Von: mk
Bozen – Am 17. Februar stimmt das Europäische Parlament über die neue Wegekostenrichtlinie „Eurovignette“ ab. Diese wird die Belastung der Bevölkerung zwischen Brenner und Salurn weiter erhöhen, genauso wie den Schwerverkehr. Davon ist zumindest der Dachverband für Natur- und Umweltschutz überzeugt.
In einem offenen Brief bitten die Umweltschützer den Südtiroler EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann (SVP), den zur Abstimmung stehende Entwurf der Eurovignetten-Richtlinie kritisch zu hinterfragen und jenen Änderungsanträgen zuzustimmen, die den Südtirolerinnen und Südtiroler tatsächlich mehr Lebensqualität bringen würden. Es folgt der Brief im Wortlaut:
Die Ihnen zur Abstimmung vorliegende Eurovignette strebt weitere massiven Vergünstigungen für den Gütertransport auf der Straße an, um die Lastwagen mit anderen Antriebformen, also mit Batterie oder Wasserstoff, zu versehen: Emissionsarme Lkw sollen künftig durch eine Mautreduktion von 75 Prozent begünstigt werden. Zugleich haben mehrere Staaten angekündigt, den Ankauf von Wasserstoff-LKWs großzügig mit öffentlichen Geldern zu unterstützen (zum Beispiel Deutschland mit 80 Prozent der Mehrkosten). Was auf den ersten Blick nachhaltig klingt, wird zu mehr Verkehr auf der Brennerautobahn führen. Denn die Schiene kann mit dieser umfassenden Förderung des Straßenverkehrs nicht mithalten. Bereits heute ist jeder Kilometer Schiene mit einer hohen Maut, der so genannten Trassengebühr, belastet. Die Begünstigung des Straßengüterverkehrs mit Zero-Emission-Lkw hat fatale Folgen für die Konkurrenzfähigkeit der Bahn: Es drohen Investitionen vieler Milliarden Euro in die europäische Schieneninfrastruktur – wie beispielsweise in den Brennerbasistunnel – zu Fehlinvestitionen zu werden.
Südtirol muss Klimaland werden
Es steht außer Frage, dass es keine nachhaltigere Möglichkeit gibt, Güter zu transportieren, als auf der Schiene. Ein LKW stößt pro transportierter Tonne 110 mal mehr klimaschädliches CO2 aus als der Schienenverkehr und selbst wenn es gelingen sollte, alle LKW in Europa elektrisch oder mit Wasserstoff zu betreiben, wird die Schiene immer noch weitaus nachhaltiger unterwegs sein, da sie den Strom ungleich effizienter einsetzen kann. Es kommt hinzu, dass einzig und allein der teure „grüner“ Wasserstoff echt umweltschutzkonform und klimaneutral produziert werden kann. Es wird jedoch auf absehbare Zeit weder gelingen, genug Ökostrom noch genug grünen Wasserstoff zu produzieren, um die Wirtschaft, den Individualverkehr und (!) den gesamten Straßengüterverkehr in Europa umweltverträglich zu gestalten. Auch die Klimabilanz von Südtirol verbessert sich nicht, wenn Lkw mit klimaschädlichen, „grauen“ Wasserstoff befahren werden. Folglich führt kein Weg an der Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene vorbei.
Der Schutz besonders belasteter Lebensräume ist nicht gewährleistet
Besonders belastete Gebiete, wie die Alpen und das Eisack- und Etschtal sowie die Stadt Bozen, müssen durch eine regionale Differenzierung im LKW-Mautsystem entlastet werden. Hier benötigen wir regionale Zuschläge, um das Verkehrsaufkommen steuern zu können. Die Eurovignetten-Richtlinie sieht für diese Aufschläge ein Vetorecht der Nachbarländer vor. Dies wird dazu führen, dass es keine Aufschläge geben wird. So wird beispielsweise Italien nie Aufschläge von Österreich am Brennerpass akzeptieren. Lärm, Feinstaub, NOx und CO2 belasten weiterhin die lokale Bevölkerung in einem engen Gebirgstal. Die gesundheitlichen Gefahren steigen unnötig, anstatt zu sinken, nur weil eine intelligente Verkehrslenkung verunmöglicht wird. Das sind keine unbedeutenden Probleme, denn die Luftverschmutzung in den stark betroffenen Alpengebieten und vielen anderen urbanen Regionen Europas ist gravierend. Gerade Südtirol als Transitland hat ein grundsätzliches Interesse daran, dass im Güterverkehr endlich die Kostenwahrheit zum Tragen kommt und in der europäischen wie lokalen Verkehrspolitik die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene und insbesondere der Schutz der Menschen entlang der Brenner-Autobahn im Mittelpunkt stehen.
Mehrfache Verletzung der Alpenkonvention und ihres Verkehrsprotokolls
Die acht Alpenstaaten haben sich zusammen mit der Europäischen Union durch die gemeinsame Ratifizierung des Verkehrsprotokolls der Alpenkonvention verpflichtet, den Güterverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Laut Alpenkonvention ist das Verursacherprinzip durchzusetzen und es müssen marktwirtschaftliche Anreize und geeignete Infrastrukturen geschaffen werden. Die Vertragsparteien verpflichten sich zur Einhaltung des Vorsorge- und Vermeidungsprinzips, das auch im Sinne des europäischen Green Deals ist. Infolgedessen soll die Zahl der auf den Straßen zurückgelegten Kilometer grundsätzlich sinken, die Intermodalität gefördert und sowohl die externen wie auch die Infrastrukturkosten dem Verursacher angelastet werden. In der aktuellen Fassung der Eurovignetten-Richtlinie ist dies jedoch noch nicht der Fall. Sie widerspricht zudem auch den Artikel des Verkehrsprotokolls zur Gewährleistung fairer Wettbewerbsbedingungen unter den Verkehrsträgern, der Berücksichtigung der Ziele in anderen Politiken und der Verlagerung der Gütertransporte auf die Schiene und Harmonisierung der Tarifsysteme.
Bitte bedenken Sie bei Ihrer Abstimmung zur Eurovignetten-Richtlinie unsere kritischen Anmerkungen. Entscheiden Sie sich für die umweltfreundlichste und gesamtwirtschaftlich effizienteste Lösung.