Von: apa
Die Staats- und Regierungschefs der EU haben am Donnerstagabend in Brüssel beschlossen, deutliche Summen für die Wiederaufrüstung Europas zu mobilisieren. Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) nannte die Pläne für Österreich relevant. Geplant ist auch ein Rüstungsfonds in Höhe von 150 Milliarden Euro. Die weitere finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine wurde hingegen nur von 26 der 27 EU-Länder beschlossen; Ungarn war laut Diplomaten nicht dabei.
“Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und seine Auswirkungen auf die europäische und globale Sicherheit in einem sich wandelnden Umfeld stellen eine existenzielle Herausforderung für die Europäische Union dar”, heißt es in der Gipfelerklärung zur Verteidigung. Die EU werde “ihre allgemeine Verteidigungsbereitschaft erhöhen, ihre strategischen Abhängigkeiten verringern, ihre kritischen Fähigkeitslücken schließen und die europäische verteidigungstechnologische und -industrielle Basis in der gesamten Union entsprechend stärken.”
Lockerung der Schuldenregeln wird begrüßt
Auch die von der Kommission vorgeschlagene Lockerung der EU-Schuldenregeln wird vom Gipfel begrüßt. Die sogenannte nationale Ausweichklausel würde die Herausrechnung der für Aufrüstung gemachten Schulden aus den Maastricht-Kriterien erlauben. Dies würde Österreich entgegenkommen, da es im Jänner nur knapp einem EU-Defizitverfahren wegen zu hoher Staatsschulden entgangen ist. Die Kommission wird auch aufgefordert, “weitere Maßnahmen zu prüfen, um in allen Mitgliedstaaten erhebliche Verteidigungsausgaben auf nationaler Ebene zu ermöglichen, wobei gleichzeitig die Tragfähigkeit der Schulden sichergestellt werden muss”.
Die Kommission wird in der Erklärung aufgefordert, rasch konkrete Vorschläge und Projekte zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft auszuarbeiten und umzusetzen. Die EU-Chefs unterstreichen auch “in Anbetracht der Bedrohungen an den übrigen Grenzen der EU die Bedeutung ihrer Verteidigung”. Bereits bei der nächsten Tagung des EU-Gipfels in zwei Wochen in Brüssel wird das Thema wieder ganz oben auf der Agenda stehen. Die Kommission wird bis dahin ein “Europäisches Weißbuch für Verteidigung” mit weiteren Vorschlägen und Optionen präsentieren.
“Keine Verhandlungen über Ukraine ohne Ukraine und Europa”
Die Erklärung der 26 zur Unterstützung der Ukraine betont, dass es “keine Verhandlungen über die Ukraine ohne die Ukraine” und keine Verhandlungen, die die europäische Sicherheit betreffen, ohne Europa geben könne. “Die ukrainische, europäische, transatlantische und globale Sicherheit sind miteinander verknüpft”, heißt es. Eine Waffenruhe könne Teil eines Prozesses sein, der zu einem umfassenden Friedensabkommen führe. “Ein solches Abkommen muss mit robusten und glaubwürdigen Sicherheitsgarantien für die Ukraine einhergehen, die dazu beitragen, künftige russische Aggressionen abzuschrecken.” Der Frieden müsse die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine respektieren.
Jegliche militärische Unterstützung sowie Sicherheitsgarantien für die Ukraine müssten unter uneingeschränkter Achtung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten und unter Berücksichtigung der Sicherheits- und Verteidigungsinteressen aller Mitgliedstaaten geleistet werden, wird im Hinblick auf neutrale Staaten wie Österreich betont. Der Europäische Rat bekräftigt, dass er die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen weiterhin und uneingeschränkt unterstützt. US-Präsident Donald Trump fordert von der Ukraine hingegen Zugeständnisse, um Frieden zu erlangen.
Zugeständnisse an Slowakei
Die Slowakei, die ebenso wie Ungarn mit einem Veto gegen die Ukraine-Erklärung gedroht hatte, wird in einem Absatz erwähnt: Die Kommission, die Slowakei und die Ukraine sollten “praktikable Lösungen in der Frage des Gastransits” finden. Im Unterschied zu Ungarn hat die Slowakei bisher alle EU-Beschlüsse zugunsten der Ukraine und gegen Russland unterstützt. Die von Russland angegriffene Ukraine hat zu Jahresbeginn die Durchleitung von russischem Gas durch ihr Territorium in mehrere EU-Länder eingestellt. Seitdem liegt sie im Streit mit ihrem Nachbarland Slowakei, das so abhängig von russischen Gaslieferungen ist wie kaum ein anderes in Europa.
Ungarn hatte bereits im Vorfeld wieder einmal gedroht, beim Gipfel ein Veto gegen die Unterstützung der Ukraine einzulegen. Ministerpräsident Viktor Orbán pflegt trotz des Ukraine-Krieges weiter gute Kontakte zum russischen Präsidenten Wladimir Putin und hat zudem ein freundschaftliches Verhältnis zu Trump.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj forderte beim EU-Sondergipfel in Brüssel eine partielle Feuerpause, die Kämpfe zur Luft und zur See umfassen soll. Alle müssten dafür sorgen, dass Russland, das “der einzige Verursacher dieses Krieges” sei, die “Notwendigkeit seiner Beendigung” akzeptiere, so Selenskyj auf X. In der Erklärung der 26 zur Ukraine wird betont, dass Verhandlungen über die Ukraine nicht ohne die Ukraine oder Europa stattfinden dürften.
Stocker: Robuster Frieden für Ukraine
Österreich wurde beim Gipfel erstmals von Kanzler Christian Stocker (ÖVP) vertreten, der erst seit Montag im Amt ist. Stocker betonte gegen Ende des Gipfels, die vom EU-Gipfel beschlossenen Pläne zur Aufrüstung Europas mit verschiedenen neuen finanziellen Möglichkeiten außerhalb der Maastricht-Kriterien seien auch für Österreich relevant und interessant. Österreich wolle laut Regierungsprogramm zwei Prozent des BIP für Verteidigung “am Boden der Neutralität” ausgeben, die Ausgaben seien in das Bundesheer zu investieren. Österreich sei Teil der EU und auch “Teil der Sicherheit in Europa”.
Stocker sprach von einer “beeindruckenden Sitzung”. Man habe sich intensiv darüber unterhalten, was notwendig wäre, um Europas Verteidigung fähiger zu machen. Österreich habe als neutrales Land einen Sonderstatus, “aber auch wir investieren in unsere Verteidigungsfähigkeit”. Für die Ukraine gelte es, einen “robusten Frieden” zu erreichen, der nicht die Grundlage für den nächsten Krieg biete.
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