Attacken im Herzen von Moskau

Drohnenangriffe: Wagen sich die Partisanen aus dem Untergrund?

Mittwoch, 10. Mai 2023 | 07:55 Uhr

Von: mk

Moskau – Wer hinter dem Drohnen-Anschlag auf den Kreml steckt, ist nach wie vor unklar. Moskau beschuldigt die Ukraine und die USA als Drahtzieher im Hintergrund. Doch selbst eingefleischte Putin-Anhänger in Russland zweifeln daran. Vielmehr wird vermutet, dass sich Partisanen endlich trauen, aus dem Untergrund hervorzutreten.

Dass der Kreml selbst für das Attentat verantwortlich ist, schließt ein russischer Journalist aus, der der Verfolgung des Regimes entkommen konnte und heimlich mit Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeitet. „Das wäre ein Eigentor gewesen, denn das hätte den Russen und der Welt die Verletzlichkeit vom ‚System Putin‘ vor Augen geführt, was auch das letztendliche Ziel der Attacke war“, erklärt der Journalist laut einem Bericht der Online-Ausgabe des Avvenire.

Einen ersten Erfolg, den Partisanen verbuchen konnten, ist die Blockade des GPS-Systems in Moskau. Anwohner können kein Taxi mehr rufen, ein Fahrrad ausleihen oder ein auf Satellitentechnik gestütztes Navi benutzen. Weil man im Kreml erneute Sabotageakte befürchtete, wurde das Aus von ganz oben angeordnet.

Doch wer sind die Partisanen eigentlich? Dahinter steckt zum Einen die rückwärtsgewandte „Boak“, deren Kürzel so viel wie „anarchistisch-kommunistische Kämpferorganisation“ bedeutet und die stark ideologisch motiviert ist. Dann gibt es zum Anderen das russische bzw. weißrussische Netzwerk „Stop the wagons”. Dessen Angriffe konzentrieren sich auf Bahnverbindungen, die militärisch für den Transport von Truppen und Waffen von Bedeutung sind.

In Minsk ist hingegen die Untergrundorganisation „Bypol“ aktiv, die im Wesentlichen aus Polizisten und Ex-Polizisten besteht und sich auf den Einsatz von Drohnen spezialisiert hat. Ende Februar hat die Gruppe auf einem Flugplatz in der Peripherie von Minsk eine Drohne mit Sprengstoff über einen russischen Flieger platziert. Der Rumpf des Flugzeugs wurde völlig zerstört.

In manchen Fällen bekennen sich Attentäter zu den Anschlägen gegen das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des weißrussischen Machthabers Alexander Lukaschenko. Meistens bleibt die Urheberschaft allerdings im Dunkeln. Die Bandbreite reicht von Attacken auf strategische oder symbolische Ziele bis hin zu gezielten Mordanschlägen auf Personen.

Zuletzt wurde am 6. Mai 2023 der russische Propagandist Sachar Prilepin laut einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur TASS in der Stadt Nischni Nowgorod bei einem Autobombenanschlag verletzt. Sein Fahrer kam ums Leben. In der Vergangenheit hatte Prilepin erklärt, an bewaffneten Einsätzen im Donbass beteiligt gewesen zu sein. Vom Kreml wurde er ausgezeichnet und zum Vizeintendant des Theaters in Moskau ernannt.

Kurz nach dem Anschlag wurde ein Mann verhaftet. Laut russischer Antiterror-Behörde habe der Mann sofort gestanden, im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes gehandelt zu haben.

Bereits im Juli 2022 wurden 23 gelegte Brände auf russischem Territorium verzeichnet. Ziele waren Büros zur Einberufung beim Heer. Trotz unterschiedlicher Ausrichtung vereint die Untergrundbewegungen ein Wunsch: Alle träumen von einer Zukunft Russlands ohne Waldimir Putin und seinen Lakaien.

Im Osten der Ukraine operiert unter anderem die „Legion für Freiheit“. Sie besteht gänzlich aus russischen Oppositionellen. Die Organisation hat an der Seite der Ukrainer im Donbass gegen das russische Heer gekämpft. Dort erfolgte schrittweise auch die militärische Ausbildung der Mitglieder. Bislang hielt sich die Organisation bedeckt und war auf strengste Geheimhaltung bedacht. Nun wagt sie sich immer mehr ins Licht der Öffentlichkeit. Gegen einen Kämpfer, der sich „Caesar“ nennt, wurde in Russland ein Haftbefehl erlassen – für die Gruppe ein Beweis dafür, wie nervös man im Kreml ist.

Auch um anderen Menschen in unterschiedlichen Regionen Russlands Mut zu machen und um ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, wollen sich die Mitglieder der „Legion“ nicht mehr verstecken. Aus diesem Grund suche man auch das Gespräch mit Journalisten, erklären die Vertreter der Gruppe.

„Hälfte der Bevölkerung steht hinter Putin“

Dass die Bevölkerung in Russland als Ganzes aufbegehrt und dass es zu größeren Protesten kommt, bezweifeln allerdings viele – unter anderem auch Boris Belenkin, der Direktor der Bibliothek von „Memorial“, einer internationalen Nichtregierungsorganisation, die auf dem Gebiet der Menschenrechte tätig ist und als Bürgerrechtsbewegung während der Perestrojka-Zeit in der früheren Sowjetunion entstand. Ziel der Organisation ist es, die Auswirkungen der Gewaltherrschaft des Stalinismus aufzuarbeiten und der Opfer zu gedenken. Der erste Vorsitzende der Gesellschaft war der Atomphysiker, Dissident und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow.

„Die Haftstrafen werden immer länger – auch für jene, die sich nur in den sozialen Netzwerken gegen den Krieg ausgesprochen haben“, erklärte Belenkin gegenüber rainews.it. Gleichzeitig geht er davon aus, dass rund die Hälfte der Bevölkerung in Russland immer noch hinter Putin steht.