Doch spätestens seit der Teilmobilisierung in Russland weiß man: Putin kümmert das Wohl seiner Soldaten herzlich wenig. Was ihn am meisten vom Einsatz atomarer Sprengkörper abhält, ist die Furcht vor einer Reaktion des Westens und seiner Alliierten.
Es würde sich um einen Tabubruch handeln. Dass der Einsatz von Atomwaffen in einem Krieg plötzlich normal wird, würde selbst eingefleischte antiwestliche Regime abschrecken, erklärt Kelly.
Putin müsste außerdem mit einer militärischen Reaktion des Westens rechnen, die aber wohl eher konventionell ausfallen dürfte. Die USA könnten etwa die russische Schwarzmeerflotte versenken, eigene Truppen in die Ukraine schicken und noch andere Ziele angreifen. Der Schaden für Putin wäre damit zu groß.
Bei einem Angriff auf NATO-Territorium müsste Russland hingegen mit einem direkten Gegenschlag rechnen.