Von: APA/AFP
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat die Mitgliedsländer erneut zu deutlich höheren Verteidigungsausgaben aufgerufen. “Die Zeit der Illusionen ist vorbei”, sagte sie am Dienstag im Europaparlament in Straßburg. “Wir müssen die europäischen Verteidigungsanstrengungen deutlich steigern, und zwar jetzt”, fügte sie hinzu. EU-Ratspräsident António Costa forderte “glaubwürdige” Schritte der Europäer.
Es sei dringend notwendig, “die Lücken in der militärischen Versorgung der Ukraine zu schließen und der Ukraine solide Sicherheitsgarantien zu geben”, sagte von der Leyen zur Begründung. Sie spielte damit auf den Stopp der US-Militärhilfen für Kiew an und auf die Verhandlungen der USA mit Russland über einen Waffenstillstand in der Ukraine. Es gehe um die Sicherheit des gesamten europäischen Kontinents, sagte von der Leyen weiter. Der russische Präsident Wladimir Putin habe immer wieder gezeigt, dass er “ein feindseliger Nachbar” sei. “Man kann ihm nicht trauen, gegen ihn hilft nur Abschreckung”, unterstrich die Kommissionschefin.
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten von der Leyen vergangene Woche auf einem Krisengipfel Zustimmung für einen “Plan zur Wiederaufrüstung Europas” (ReArm Europe) signalisiert. Um Milliardeninvestitionen in Verteidigung zu ermöglichen, schlägt sie unter anderem eine Lockerung der europäischen Schuldenregeln und einen Milliardenfonds für Darlehen an Mitgliedsländer vor. Insgesamt will sie bis zu 800 Milliarden Euro mobilisieren.
Darüber hinaus bekämen Mitgliedstaaten die Möglichkeit, einen Teil der Mittel aus dem sogenannten Kohäsionsfonds für Regionalförderung in Verteidigungsprojekte umzuleiten, sagte sie in ihrer Straßburger Rede. “Das kann auch Infrastruktur oder Forschung und Entwicklung sein”, betonte sie nun.
Vor dem regulären EU-Gipfel am 20. und 21. März will von der Leyen detaillierte Finanzierungsvorschläge zur Aufrüstung vorlegen. Sie erfordern die Zustimmung des Europaparlaments und der Mitgliedsländer.
FPÖ gegen Aufrüstung, ÖVP für Aufklärung
Von den Delegationen der österreichischen EU-Parlamentsabgeordneten kam nur seitens der FPÖ klarer Widerspruch zu den vorgeschlagenen Maßnahmen. Mit dieser “noch nie da gewesenen Aufrüstung in Milliardenhöhe” schütte Europa Öl ins Feuer und drehe “an der Eskalationsspirale”, sagte die FP-Abgeordnete Petra Steger vor Journalisten. Es sei bedenklich, dass Österreich dabei bereitwillig mitmache. “Offenbar will die Bundesregierung unsere Neutralität endgültig zu Grabe tragen.”
Diametral entgegengesetzt äußerte sich Reinhold Lopatka, Delegationsleiter der ÖVP. “Es ist uns allen klar, dass wir im Verteidigungsbereich massiv stärker auftreten müssen”, versicherte er. Auch als Neutraler könne man sich im Rahmen der europäischen Solidarität als verlässlicher Partner erweisen und “den entsprechenden Resolutionen unsere Zustimmung geben”. Die Freiheitlichen seien “die Einzigen, die noch nicht verstanden haben, dass unsere Neutralität seit dem EU-Beitritt eine andere ist. Das habe ich bei den Regierungsverhandlungen selbst erlebt”, schoss er eine Breitseite gegen den Beinahe-Koalitionspartner.
Es gehe darum, das Bewusstsein der Bevölkerung “darüber, in welcher Welt wir uns heute befinden”, zu verändern. Man habe die Massivität, mit der Russland in anderen Ländern Einfluss ausüben wolle, unterschätzt, sagte Lopatka. “Ich gebe zu: Auch ich habe das unterschätzt – und wenn wir das sehen, ist es unsere verdammte Pflicht, dass wir das vermitteln.” Das wäre insbesondere “eine lohnenswerte Aufgabe für Europaabgeordnete, weil wir jede Woche mit der europäischen Sicht konfrontiert werden. Wir brauchen eine europäische Sicht, was Verteidigung betrifft!”
SPÖ, Grüne und NEOS urgieren Infrastruktur-Investitionen
Die wirkliche Zeitenwende sei die Angelobung Donald Trumps als US-Präsident gewesen, sagte SP-Delegationsleiter Andreas Schieder. Auf den von verschiedensten Seiten vorgetragenen Angriff auf die europäische Demokratie müsse man “mit 3 D reagieren: Defence, Democracy, Deepening”, also einer Stärkung nicht nur der Verteidigungs-, sondern auch der Handlungsfähigkeit Europas. Bei der im ReArm-Europe-Plan vorgeschlagenen Umwidmung von Kohäsionsmitteln für die Rüstung habe er “schwere Zweifel, ob das sinnvoll ist”. Besser sei es in Verkehrsinfrastruktur und Schienennetz zu investieren, was auch militärstrategisch bedeutsam sei. Ausnahmen bei den Maastricht-Kriterien solle es nicht ausschließlich für Militärausgaben geben. “Bei Bevölkerung darf nicht der Eindruck entstehen: Fürs Militär gibt’s Geld ohne Ende, für die täglichen Probleme nicht.” – “Ich würde warnen vor Formulierungen wie ‘Europa ist im Krieg’, aber wir müssen für unsere Sicherheit mehr tun. Leider ist die Entwicklung so”, sagte Schieder.
Ähnlich argumentierte Thomas Waitz (Grüne): “Wir sind an einem Punkt angekommen, wo Frieden bedeutet, entsprechend defensive Wehrhaftigkeit herzustellen. Das ist traurig, aber Realität.” Es sei ein gutes Signal gewesen, dass die EU schnell auf die neue strategische Lage reagiert habe, “bis jetzt war es aber hauptsächlich ein Kommunikationsleistung”, denn im Prinzip erlaube man vor allem den Mitgliedsstaaten, mehr in Rüstung zu investieren. Hier werde aber sehr viel Geld in ein ineffizientes System gesteckt, bei dem man viel mehr herausholen könnte.
Sowohl die Grünen als auch die NEOS urgieren Infrastruktur-Investitionen, etwa auch für eine grenzüberschreitende europäische Energieinfrastruktur, wie EU-Abgeordnete Anna Stürgkh erläuterte. NEOS-Delegationsleiter Helmut Brandstätter betonte: “Es geht um unsere Sicherheit, und dass diese gefährdet ist, hören und sehen wir jeden Tag. Die unerfreuliche Nachricht ist: Das kostet Geld.” Er unterstrich: “Neutralität schützt nicht: Neutrale Länder sind regelmäßig überfallen worden.” Es sei gut, dass Österreich in der NATO-Partnerschaft für den Frieden in eine Solidargemeinschaft eingebunden sei. “Ich will den Menschen nicht Angst machen, ich möchte nur, dass sie realistisch sind.” “Bedrohlich” finde er dagegen, wie die FPÖ argumentiere: “Die FPÖ entwickelt sich zur kommunistischen Partei des Jahres 2025. Das ist gefährlich.”
Marterbauer mahnt zu Effizienz
Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) mahnte indes vor dem Hintergrund des geplanten Sprungs bei den Verteidigungsausgaben in Europa zu einem effizienten Einsatz der Geldmittel. “Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass diese Mittel wirklich auf die prioritären Bereiche konzentriert werden und kein Geld verschwendet wird”, sagte er am Dienstag in Brüssel vor einem Treffen der mit seinen EU-Amtskollegen. Dabei dürfte der Minister auch die schwierige Budgetlage in Österreich im Hinterkopf haben.
Wie die EU-Staaten ihre Militärausgaben steigern sollen beziehungsweise welche Budgetregeln hierfür gelten sollen, sei noch viel unklar, so Marterbauer gegenüber Pressevertretern. Verteidigungsausgaben zählt er aber “wie Infrastrukturausgaben” auch zu den “Zukunftsausgaben – gerade im Bezug auf die neue geopolitische Situation”. Ein “Koste es, was es wolle”, könne es aber in keinem Bereich geben, betonte er.
Zurückhalten äußerte sich Marterbauer dann auf die Frage, ob in Europa eingefrorenes russisches Vermögen – und nicht nur deren Zinsgewinne – zu Unterstützung und Wiederaufbau der Ukraine eingesetzt werden sollen. Das wäre ein neuer Weg und müsste auf europäischer Ebene diskutiert werden, so Marterbauer. Außenministerin Beate Meinl-Reisinger (NEOS) hatte sich zuletzt offen für einen solchen Schritt gezeigt.
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