Selenskyj: Druck auf Russland nicht nachlassen

EU will in kommenden fünf Jahren massiv aufrüsten

Donnerstag, 20. März 2025 | 23:17 Uhr
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Von: apa

Der EU-Gipfel will Europa bis 2030 massiv aufrüsten: In der Gipfelerklärung ruft der Europäische Rat am Donnerstag in Brüssel dazu auf, “die Arbeit in allen Bereichen zu beschleunigen, um die Verteidigungsbereitschaft Europas in den nächsten fünf Jahren entscheidend zu erhöhen”. Der Gipfel bezieht sich dabei auf die Pläne der EU-Kommission für gemeinsame Waffenbeschaffung und massive Investitionen in Verteidigung, um wachsende Kriegsgefahren zu bekämpfen.

Es sei beim EU-Gipfel nicht darum gegangen, ein militärisches Szenario zu besprechen, sondern darum, wie die Nationalstaaten ihre Ausgaben für Verteidigung bestmöglich gestalten können: Das betonte Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) nach dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel. Der Kanzler bekräftigte zugleich erneut das Ziel Österreichs, bis 2032 die Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen. Wenn Österreich dies in einem Verbund machen könne, in einer gemeinsame Einkaufsplattform, dann könne man günstiger und effizienter Beschaffungen vornehmen. Auf dem “Boden der Neutralität” würde Österreich die Möglichkeiten in Anspruch nehmen, etwa auch die geplante Ausnahme von den EU-Schuldenregeln.Stocker: Europa ein Stück auf sich selbst gestelltDie transatlantische Beziehung sei nicht mehr so gestaltet, wie sie in der Vergangenheit war, so Stocker weiter. In Europa werde man “ein Stück weit auf uns selbst gestellt sein und das bedeutet, dass man dieser Verantwortung auch nachkommen und mehr Geld aufwenden muss”. Er gehe persönlich davon aus, dass Russland für Europa, aber nicht nur für Europa, eine Bedrohung sei. Gespräche die zum Ziel haben, dass ein Frieden erreicht wird, seien immer sinnvoll und sollten geführt werden. Aber der Frieden solle gerecht und nachhaltig sein. Das Opfer sollte auch am Tisch sitzen und in die Gespräche eingebunden sein.

“Der Europäische Rat erinnert daran, dass eine stärkere und leistungsfähigere Europäische Union im Bereich der Sicherheit und Verteidigung einen positiven Beitrag zur globalen und transatlantischen Sicherheit leisten und eine Ergänzung zur NATO darstellen wird”, heißt es in der Abschlusserklärung. Für die EU-Staaten, die auch NATO-Mitglied seien, bleibe diese weiterhin die Grundlage ihrer kollektiven Verteidigung. Die beim Verteidigungs-Sondergipfel am 6. März genannten Maßnahmen sollten unverzüglich umgesetzt, und die Arbeit an den entsprechenden Finanzierungsoptionen fortgesetzt werden, heißt es weiter. Der Gipfel ersucht den Rat und die Mitgesetzgeber, die Arbeiten an den jüngsten Vorschlägen der Kommission zügig voranzutreiben.

Mit Blick auf neutrale Staaten wie Österreich wird betont, dass dies “den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt” lasse und die Sicherheits- und Verteidigungsinteressen aller Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren Verträgen beachte. Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten bereits beim Sondergipfel Anfang März Vorschläge der Kommission begrüßt, um 800 Milliarden Euro für Aufrüstungsprojekte zu mobilisieren.800 Milliarden Euro für AufrüstungDie EU-Kommission stellte am Mittwoch ihre konkreten Vorschläge für die Aufrüstung Europas vor. Laut Kommission besteht etwa bei Luftverteidigung und Raketenabwehr, Drohnensystemen sowie elektronischer Kriegsführung Aufholbedarf. Deren gemeinsame europäische Beschaffung sowie Verteidigungspartnerschaften mit Drittstaaten sollen gefördert werden. Die EU-Schuldenregeln sollen für Verteidigungsausgaben bis zu 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aufgeweicht werden. Europa müsse gerüstet für eine Konfrontation mit Russland sein, warnte die Kommission: “Russland stellt eine große strategische Bedrohung auf dem Schlachtfeld dar.”

Die Staats- und Regierungschefs der EU hatten bereits beim Sondergipfel Anfang März Vorschläge der Kommission begrüßt, um die 800 Milliarden Euro für Aufrüstungsprojekte zu mobilisieren. Mit ihrem “ReArm Europe Plan” will die Kommission den EU-Staaten erlauben, für ihre Verteidigung neue Schulden zu machen, ohne dabei ein EU-Defizitverfahren zu riskieren. Zudem ist ein neuer EU-Fonds mit 150 Milliarden Euro an Krediten für Verteidigungsinvestitionen geplant. Damit könnten die Mitgliedstaaten etwa Luft- und Raketenabwehrsysteme, Artilleriesysteme, Raketen, Munition, Drohnen Cyberabwehrsysteme gemeinsam einkaufen.26 EU-Staaten außer Ungarn für Ukraine-UnterstützungAlle EU-Staaten außer Ungarn bekräftigten im Rahmen des Gipfels am Donnerstag außerdem ihre weitere Unterstützung für die Ukraine. Die 26 begrüßten in einer Erklärung zwar die gemeinsame Erklärung der Ukraine und der USA nach dem Treffen in Saudi-Arabien am 11. März. Laut EU-Diplomaten waren sich die 26 aber einig, dass derzeit keine wirklichen Verhandlungen stattfinden. Sie berieten auch, wie sie am besten Einfluss nehmen könnten. Ungarn war wie angekündigt nicht dabei.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde wieder per Video dem Ukraine-Teil des Gipfels zugeschaltet. Er forderte in seiner Rede fünf Milliarden Artilleriegeschosse von den Europäern, und rief zu Investitionen in die Waffenproduktion auf: “Europa braucht technologische Unabhängigkeit, auch in der Waffenproduktion.” Der ukrainische Präsident appellierte auch, beim “Druck auf Russland” nicht nachzulassen. Russland müsse weiterhin in Richtung Frieden gedrängt werden.Selenskyj fordert Druck bei BeitrittsverhandlungenEs sei bedauerlich, aber auch innerhalb Europas selbst sei Druck nötig, um sicherzustellen, dass alle Versprechungen auch tatsächlich umgesetzt würden, sagte Selenskyj zu den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Die Ukraine habe die Voraussetzungen erfüllt, aber es gebe “ernsthafte Schwierigkeiten”, die ersten Verhandlungskapitel zu eröffnen. Europa müsse auch einen Weg finden, einzelne Akteure daran zu hindern, “das zu blockieren, was für alle notwendig ist”, sagte er in Richtung Ungarns Regierungschef Viktor Orbán.

Die Unterstützung für die Ukraine und eines “umfassenden, gerechten und nachhaltigen Friedens” wird im Ukraine-Teil erneut bekräftigt, der der eigentlichen Gipfelerklärung angehängt wird. Wie auch schon beim letzten Sondergipfel erfolgt diese im Namen von 26 der 27 Mitgliedsstaaten. Russlands Präsident Wladimir Putin wird aufgerufen, wirklichen politischen Willen zur Beendigung des Krieges zu zeigen. Viele Staatschefs betonten laut EU-Diplomaten auch die Notwendigkeit, die Beitrittsverhandlungen der Ukraine zur EU zu beschleunigen. Orbán, der als Unterstützer des US-Präsidenten Donald Trumps und Putins gilt, kritisierte vor dem Rat auf X die hohen Kosten des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine für die ungarischen Familien und die hohen Kosten einer möglichen EU-Mitgliedschaft der Ukraine.Kallas will mehr Geld für MilitärhilfenDas ausgegliederte Kapitel enthält auch die von EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas vorgeschlagenen zusätzlichen militärischen Hilfen für die Ukraine. “Wenn sie den Statements der Regierungsspitzen zuhören, dann sehen Sie, dass die Unterstützung da ist. Das sollte sich auch in den Taten, den Zahlen, in den Munitionslieferungen an die Ukraine widerspiegeln”, meinte die Estin zum Start des Rates. Kallas hatte jüngst vorgeschlagen, dem von Russland angegriffenen Land in diesem Jahr Hilfen im Wert von 20 bis 40 Milliarden Euro zur Verfügung zu stellen. Dafür sollen die Mitgliedstaaten entsprechend ihrer Wirtschaftskraft Beiträge leisten. Zuletzt war von fünf Milliarden Euro die Rede. Dies sei der “realistische Plan”, so Kallas.

UNO-Generalsekretär António Guterres betonte vor dem Gipfel, die EU sei ein zentraler strategischer Partner der UNO. Er sei dankbar für die finanzielle und politische Unterstützung: “Die EU ist der Grundpfeiler der multilateralen Antwort auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen”, sagte der frühere portugiesische Ministerpräsident bei seiner Ankunft bei EU-Gipfel neben seinem Landsmann und Parteifreund EU-Ratspräsident António Costa. Ein Waffenstillstand in der Ukraine sei “willkommen, weil er Leben rettet”. Er betonte aber die Notwendigkeit eines “gerechten Friedens”: Das sei ein Frieden, der “die UNO-Charta, das Völkerrecht und die Resolutionen des Sicherheitsrates respektiert”.

Zwei Absätze in der Schlusserklärung sind auch der Migration gewidmet. Der Gipfel ruft darin etwa zu einer raschen Prüfung der von Kommissar Magnus Brunner (ÖVP) vorgeschlagenen Verordnung für raschere und effizientere Rückführungen von illegalen Migrantinnen und Migranten auf. Der Gipfel hat weiters einen ersten Austausch zum nächsten mehrjährigen EU-Budget gehabt. Offiziell starten die Verhandlungen dazu im Herbst.

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