EU-Ratschef Costa lädt zu einem Gipfel zu Verteidigungsfragen

EU-Gipfel zu Verteidigung mit britischem Premier Starmer

Dienstag, 04. Februar 2025 | 01:49 Uhr

Von: APA/dpa/AFP

Die EU will wegen der aktuellen Bedrohung aufrüsten, die Finanzierung blieb jedoch unklar. Die EU-Staats- und Regierungschefs berieten am Montag bei einer “informellen Klausur” in Brüssel ein, wie Europa “widerstandsfähiger, effizienter, autonomer im Bereich Sicherheit und Verteidigung” gemacht werden kann. NATO-Generalsekretär Mark Rutte und der britische Premier Keir Starmer nahmen ebenfalls teil. Österreich war durch Interimskanzler Alexander Schallenberg (ÖVP) vertreten.

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erteilte neuen Gemeinschaftsschulden eine Absage. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, sie wolle stattdessen “mehr Flexibilität” für einzelne Mitgliedsländer bei der Anrechnung der Verteidigungsausgaben auf die Defizite prüfen. Ihre Kommission schätzt den Finanzbedarf auf 500 Milliarden Euro.

Mehr Flexibilität statt eines gemeinsamen Verteidigungsfonds

“Die Europäische Union hat nicht die Perspektive, gemeinsame Schulden aufzunehmen”, stellte Scholz nach dem Gipfel klar. Länder wie Italien und Frankreich hatten einen Verteidigungsfonds nach dem Modell der Corona-Pandemie gefordert, als die EU 750 Milliarden Euro aufgebracht hatte.

Von der Leyen setzt stattdessen auf eine flexiblere Anwendung der gemeinsamen Schuldenregeln, um Mitgliedsländern höhere Investitionen in die Verteidigung zu ermöglichen. “In außergewöhnlichen Zeiten sind außergewöhnliche Maßnahmen möglich”, betonte die Kommissionschefin. Auch Scholz sagte, es gehe um “mehr Flexibilität für die einzelnen Länder”.

Investitionsbank soll mehr Kredite für Verteidigung bereitstellen

Daneben soll die Europäische Investitionsbank (EIB) mehr Kredite für Verteidigungszwecke freigeben. Das hatte Scholz zusammen mit 18 weiteren Staats- und Regierungschefs gefordert. Die EIB kann bisher allerdings nur einen Bruchteil der nötigen Investitionen stellen. Nach ihrem Mandat darf sie lediglich sogenannte Dual-Use-Güter wie Drohnen finanzieren, die zivil und militärisch nutzbar sind – nicht aber Waffen und Munition.

Nato-Generalsekretär Rutte forderte als Gipfelgast ebenfalls “deutlich höhere” Investitionen als die bisherige Bündnisquote von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Trump verlangt von den NATO-Partnern eine Steigerung auf fünf Prozent des BIP – auch wenn die USA mit zuletzt rund 3,4 Prozent selbst noch ein gutes Stück davon entfernt sind.

Mit dem britischen Premierminister Starmer berieten die EU-Spitzen gut fünf Jahre nach dem Brexit über eine engere Sicherheitskooperation. Dazu ist nach Angaben von Ratspräsident António Costa im Mai ein gemeinsamer Gipfel in Großbritannien geplant. Starmer hatte sich für einen “Neustart” in den Beziehungen ausgesprochen.

NATO-Generalsekretär: Zoll-Streit bedroht Abschreckung nicht

Der Streit um Zölle zwischen den USA und ihren Verbündeten wird nach Ansicht von Rutte keinen negativen Einfluss auf die Abschreckung des Verteidigungsbündnisses haben. “Es gibt immer Probleme, mal größere, mal kleinere”, sagte Rutte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Starmer im NATO-Hauptquartier. Er sei aber “absolut überzeugt, dass dies keine Auswirkungen auf unsere kollektive Abschreckung” haben werde.

Verteidigung ohne USA ein “alberner Gedanke”

Die Vorstellung, dass es eine europäische Verteidigungsstrategie ohne die USA geben könnte, bezeichnete Rutte als “albernen Gedanken”. Es gehe um eine geopolitische Bedrohung, die nicht nur von Russland ausgehe, sondern die global sei. Rutte kündigte zuvor eine “deutliche Erhöhung der zugesagten Verteidigungsausgaben und der -produktion” der NATO-Staaten an. Betreffend die Unterstützung für die Ukraine erwarte er, dass die USA vorangehen und Europa folgen würde, und es eine gerechte Verteilung der Lasten gebe.

Auch Starmer lobte den Zusammenhalt der Allianz, der durch den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine noch stärker geworden sei. Er wehrte sich gegen den Eindruck, sich nun zwischen der Europäischen Union, der US-Präsident Donald Trump Zölle androht, und den USA entscheiden zu müssen. “Ich habe immer klargemacht, dass beide wichtig für uns sind. Das ist nicht neu. Das war schon immer so und wird auch in Zukunft der Fall sein”, sagte der Labour-Politiker.

Nach der ersten Arbeitssitzung des Treffens zu den transatlantischen Beziehungen erklärte ein Ratsvertreter gegenüber der Presse, dass die Staats- und Regierungschefs den Wert der Partnerschaft zwischen der EU und den USA betont hätten. Diese sei “tief verwurzelt” und werde “Bestand haben”. Man sei sich einig, dass bei Problemen Lösungen gefunden werden sollten und auch, dass Zölle zwischen USA und EU für beide Seiten schädlich wären. Weiters hätten die EU-Spitzen ihre volle Unterstützung und Solidarität mit Dänemark erklärt und an die einschlägigen Grundsätze des Völkerrechts erinnert. US-Präsident Donald Trump hatte Gebietsansprüche auf das zu Dänemark gehörende Grönland erhoben.

Schallenberg: “Feuerring um Europa”

“Wir haben einen Feuerring um Europa, wir kennen unsere Zukunft nicht”, sagte Schallenberg zum Start des Treffens. Es sei “sinnvoll zu überlegen, was brauchen wir für die Zukunft”, und “nicht erst eine Feuerversicherung abzuschließen wenn das Haus schon in Flammen steht”. Schallenberg betonte, es gebe “keine Standardgröße für Verteidigungspolitik in der EU”, jeder Staat habe seine eigene Politik und es gebe Staaten wie Österreich, die neutral sind. Auch im Rahmen der Neutralität sei aber “pooling und sharing” , gemeinsame Forschung und Beschaffung, “auch für uns von Vorteil und würde Sinn machen”.

“Wir müssen noch enger zusammenarbeiten, um angesichts der Bedrohungen, denen #Europa ausgesetzt ist, widerstandsfähiger, effizienter und autonomer zu werden”, postete der Interimskanzler anschließend auf X. Es könne allerdings keinen einheitlichen Ansatz für alle (“one size fits all”) geben.

“Jeder kauft momentan bei seinen eigenen Rüstungsindustrien und es gibt keine europaweiten Einkäufe”, sagte Schallenberg am Morgen. Er betonte, er sei nicht Teil der Regierungsverhandlungen und wolle nicht vorgreifen, aber auch bei der Luftraumüberwachung sei die Grundlinie Österreichs seit Jahren unverändert und mache Pooling Sinn. Hintergrund sind die Diskussionen um einen möglichen Ausstieg aus dem “Sky Shield”-System.

Der irische Ministerpräsident Micheal Martin, dessen Land ebenfalls neutral ist, betonte, die EU müsse Kapazitäten schaffen, damit sich die Mitgliedsstaaten verteidigen könnten. Verteidigung werde weiterhin eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten bleiben, “aber Irland wird anderen Ländern nicht im Weg stehen, wenn sie ihre Sicherheitsmaßnahmen aufbauen”. Der russische Angriff auf die Ukraine habe eine “existenzielle Bedrohung” für manche EU-Staaten geschaffen.

EU-Ratschef will baldige Entscheidungen

Costa sagte zum Auftakt des Treffens Montagfrüh in Brüssel, die strategische Diskussion unter den EU-Chefs sollte der EU-Kommission eine Anleitung für ihr geplantes “Weißbuch” (Diskussionspapier) zu Verteidigung bieten, “und den Weg ebnen für Entscheidungen in den kommenden Monaten”. Die Diskussion gehe nun um drei Themen, nämlich was die Prioritäten für die europäische Verteidigung seien, wie die erforderliche Finanzierung zu bewerkstelligen sei und wie die EU bestehende Partnerschaften stärken könne. Bereits im März 2022 – unmittelbar nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine – habe sich die EU bei einem Gipfel in Versailles dazu bekannt, mehr Verantwortung in Verteidigungsfragen zu übernehmen, sagte Costa. “Wir fangen nicht bei null an.”

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz betonte: “Wir müssen die europäische Verteidigung stärken.” Für Deutschland sei “Europa das wichtigste nationale Interesse, das wir haben”. Es brauche mehr Zusammenarbeit der Verteidigungsindustrien und “eine konstante gemeinsame Produktion”.

Die aktuellen Ereignisse in der Ukraine und die Aussagen und Entscheidungen der neuen Trump-Regierung würden die Europäer dazu bringen, vereinter aufzutreten und sich stärker für ihre kollektive Sicherheit zu engagieren, betonte der französische Präsident Emmanuel Macron. Wenn Europa handelspolitisch angegriffen werde, müsse es reagieren. Macron appellierte an seine EU-Partner auch für mehr Investitionen in den Verteidigungsbereich, von privater wie von öffentlicher Seite. Frankreich habe dies bereits getan.

Russland “eine Bedrohung” für europäische Länder

Der finnische Premierminister Petteri Orpo warnte: “Russland bleibt und ist eine permanente Bedrohung für europäische Länder.” Für Finnland und viele osteuropäische Staaten seien die Sicherheit und die Verteidigung “existenziell”, so Orpo. Finnland sei offen für Lösungen zur Finanzierung der europäischen Verteidigung. Ähnlich äußerte sich auch die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. “Russland bedroht nicht nur die Ukraine, sondern uns alle”, sagte sie. Die größte Schwierigkeit sei, dass Europa zu langsam sei, “dass wir noch immer glauben, in Friedenszeiten zu leben”, und dass Europa ein Sinn für Dringlichkeit fehle.

Frederiksen betonte erneut in Hinblick auf die Ambitionen von US-Präsident Donald Trump, dass Grönland nicht zum Verkauf stehe. Dänemark habe klar gemacht, dass die Souveränität von Staaten zu achten sei. Auch die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas warnte, Russland ändere seine Ziele nicht. Europa müsse mehr für seine Verteidigung tun. “Wenn Europa sich nicht selbst verteidigen kann, wird es niemand verteidigen”, betonte auch EU-Parlamentschefin Roberta Metsola.

“Wir müssen alles tun, um diesen dummen und unnötigen Handelskrieg zu vermeiden”, erklärte der polnische Premier und derzeitige Vertreter des Ratsvorsitzes Donald Tusk. “Wir dürfen den gesunden Menschenverstand und das Bewusstsein für unsere Interessen und unsere Selbstachtung nicht verlieren.” Die Situation mit Donald Trump sei ein “Test für unsere Einigkeit”. Tusk betonte auch, dass Polen immer einer der transatlantischsten Staaten gewesen sei. Aber: “In der Politik ist alles möglich.”

Debatte um Finanzierung der Rüstungsausgaben

Obwohl die Mitgliedstaaten in den letzten Jahren ihre nationalen Verteidigungsausgaben bereits erhöht hätten, seien “erhebliche zusätzliche Investitionen im Verteidigungsbereich erforderlich”, so Costa im Einladungsschreiben. Zur Debatte steht etwa ein EU-Verteidigungsfonds und umstrittene neue Euro-Bonds. Hintergrund sind auch die neuerlichen NATO-Ausstiegs-Drohungen von US-Präsident Donald Trump, sollten die NATO-Staaten nicht fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Derzeit versuchen die europäischen Staaten, das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erfüllen. Die Zukunft der transatlantischen Beziehungen dürfte ein großes Thema beim ersten Zusammenkommen der EU-Staats- und Regierungschefs nach der US-Wahl sein, etwa die Besitzansprüche Trumps gegenüber Grönland.

Die höchsten Verteidigungsausgaben in der EU haben derzeit Polen und die baltischen Staaten. Der estnische Premier Kristen Michal sagte, sein Land wolle das Verteidigungsbudget von derzeit 3,5 Prozent auf 5 Prozent erhöhen. Auch der litauische Präsident Gitanas Nauseda betonte, sein Land werde den Verteidigungsetat von 4 Prozent auf 5 bis 6 Prozent steigern. Die EU könne aber nicht bis zur nächsten mehrjährigen Finanzplanung ab 2028 warten, warnte Nauseda. Er forderte weitere Finanzierungsinstrumente auf EU-Ebene. Die lettische Ministerpräsidentin Evika Silina sagte, ihr Land gebe derzeit 3,45 Prozent des BIP für Verteidigung aus. Sie sprach sich für Eurobonds zur Finanzierung europäischer Projekte aus.

Erstmals seit Brexit britischer Premier dabei

Beim Abendessen ist seit dem Brexit vor fünf Jahren mit Keir Starmer erstmals wieder ein britischer Premierminister zu Gast. Starmer betonte bei seiner Ankunft die Bedeutung engerer Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Einen EU-Wiedereintritt seines Landes schloss er am Montagabend in Brüssel aber klar aus, dies werde “nicht passieren”. Er appellierte, die Ukraine weiterhin zu unterstützen und in die “stärkstmögliche Position” zu bringen.

Die Teilnahme an der EU-Ratstagung sei für Großbritannien “sehr wichtig”, betonte der Brite. “Verteidigung und Sicherheit”, die im Zentrum des informellen Gipfels standen, seien “zentral und entscheidend für die Interessen Großbritanniens”. Es gehe auch um die größere Frage der Annäherung des Königreichs an die Union, “wo wir Fortschritte machen wollen”. Der Beginn werde am Montagabend mit Verteidigung und Sicherheit gemacht. Er nannte auch die Bereiche Energie, Handel und Wirtschaft, in denen bessere Beziehungen “im Interesse des Vereinigten Königreichs und auch im Interesse der EU” seien.

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