Schallenberg im Gespräch mit Borrell und Kuleba

EU-Außenminister tagen in Kiew

Montag, 02. Oktober 2023 | 14:32 Uhr

Von: apa

Die EU-Außenminister sind am Montag in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zu einem informellen Ratstreffen zusammengekommen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte das Treffen vor knapp zwei Wochen angekündigt, aus Sicherheitsgründen aber kein genaues Datum genannt. Für den aus Wien angereisten Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) geht es dabei um ein “starkes Signal der Solidarität” mit der Ukraine, die sich seit Februar 2022 gegen den Angriffskrieg Russlands wehrt.

Ähnlich äußerten sich seine Amtskollegen bei ihrem Eintreffen am Tagungsort. Die neue niederländische Außenministerin Hanke Bruins Slot etwa sprach von einem “Zeichen der Einigkeit” und beschwor die Haltung von der Unterstützung der EU für die Ukraine und ihre territoriale Integrität, “so lange sie nötig ist”.

Noch vor dem Treffen gedachten die Außenminister an der “Mauer der Erinnerung” den ukrainischen Kriegsopfern. Das Denkmal war bereits errichtet worden, nachdem Russland im Jahr 2014 die Schwarzmeer-Halbinsel Krim von der Ukraine annektiert hatte und im östlichen Donbass pro-russische Separatisten mit Unterstützung Moskaus einen Kampf zur Loslösung von der Ukraine begonnen hatten. Die Eröffnung des informellen Ratstreffens nahm der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor.

Es handelt sich, abgesehen von Räten, die während der jährlichen UNO-Generalversammlung im Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York stattfanden, um das erste Mal, dass ein Außenministerrat nicht in der EU, sondern in einem Drittstaat stattfindet. Borrell und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprachen in einem gemeinsamen Pressestatement von einem “historischen Ereignis”.

Borrell war bereits am Samstag in der Ukraine eingetroffen. Bei einem Besuch in der Schwarzmeer-Stadt Odessa sicherte er dem Land den anhaltenden Beistand Europas im Kampf gegen Russland zur “Wiederherstellung seiner territorialen Integrität” zu, auf politischer, wirtschaftlicher und diplomatischer Ebene. Den Sonntag hatte er schon in Kiew verbracht. Auf Twitter (X) schrieb der EU-Außenbeauftragte, die Minister würden in Kiew seinen Vorschlag, der Ukraine längerfristige Finanzierungszusagen für Militärhilfe zu machen und mit EU-Geld auch die Lieferung moderner Kampfjets und Raketen zu unterstützen, erörtern. Borrell strebt an, zwischen 2024 und Ende 2027 jährlich fünf Milliarden Euro dafür zu mobilisieren. Beschlüsse sind in Kiew allerdings nicht zu erwarten, zumal es sich um ein informelles Treffen handelt.

Auch für Schallenberg ist es an der Zeit, die Unterstützung für die Ukraine in eine “langfristige Zusammenarbeit” umzuwandeln, insbesondere zur Stärkung der ukrainischen Justiz und der Korruptionsbekämpfung. “Korruption ist Gift für jede Investition in den Wiederaufbau der Ukraine”, sagte der ÖVP-Politiker mit Blick auf die zig milliardenschwere Finanzhilfe aus Europa für Kiew und die Investitionen von rund 600 österreichischen Unternehmen, die in der Ukraine präsent sind.

Die Ukraine erhielt nach Kriegsbeginn den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Damit die Beitrittsverhandlungen beginnen können, muss Kiew aber noch mehrere Punkte erfüllen. Im Kandidatenstatus sieht Schallenberg einen “langfristigen Hebel” zu Schaffung eines vollwertigen Rechtsstaats in der Ukraine.

Mehrere der 27 Außenminister kamen nicht nach Kiew, darunter jene aus Ungarn und aus Polen. Der ungarische Außenminister Péter Szijjártó hatte sogleich abgesagt. Ungarn hat durchaus Vorbehalte gegen die Russland/Ukraine-Politik der EU. Der polnische Chefdiplomat Zbigniew Rau ist dem Vernehmen nach an Corona erkrankt. Auch er ließ sich vertreten. Die Unterstützung für die Ukraine in ihrer bisherigen Form war zuletzt im polnischen Wahlkampf von der Regierung der national-konservativen PiS-Partei infrage gestellt worden.

Thema in Kiew war auch der Wahlsieg von Robert Fico bei der Parlamentswahl in der Slowakei am Wochenende. Fico hatte im Wahlkampf angekündigt, der Ukraine keine militärische Hilfe mehr zu leisten, sollte er an die Regierung kommen. Noch am Montag sollte Fico in Bratislava den Auftrag zur Bildung einer Regierung bekommen. Es ist aber noch unklar, ob er die nötigen Koalitionspartner findet. Kuleba meinte, es sei noch zu früh zu sagen, wohin das slowakische Wahlergebnis mündet.

Auch die Kompromisseinigung zwischen Republikanern und Demokraten im US-Kongress über einen Übergangshaushalt beschäftigte die EU-Minister. Das Budgetprovisorium enthält keine weitere Unterstützung für Ukraine. Der dänische Außenminister Lars Lökke Rasmussen wertete die Vorgänge in den USA als Anlass für Europa, “noch mehr für die Ukraine zu tun”, auch “um das starke transatlantische Signal zu senden, dass wir für das, was auf unserem Boden passiert, Verantwortung übernehmen”. Zugleich verwies er auf die Aussagen von US-Präsident Joe Biden, wonach Washington nicht aufhören werde, die Ukraine zu unterstützen.

Schallenberg analysierte die gegenwärtige Lage im Krieg folgendermaßen: “Wir befinden uns mitten in einem Abnützungskrieg, wir stehen vor dem zweiten Kriegswinter”. Russland greife nun wieder gezielt die ukrainischen Energieversorgungssysteme an – es herrsche täglich “Terror aus der Luft über das gesamte Staatsgebiet”.

Scharfe Kritik an dem Kiewer Treffen kam am Montag von der FPÖ. Deren Europasprecherin Petra Steger nannte die Zusammenkunft in einer Aussendung eine “historische Dummheit”. Zudem äußerte die freiheitliche Nationalratsabgeordnete Bedenken, dass Österreich als neutrales Land “an dieser Sondersitzung in der Ukraine teilnimmt”.