Von: mk
Brüssel – Zu einem fast einstündigen Gespräch hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker heute Mittag Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher empfangen. Die politische Entwicklung in Europa vor dem Hintergrund der Wahlen in Südtirol, Trentino und Bayern, der Haushaltskonflikt zwischen Rom und Brüssel sowie die bevorstehenden Wahlen zum EU-Parlament in sechs Monaten waren Thema der Unterredung. Die Lösung der großen Fragen unserer Zeit wie beispielsweise der Klimawandel, die Migration oder die Digitalisierung seien nur durch ein starkes Europa im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger beeinflussbar. “Mehr denn je müssen wir als überzeugte Europäer für die Einheit in Vielfalt eintreten”, betonte Kompatscher. Nationalistische Vorstöße, die derzeit häufig auf der Tagesordnung stehen, griffen vielfach zu kurz und schafften mittel- bis langfristig mehr Probleme, als sie lösen würden, stimmten die Gesprächspartner überein. Südtirol wolle den Weg zu einem kleinen Europa in Europa, zu einer völkerverbindenden Brücke zwischen dem deutschsprachigen und dem italienischen Kultur- und Wirtschaftsraum weiter beschreiten und baue dabei auch auf die Unterstützung aus Brüssel und Straßburg.
“Europa hat uns 70 Jahre Frieden und Fortschritt gebracht sowie die Voraussetzungen geschaffen, damit das historische Tirol im Rahmen der Europaregion wieder enger zusammenwachsen kann”, betonte Kompatscher. Die Europaregion Tirol-Südtirol-Trentino sei dabei ein gutes Beispiel, wie man Europa für die Bürgerinnen und Bürger erfahrbar mache. “Das beginnt bei ganz alltäglichen Dingen, wie dem öffentlichen Nahverkehr und reicht bis zu einem länder- und staatsübergreifendem Vorgehen bei der Lösung von Problemen, wie der Verkehrsbelastung auf der Brennerachse”, erklärte der Landeshauptmann. In diesem Zusammenhang informierte Kompatscher den Kommissionspräsidenten über die bevorstehende Konzessionsvergabe zur Führung der Brennerautobahn an die vor ihrer Gründung stehende rein öffentliche Gesellschaft BrennerCorridor: “Alle Weichen sind gestellt, Brüssel hat die Zustimmung erteilt. Mit der Konzessionserteilung wird der Weg frei für umfassende Maßnahmen zur Verkehrsverlagerung und zur Verbesserung von Verkehrsbelastung und Verkehrsfluss.”
Gesprochen wurde auch über eine weitere grenzüberschreitende Verkehrsverbindung: die mögliche Zugverbindung Vinschgau-Schweiz. Landeshauptmann Kompatscher berichtete von dem jüngsten Treffen mit der Kantonsregierung von Graubünden, bei der auch die bessere Bahnvernetzung im rätischen Dreieck besprochen und die Suche nach einer idealen Trasse unter Einbindung Tirols vereinbart wurden. Juncker zeigte sich erfreut und optimistisch, dass die beteiligten Länder – Südtirol, Tirol, Graubünden und Lombardei – die europäische Bedeutung dieser alpenquerenden Verbindung glaubhaft vermitteln können, um so Zugang zu europäischen Finanzierungen zu erhalten.
Zur Sprache brachte Landeshauptmann Kompatscher auch das Südtiroler EU-Pilotprojekt für eine nachhaltige europäische Lebensmittelpolitik, das in Absprache mit dem EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Vytenis Andriukaitis, gestartet wurde. “Südtirol hat bereits wichtige Schritte gesetzt, um regionale Kreisläufe zu stärken und Nachhaltigkeit auch bei der Vergabe öffentlicher Aufträge zum Kriterium zu machen”, berichtete Landeshauptmann Kompatscher. Jetzt gehe es darum die einzelnen Maßnahmen noch enger zu verknüpfen und damit noch tragfähiger zu machen.
Weitere Gesprächsthemen waren die regionale Strukturpolitik und die Berglandwirtschaft. Dabei sprach sich Kompatscher für die Beibehaltung der Strukturfonds auch nach 2020 aus. Besonders für benachteiligte Berggebiete seien diese Mittel unverzichtbar. Im Zusammenhang mit den Herausforderungen im Alpenbogen kam auch die europäische Alpenstrategie EUSALP zur Sprache. Derzeit hat das Land Tirol den Vorsitz inne und in der kommenden Woche, am 20. und 21. November werden in Innsbruck nicht nur Politiker und Fachleute, sondern auch Jugendliche und interessierte Bürger unter dem Motto “zukunft.gemeinsam.gestalten. mit der nächsten Generation” bei verschiedenen Veranstaltungen und Workshops Lösungen, Ideen und Visionen für die zentralen Anliegen des Alpenraumes diskutieren und entwickeln. Im Mittelpunkt steht der Erhalt und die Weiterentwicklung des Alpenraumes als Lebens- und Wirtschaftsraum für die nächste Generation. “Politik für die nachfolgenden Generationen zu machen ist unser gemeinsamer Auftrag in Europa und dafür sind wir auch bereit, heute Kritik einzustecken, damit unsere Kinder und Kindeskinder ein ebenso gutes Leben führen können, wie wir”, sagte Landeshauptmann Kompatscher abschließend.