Manfred Honeck ist seit 2008 genauer Beobachter der US-Gesellschaft

Dirigent Honeck zu USA: “Tiefe Erleichterung ist spürbar”

Montag, 05. August 2024 | 05:01 Uhr

Von: apa

Er ist seit sechzehn Jahren ein Wandler zwischen den Welten und in seiner Funktion als Chefdirigent des Pittsburgh Symphony Orchestras ein profunder Kenner der USA: Manfred Honeck. Am 22. August startet die neue Europatournee des Orchesters bei den Salzburger Festspielen, die die Pittsburgher unter anderem auch nach Grafenegg (25. August), in die Hamburger Elbphilharmonie (3./4. September) oder am Ende zur Saisoneröffnung ins Wiener Konzerthaus (7. September) führen wird.

Außerdem ist auf Reference Recordings soeben die neueste Liveeinspielung der Pittsburgh Symphony veröffentlicht worden, die neben Mason Bates’ “Resurrexit” auch Bruckners 7. Symphonie umfasst, nachdem Honeck mit seinem Orchester in den Vorjahren bereits die 4. und 9. Symphonie des heurigen Jahresjubilars vorgelegt hat. Grund genug also für ein Gespräch mit dem 65-Jährigen über die Gräben in der US-Gesellschaft, die Chancen einer Frau auf die Präsidentschaft und die Frage, ob er selbst seinen Vertrag in Pittsburgh über 2028 hinaus verlängern möchte.

APA: Als wir vor vier Jahren anlässlich der Wahl von Joe Biden miteinander gesprochen haben, haben Sie die Hoffnung geäußert, dass es dem damals neuen US-Präsidenten gelingen könnte, die Wogen in der Gesellschaft zu glätten. Ist dies der Fall?

Manfred Honeck: Biden hat sicherlich viele Dinge gemacht, die dazu geeignet waren, die Wogen zu glätten. Aber man merkt nach wie vor deutlich die Spaltung im Land, nicht zuletzt in den Swing States. Die Menschen sprechen nicht immer offen darüber, aber man hatte schon das Gefühl, dass Biden in der Präsidentschaft nicht souverän aufgetreten ist. Ihm hat jetzt das unsägliche Duell das Genick gebrochen, aber auch schon vorher hatten viele das Gefühl, dass andere Menschen im Hintergrund die Fäden gezogen haben. Dominant ist deshalb das Gefühl der Unsicherheit – sei es im Hinblick auf die Wirtschaft, seien es die turbulenten Zeit an sich, in denen auf einen Präsidentschaftskandidaten geschossen wird oder ein amtierender Präsident gar nicht mehr zur Wahl antritt.

APA: Sie begleiten Ihr Orchester in der einstigen Stahlstadt Pittsburgh seit 2008. Macht sich die Unsicherheit, die Polarisierung auch unter Ihren Musikerinnen und Musikern bemerkbar?

Honeck: Die bemerkt man bei uns überhaupt nicht. Weder im Haus noch im Orchester wird bei uns über Politik gesprochen. Auch in meinen Meetings ist nie der Name eines Kandidaten oder einer Partei gefallen. Das Orchester selbst ist so souverän, sich auf das künstlerische Ergebnis zu fokussieren, egal, wer Präsident ist.

APA: Hat es Sie letztlich überrascht, dass die Demokraten sich noch zum Wechsel des Kandidaten aufraffen konnten?

Honeck: Nach den letzten Ereignissen eigentlich nicht. Als nach dem Duell die mediale Welle losgegangen ist, wäre es ein Wunder gewesen, wenn er dort noch einmal rausgekommen wäre.

APA: Wie sehen Sie die neue demokratische Kandidatin Kamala Harris? Wurden sie zuvor unterschätzt oder jetzt überschätzt?

Honeck: Kamala Harris ist an der Seite von Joe Biden letztlich kaum wahrgenommen worden. Aber jetzt ist eine tiefe Erleichterung spürbar. Biden hätte es schwer gehabt gegen Trump. Wenn die Demokraten weiterhin auf der Begeisterungswelle schwimmen können, haben sie eine Chance.

APA: Trauen Sie sich grundsätzlich eine Prognose zum Wahlausgang zu?

Honeck: Das Land ist wirklich gespalten. Wenn die Republikaner einen Weg finden, die Welle zu brechen, könnte es sein, dass Trump es wieder gelingt. Der Attentatsversuch auf ihn war kurzzeitig in aller Munde – zu dem Zeitpunkt hätte er haushoch gewonnen. Das ist momentan aber in den Hintergrund getreten. Aber die Republikaner werden alles in Bewegung setzen, um auf die Unzufriedenheit mit Kamala Harris in ihrer Zeit als Vizepräsidentin aufmerksam zu machen. Und ich weiß, dass es in Amerika ein Thema ist, dass sie die erste Frau als Präsidentin wäre. Auch wenn nicht wirklich darüber gesprochen wird und es heutzutage kein Thema mehr sein sollte, würde eine Frau an der Spitze doch für viele ein Umgewöhnen bedeuten. Bei Hillary Clinton war das durchaus ein Aspekt, über den diskutiert wurde.

APA: Die erste Trump-Präsidentschaft fiel letztlich moderater aus als von vielen in Europa befürchtet. Erwarten Sie im Fall der Fälle Ähnliches bei seiner Wiederwahl?

Honeck: Wenn man erstmals Präsident ist, möchte man wiedergewählt werden. Beim zweiten Mal muss man niemandem mehr gefallen. Aber man darf diesen Punkt auch nicht überschätzen. So frei ist ein Präsident auch wieder nicht. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass sich Amerika von der NATO trennt. Die Grundfrage wird immer sein, was dem Land nutzt.

APA: Erwarten Sie irgendwelche Auswirkungen auf die Kulturszene, welcher Kandidat gewinnt?

Honeck: Ich glaube nicht, dass es in diesem Bereich Verschiebungen geben wird. Es wird weder beim einen oder der anderen passieren, dass der Staat eine Position in der Kulturförderung einnimmt, wie wir das aus Europa kennen. Und ob ein Republikaner oder eine Demokratin an der Macht ist, ist für unsere Sponsoren irrelevant.

APA: Apropos: Wie steht das Pittsburgh Symphony Orchestra nach dem Coronaeinbruch heute wirtschaftlich da?

Honeck: Momentan geht es uns gut, und wir sind dankbar über die Unterstützung unserer Sponsoren. Aber es ist immer die Frage: Dürfen wir zufrieden sein? Nein. Man darf hoffen, dass wir wieder auf den Stand vor Corona kommen, und ich bin da sehr optimistisch.

APA: Die nun wieder startende Europatournee trägt hierzu bei?

Honeck: Absolut. Die Tourneen gehören zur Tradition des Pittsburgh Symphony Orchestras. Wir gehen in die Welt hinaus, und das ist auch von den Sponsoren gewünscht. Wir sind Botschafter unserer Stadt.

APA: Trotz neuer Bruckner-CD und dem laufenden Bruckner-Jahr haben Sie bei Ihren Tourneeauftritten jedoch kein Stück des Jahresjubilars im Gepäck…

Honeck: Mir persönlich liegt Bruckner sehr am Herzen, aber wir mussten uns nach der Rückmeldung der Veranstalter dagegen entscheiden. Im 200-Jahr-Jubiläum wird Bruckner allerorten natürlich viel gespielt, was an sich ja schön ist, weshalb man von uns anderes hören wollte. Deshalb fokussieren wir uns auf unsere CD-Aufnahme der 7. Symphonie. Ich möchte, dass Bruckner als Mensch in seiner Gesamtheit gesehen wird. Er war nicht nur Professor und Meister des Kontrapunkts. Man vergisst oft seine Nähe zur Volksmusik. Bruckner hat die Unterhaltungsmusik seiner Zeit in- und auswendig gekannt! Deshalb möchte ich, dass man ihn bei unserer Einspielung nicht nur als Religiösen oder Puristen wahrnimmt.

APA: Ihr Vertrag in Pittsburgh läuft derzeit bis 2028. Hätten Sie Interesse an einer abermaligen Verlängerung?

Honeck: Ich bin vollkommen glücklich mit der Qualität des Orchesters. Aber natürlich bin ich 2028 schon 70 Jahre alt. Als ich begonnen habe, war ich altersmäßig im Mittelfeld der Dirigenten. Und mittlerweile bin ich einer der Älteren! (lacht) Plötzlich ist man der Elder Statesman. Je älter man wird, desto mehr glauben die Menschen, man besäße Weisheit. Das trifft trotz meiner zunehmend grauen Haare nicht zu. (lacht) Aber man freut sich, wenn man Stücke tiefer verstehen kann dank der Erfahrung. Aber es sind noch vier Jahre, bis mein Vertrag endet. Die Entscheidung hat also noch Zeit.

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

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