70 Männer sollen sich ergeben haben

Druck auf Israel zu Zurückhaltung im Gaza-Krieg wächst

Donnerstag, 14. Dezember 2023 | 22:31 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters/AFP

Knapp zehn Wochen nach Beginn des Gaza-Kriegs wächst der Druck auf Israel, in seinem Kampf gegen die islamistische Hamas mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen. Auch die Kritik an Gewalt israelischer Siedler im Westjordanland wird lauter. Einem Bericht zufolge halten die USA bereits Waffenlieferungen zurück, aus Sorge, sie könnten in die Hände radikaler Siedler gelangen. Großbritanniens Außenminister David Cameron kündigte Einreiseverbote für radikale Siedler an.

US-Präsident Joe Biden selbst forderte Israel auf, beim militärischen Vorgehen im Gazastreifen “vorsichtiger” zu sein. “Ich möchte, dass sie sich darauf konzentrieren, wie sie das Leben von Zivilisten retten können. Sie sollen nicht aufhören, die Hamas zu verfolgen, sondern vorsichtiger sein”, sagte Biden am Donnerstag. Der US-Präsident äußerte sich am Rande einer Veranstaltung zu Kosten von verschreibungspflichtiger Medizin. Er reagierte auf die Frage einer Journalistin, ob er wolle, dass Israel seine Angriffe im Gazastreifen zurückfahre.

In der Frage, wie es in Gaza nach dem Krieg weitergehen soll, tut sich ebenfalls eine Kluft zwischen Israel und seinen Verbündeten auf. Während eine Zweistaatenlösung international weiterhin als bester Weg zu einer friedlichen Koexistenz von Israelis und Palästinensern gilt, säten Vertreter der israelischen Regierung erneut Zweifel an einer solchen Lösung.

Das Westjordanland und der Gazastreifen müssen nach Darstellung der USA unter eine gemeinsame Regierung gebracht werden. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagt dem israelischen Sender Channel 12, die Palästinenser-Regierung müsse dazu “umgestaltet und neu belebt” werden. Die auch als Autonomiebehörde bekannte Regierung kontrolliert gegenwärtig das Westjordanland, während die radikal-islamische Hamas im Gazastreifen herrscht.

Sullivan hat nach Angaben des Weißen Hauses mit der israelischen Führung über einen möglichen Übergang zu militärischen “Operationen geringerer Intensität” in Gaza gesprochen. Das sei ein Thema für “irgendwann in der nahen Zukunft”, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, am Donnerstag in Washington. “Ich möchte mich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt festlegen.” Man wolle der islamistischen Hamas auch nicht mitteilen, was in den den kommenden Wochen oder Monaten auf sie zukommen werde. Wie eine solche militärische Operation aussehen könnte, sagte Kirby nicht und verwies auf die israelische Regierung.

Sullivan wollte am Donnerstag nach Angaben des Weißen Hauses mit Israels Premierminister Benjamin Netanyahu und dem Kriegskabinett über die nächste Phase der militärischen Operationen im Gazastreifen sprechen. Es gehe darum, präziser vorzugehen und den Schaden für die Zivilbevölkerung zu verringern. Daneben sollte auch die Öffnung des Grenzübergangs Kerem Shalom für Hilfslieferungen in den Gazastreifen auf der Tagesordnung stehen.

Der Krieg zwischen Israel und der Hamas wird nach Überzeugung des israelischen Verteidigungsministers “mehr als einige Monate” andauern. “Die Hamas ist eine Terrororganisation, die sich über ein Jahrzehnt hinweg aufgebaut hat, um Israel zu bekämpfen”, sagte Verteidigungsminister Joav Gallant nach Angaben seines Büros am Donnerstag bei dem Treffen mit Sullivan in Tel Aviv. Die von den USA und der EU als Terrororganisation eingestufte Hamas habe “Infrastrukturen unter und über der Erde errichtet”, weswegen es nicht leicht sei, sie zu zerstören, sagte Gallant. Letzten Endes werde Israel jedoch gewinnen und die Hamas vernichten.

Netanyahu hatte am Vortag Forderungen nach einer Waffenruhe mit deutlichen Worten zurückgewiesen. “Wir machen weiter bis zum Ende, bis zum Sieg, bis zur Zerstörung der Hamas, auch angesichts internationalen Drucks”, sagte er am Mittwoch vor Soldaten nach einer Mitteilung des Regierungspresseamtes. “Nichts wird uns aufhalten.”

Einem Bericht des Nachrichtensenders CNN zufolge sind etwa 40 – 45 Prozent der von Israel im Gaza-Krieg abgeworfenen Luft-Boden-Munition nicht präzisionsgelenkt. Der US-Sender bezog sich bei seinen Angaben auf Geheimdienstinformationen. Israel habe seit dem 7. Oktober insgesamt rund 29 000 Stück Munition gegen Ziele am Boden eingesetzt. Ungelenkte Munition sei in der Regel weniger präzise und könne eine größere Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen, hieß es in dem Bericht.

Die israelische Militärsprecherin Keren Hajioff sagte am Mittwoch, das Militär plane seine Einsätze sehr genau und setze spezielle Munition ein, um zivile Opfer möglichst zu vermeiden. US-Präsident Joe Biden hatte zuvor kritisiert, Israel beginne durch sein “willkürliches Bombardement” an Unterstützung zu verlieren.

Auslöser des Kriegs war das schlimmste Massaker in der Geschichte Israels, das Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober in Israel verübt hatten. Mehr als 1.200 Menschen wurden dabei getötet und rund 240 Geiseln nach Gaza verschleppt. Israel reagierte mit massiven Luftangriffen und begann Ende Oktober mit einer Bodenoffensive. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums kamen bisher rund 18.000 Menschen im Gazastreifen ums Leben.

Die USA zögern einem Zeitungsbericht zufolge mit einer Lieferung von mehr als 27.000 Gewehren, die für Israels Polizei bestimmt sind. Die Regierung habe Bedenken, dass die Waffen auch in die Hände radikaler Siedler im Westjordanland gelangen könnten, schrieb das “Wall Street Journal” am Donnerstag (Ortszeit) unter Berufung auf nicht namentlich genannte Regierungsbeamte. Die bisherigen Zusicherungen Israels, dass die Gewehre nur bei der Polizei verblieben, reichten demnach nicht aus. Das US-Außenministerium habe deshalb konkrete Schritte gefordert, mit denen die von Siedlern im Westjordanland ausgehende Gewalt gegen Palästinenser eingedämmt werde, so die Zeitung.

Der Ministerpräsident der Palästinenser-Regierung sieht einen konkreten Plan für eine Zwei-Staaten-Lösung als Voraussetzung für Frieden im Nahen Osten. “Gebt uns einen politischen Horizont”, forderte Mohammed Shtajjeh in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters am Donnerstag. Was die Palästinenser bräuchten, sei ein Ende des israelisch-palästinensischen Konflikts und die Umsetzung einer Zwei-Staaten-Lösung. Die USA hätten es bisher versäumt, ihren Einfluss wirksam geltend zu machen. Dabei seien sie das Land mit dem größten Gewicht in der Region und könnten Israel dazu auffordern, den Krieg zu beenden.

Die israelische Botschafterin im Vereinigten Königreich, Tzipi Hotovely, schließt dagegen eine Zweistaatenlösung im Anschluss an den Krieg in Gaza aus. In einem Interview mit dem britischen Nachrichtensender Sky News sagte sie auf mehrfache Nachfrage, eine Zweistaatenlösung komme “absolut nicht” infrage für die Zeit nach dem Gazakrieg. Der Osloer Friedensprozess sei gescheitert, weil die Palästinenser nie einen eigenen Staat an der Seite Israels gewollt hätten, sondern einen, der das Staatsgebiet Israels umfasse, sagte die ultrarechte Ex-Politikerin, die bereits mehrere Kabinettsposten in ihrer Heimat bekleidete. Der israelische Minister für soziale Gleichheit, Amichai Chikli, von der Regierungspartei Likud schloss sogar die Errichtung von israelischen Siedlungen im Gazastreifen nicht aus.

Israel bat einem Medienbericht zufolge Ägypten um die Vermittlung eines neuen Geisel-Deals mit der Hamas und der Aushandlung einer Feuerpause. Teil eines solchen Abkommens solle auch eine Feuerpause im Gazastreifen und in Israel sein, berichtete die arabischsprachige Zeitung Al Arabi Al Jadid am Donnerstag. Die Hamas bestätigte, Vermittler seien in “ernsthaften Gesprächen über eine Feuerpause”. Ein hochrangiger Hamas-Funktionär sagte der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag, es werde keinen Austausch von Geiseln und Gefangenen geben, bevor eine Waffenruhe in Kraft trete.