Zweitsprachenlehrer nehmen Stellung

Ein Kindergarten, zwei Sprachen: “Ein Schritt in die Zukunft”

Sonntag, 20. Oktober 2024 | 07:55 Uhr

Von: luk

Bozen – In den letzten Wochen wurde über den Vorschlag einer speziellen Arbeitsgruppe berichtet, die von der Bozner Stadtverwaltung eingesetzt wurde, um einen Antrag von einer Stadträtin aus dem Jahr 2022 weiterzuverfolgen, der vom Stadtrat angenommen wurde.

Die Idee besteht darin, eine Kindergartenabteilung einzurichten, in der Italienisch und Deutsch gleichberechtigt unterrichtet werden.

Eine Gruppe von Zweitsprachenlehrer und Zweitsprachenlehrerinnen unterstützt diesen Vorschlag nachdrücklich.

Nach Ansicht der Lehrerinnen und Lehrer sei es dringend notwendig, sich von der Vorstellung zu verabschieden, dass zuerst die Muttersprache gut verankert werden muss und die Zweit- oder Fremdsprache erst später erlernt werden soll. Dies sei eine mittlerweile überholte Ansicht, die durch mehrere unabhängige sprachwissenschaftliche und neurowissenschaftliche Studien und vor allem durch die stetig zunehmende Zahl der zweisprachigen Kinder widerlegt worden sei.

Dass dringender Handlungsbedarf besteht, erweise sich im Arbeitsalltag der Zweitsprachenlehrer: “Die Kenntnisse der zweiten Sprache sind – von Ausnahmen abgesehen – noch immer zu gering, insbesondere im Hinblick auf die Anzahl der angebotenen Unterrichtsstunden. Den Schülern mangelt es an einer echten Motivation, die zweite Sprache zu lernen, was nicht immer nur an den Lehrpersonen liegt. In einem inklusiven schulischen Umfeld wäre diese Motivation durch die fortwährende direkte Kommunikation mit den Mitschüler viel unmittelbarer.”

“Die Verbesserung der Sprachkenntnisse wäre also der erste große Vorteil für beide Sprachgruppen. Dazu kommt, dass eine im Kindergarten beginnende zweisprachige Erziehung dazu beitragen könnte, das hartnäckige Misstrauen zu überwinden, das sich mitunter noch gegenüber der jeweils anderen Sprachgruppe zeigt. Man hält an den alten, langlebigen Stereotypen fest, weil man ‘den Anderen’ gar nicht wirklich kennt. Wie viele unserer Schüler haben denn Freunde aus der anderen Sprachgruppe? Nur sehr wenige”, betonen die Lehrer.

Zu eventuellen Bedenken wegen eines vermeintlich drohenden Verlusts der eigenen kulturellen Identität bestehe kein Anlass, da vertiefte und lebendige sprachliche Fertigkeiten dieses Identitätsgefühl bestenfalls bereichern und absichern könnten.

“Als Lehrer befinden wir uns in der paradoxen Situation, dass wir zwar im Klassenzimmer das Modell einer offenen und integrativen Gesellschaft vorleben, dass unsere Jugendlichen aber schon im Kindergarten, der ersten vorbereitenden Station ihrer Schullaufbahn, den real existierenden Separatismus als prägende Tatsache erleben. Es ist an der Zeit, diese Farce endlich zu beenden. Außerdem würde die zweisprachige Schule eine Gesetzeslücke schließen, durch die weder die Rechte der immer größer werdenden Gruppe der Zweisprachigen noch die Rechte derer geschützt werden, die zweisprachig werden wollen. Wenn wir diese Chance nicht nützen, riskieren wir, den Zug in eine Zukunft zu verpassen, in der sich die Kulturen gegenseitig ergänzen und bereichern, ohne Angst haben zu müssen, dass die eine von der anderen verschluckt wird“, heißt es abschließend.

Bezirk: Bozen

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