"Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur", so Gewessler.

EU-Renaturierung – Rat gibt mit Gewessler-Ja grünes Licht

Montag, 17. Juni 2024 | 17:19 Uhr

Von: apa

Das EU-Renaturierungsgesetz ist mit einer knappen Mehrheit im Rat der EU-Staaten angenommen worden. Das gab der belgische Ratsvorsitz am Montag in Luxemburg bekannt. Möglich wurde dies durch die Zustimmung von Österreichs Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne), die damit allerdings gegen den Willen ihres Koalitionspartners ÖVP handelte. Das Kanzleramt kündigte daraufhin eine Nichtigkeitsklage beim EuGH als fix an.

Gewessler hat mit ihrem Ja eine veritable Koalitionskrise ausgelöst. “Österreich wird Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen”, teilte die Sprecherin von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) der APA nach der Abstimmung mit. “Das Votum von Bundesministerin Gewessler entspricht nicht dem innerstaatlichen Willen und konnte daher nicht verfassungskonform abgegeben werden.” Diese Entscheidung gelte es dann abzuwarten. “Wir gehen davon aus, dass der EuGH so rechtzeitig entscheiden wird, dass eine Vorlage von nationalen Wiederherstellungsplänen vorab nicht notwendig sein wird und damit die nicht notwendige Überregulierung unwirksam bleibt.” Klimaschutz sei ein wichtiges Anliegen und die Bundesregierung habe in vielen Bereichen wesentliche Maßnahmen gesetzt, hieß es in der Stellungnahme. “Klar ist aber auch: Die Verfassung gilt auch für Klimaschützer. Niemand steht über dem Recht.” Formal einbringen wird die Klage laut Kanzleramt Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).

“Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur”, sagte Gewessler unterdessen in einer ersten schriftlichen Reaktion nach der Abstimmung. “Heute senden wir aus Luxemburg (wo der EU-Umweltrat stattfinden; Anm.) ein Signal – so dürfen wir nicht weitermachen. Unsere Natur hat sich unseren Schutz verdient.”

“Mein Gewissen sagt mir unmissverständlich: wenn das gesunde und glückliche Leben künftiger Generationen am Spiel steht, braucht es mutige Entscheidungen. Deshalb habe ich heute für dieses Naturschutzgesetz gestimmt”, hielt Gewessler weiter fest. Die Europäische Union stelle sich “geeint hinter den Schutz unserer Lebensgrundlage”. Das Renaturierungsgesetz sichere Zukunft: “Wir geben der wunderbaren Artenvielfalt in unserer Heimat den Platz, der ihr zusteht. Wo früher ein lebendiger Bach war, ist heute ein betonierter Kanal. Wo früher eine wilde Blumenwiese war, finden wir heute nur mehr eine Betonwüste.”

Rückendeckung erhielt Gewessler von ihrem Parteikollegen und Vize-Kanzler Werner Kogler. “Es ist ein historisches Ja zum aktuell weltweit wichtigsten Naturschutzvorhaben”, teilte er per Aussendung mit. “Ich danke Leonore Gewessler und dem grünen Team für die Zielstrebigkeit, die Entschlossenheit und den entscheidenden Schritt, der heute gegangen wurde.”

In einem Brief an die belgische Regierung bedauerte Kogler zudem, dass die EU nun in österreichische innenpolitische Streitigkeiten verwickelt wurde. Die in einem Schreiben des österreichischen Bundeskanzlers erhobenen Vorwürfe seien aber “falsch und spiegeln nicht die österreichische Rechtslage wider”. Der Bundeskanzler habe kein Weisungsrecht gegenüber den österreichischen Vertretern im Umweltministerrat.

Bis zuletzt war unklar, ob die nötige qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der EU-Länder, die mindestens 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren) zustande kommt. Am Ende stimmten 20 Länder dafür, deren Bevölkerung in Summe 66,07 Prozent der gesamten EU-Bevölkerung ausmachen. Hätte Österreich sich also enthalten oder dagegen gestimmt, wäre keine Mehrheit für das EU-Gesetz zustande gekommen. Italien, Ungarn, Polen, Finnland und Schweden stimmten dagegen. Belgien enthielt sich. Nachdem das EU-Parlament bereits für die Verordnung gestimmt hatte, kann das Renaturierungsgesetz im Prinzip nun in Kraft treten.

Der belgische EU-Ratsvorsitzende Alain Maron (belg. Grüne) sagte vor dem heutigen Treffen noch, dass man die Möglichkeit eines Votums legal überprüft habe. “Auf unserer Seite wird vom anwesenden Minister im Raum abgestimmt, so läuft das ab”, antwortete er auf eine Frage zu Nehammers Ankündigung einer Klage vor dem EuGH. “Für den Rest ist das eine innerösterreichische Kontroverse, die mich nichts angeht.”

“Es ist ein ausgewogener, ein starker Kompromiss zustande gekommen, der die Interessen der Landwirtschaft berücksichtigt”, begründete die deutsche Umweltministerin Steffi Lemke ihre Zustimmung im Rat.

Zustimmung kam auch von dem SPÖ-EU-Abgeordneten Günther Sidl. “Wir als SPÖ haben im EU-Parlament dafür gestimmt und Wien und Kärnten haben der Ministerin bereits vor Wochen den Weg zur Zustimmung geebnet”, meint Sidl in einem Presseschreiben. Kritik übte er an der ÖVP: “Konstruktive Umwelt- und Europapolitik lassen seit Jahren auf sich warten, als einziger Mitgliedstaat ohne nationalen Klimaplan ist Österreich Schlusslicht.”

Wiens Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich ebenfalls erfreut über den Schritt der Ministerin – äußerte aber zugleich Sorge um das Ansehen des Landes. “Es wäre natürlich besser, wenn die Bundesregierung in so einer wichtigen Frage an einem Strang zieht. Das Bild, welches die Bundesregierung heute abgegeben hat, schadet der Reputation Österreichs innerhalb der Europäischen Union”, befand er in einem “X”-Posting. Ludwig hatte mit seinem Schwenk in Richtung Zustimmung zur Verordnung den Anlass für die Neubewertung der Länder-Stellungnahmen gegeben.

Der österreichische Bauernbund sprach hingegen von einem “beispiellosen Alleingang”. Gewessler habe “entgegen einer einheitlichen Stellungnahme der Bundesländer für das höchst umstrittene Renaturierungsgesetz gestimmt”. “Das beschlossene EU-Renaturierungsgesetz wird zu massiven Einschnitten und unverhältnismäßig negativen Auswirkungen für die Landwirtschaft führen. Aber auch die Konsumenten werden die Folgen deutlich spüren. 20 Prozent aller Flächen müssen laut dem Gesetz allein bis 2030 wiederhergestellt werden. Das bedeutet im Klartext: Ein Fünftel der Gesamtfläche Österreichs darf nicht mehr wie bisher genutzt werden”, so Bauernbund-Präsident Georg Strasser.

Auch die Landwirtschaftskammer Österreich kritisierte das Vorgehen. “Abgesehen davon, dass das Abstimmungsverhalten von Bundesministerin Gewessler laut Verfassungsdienst rechtswidrig ist, können wir das Gesetz auch aus fachlicher Sicht keinesfalls gutheißen”, betonte Präsident Josef Moosbrugger. “Umweltnutzen mehr als zweifelhaft, enorme Mehrbelastung für die Bäuerinnen und Bauern und noch dazu eine vollkommen ungeklärte Übernahme der Kosten von 154 Mrd. Euro, die laut EU-Kommissionsschätzung mindestens anfallen werden. Was gut klingt, ist nicht unbedingt gut”, so Moosbrugger.

Das EU-Renaturierungsgesetz (Nature Restoration Law) ist ein zentraler Teil des umfassenden Klimaschutzpakets “Green Deal”, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden soll. Das übergeordnete Ziel ist die langfristige und nachhaltige Wiederherstellung biologisch vielfältiger und widerstandsfähiger Ökosysteme. Das bedeutet unter anderem aufgeforstete Wälder, wiedervernässte Moore sowie natürlichere Flussläufe und infolge den Erhalt der Artenvielfalt.

Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission vom Juni 2022 stieß auf viel Kritik. In den Verhandlungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem Europaparlament wurde die Verordnung aber abgeschwächt und den EU-Ländern wesentlich mehr Flexibilität bei der Umsetzung eingeräumt. Trotzdem schwenken einige Staaten trotz Kompromiss unter dem Eindruck von Bauernprotesten und der EU-Wahl um. Dadurch war bis zunächst unklar, ob die nötige Mehrheit im Rat der EU-Staaten zustande kommen würde.

Kommentare

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8 Kommentare auf "EU-Renaturierung – Rat gibt mit Gewessler-Ja grünes Licht"


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Oracle
Oracle
Kinig
15 Tage 18 h

… man könnte auch sagen, dass EUBodenenteignungsgesetz ist genehmigt worden, wenn landwirtschaftliche Flächen stillgelegt werden müssen und Gebiete wieder in Moore verwandelt werden müssen. Wird man da auch Gebäude niederreißen und Strassen und Patkplätze rückbauen? Grüne Eigentümer haben da sicherlich nichts dagegen, also würde ich vorschlagen, wirbeginnen bei dem Rückbau mit dem Eigentum der grünen Wähler!

PhilGrill
PhilGrill
Tratscher
15 Tage 17 h
Du solltest die Suppe nicht so heiss essen, wie sie von den Verbänden gekocht wird. Niemand redet davon landwirtschaftliche Flächen in Moore zu verwandeln, ausser der Bauernbund. Es geht auch um die Aufforstung der Wälder damit sie widerstandsfähige Mischwälder werden. Es hat z.B. keinen Sinn Reine Fichtenwälder die durch Stürme, Bolrkenkäfer usw. umgefallen sind wieder als Fichtenwälder aufzuforsten wie es hier in Südtirol passiert, da diese danach sowieso nicht mehr überleben. Ich finde das Stimmverhalten der Gwessler sehr integer, da die Wähler die sie gewählt haben sicher nicht wollten dass sie anders abstimmt. Wir leben nun mal in einer Demokratie… Weiterlesen »
krokodilstraene
15 Tage 15 h

Solange es Genehmigungen für Wasserspeicher in öffentlichen Wäldern gibt, kann man es auch jedem Bauern zutrauen, hie und da mal in seinem Feld einen hochstämmigenBaum zu setzen oder eine begrenzte Fläche auch mal nur mit wilden Blumen zu bepflanzen!

N. G.
N. G.
Kinig
15 Tage 10 h

Tja, Orakel, wer hat in der EU das sagen? Die Grünen stellen ds nicht die Mehrheit!
Ohne Natur eirst auch du nicht überleben!

Oracle
Oracle
Kinig
15 Tage 18 h

Grüne fordern ständig leistbares Wohnen. So wird aber der Baugrund noch knapper und noch teurer. Ob sie das als leistbares Wohnen meinen?

schlauer
schlauer
Superredner
15 Tage 12 h

@oracle
Gehen wir mal her und verbauen die verfallenen Leerstände in den Städten wie Bozen, Brixen usw. Fazit: dann brauchen wir nicht mehr ins Grüne bauen🙏

magg
magg
Superredner
15 Tage 10 h

Die Bauernlobby verdreht mal wieder gehörig die Fakten und noch dazu diese Äußerung, dass diese Regelung der Tod der Landwirtschaft bedeutet. Wenn die Landwirtschaft wegen lächerliche 20% zugrunde geht, dann “arme” Bauern, denn sie können mit sooo einen Verlust nicht mehr rentabel wirtschaften.
Wenn man auf die Felder der Bauern schaut, dann ist an manchen Stellen schon über 20% nicht bearbeitet, und so wird es für einige Bauern eh nichts ändern.

info
info
Universalgelehrter
15 Tage 9 h

20% weniger Straßen und Parkplätze wären angesagt, da müsste man den Dauerjammerern gar nichts nehmen

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