Von: ka
Es gibt verschiedenste Gründe, die Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Und es gibt mindestens ebenso viele Geschichten. Eine Geschichte, ist jene von F. und ihrer kleinen Tochter M. Eine schöne aber auch tragische Geschichte, eine Geschichte voller glücklicher Zufälle. Eine Geschichte, die zeigt, wie lückenhaft das System ist, aber auch was durch Vernetzung möglich ist.
F., ihr Mann T. und die heute zweijährige M. stammen aus Eritrea. Die Menschen dieses afrikanischen Landes, das sich von der Außenwelt weitgehend abschottet, fliehen vor Folter und Knechtschaft des autoritären Regimes. T. flüchtete bereits vor längerer Zeit und lebt nun in einer Stadt in Deutschland, hat einen positiven Asylbescheid, spricht in der Zwischenzeit gut Deutsch und hat sich eingelebt. F. ist 21 Jahre alt, als sie beschließt mit der gemeinsamen Tochter ebenfalls aus Eritrea zu fliehen, um ihrem Mann nach Deutschland zu folgen. Der Weg ist lange, voller Risiken und sie weiß, dass viele ihr Ziel nicht lebend erreichen. Ihre monatelange Flucht führt F. und die 20 Monate alte M. über Libyen und das Mittelmeer nach Italien. Nicht wissend, dass das Rechtssystem die Möglichkeit der Familienzusammenführung* vorsieht, schlagen sich F. und M. vom Süden Italiens Richtung Norden durch: Mehrere Wochen verbringen sie in Mailand auf der Straße, vom Brenner werden sie wieder zurück nach Bozen verwiesen, wo sie nach einer Odyssee Mitte November 2016 stranden.
In Bozen auf der Straße
Dort zeigt sich wie nahe Glück und Unglück zusammenliegen: Eine Frau mit einem Kleinkind, die angeblich schon in einem Mailänder Aufnahmezentrum untergebracht war, erhält in Bozen von offizieller Seite keine Unterkunft. Nach Mailand will F. nicht zurück und so landen die beiden Mitte November, als die Temperaturen die Nullgrenze unterschreiten, auf der Straße in Bozen, wo sie von Privatpersonen aufgelesen werden. Die erste Nacht verbringen sie in der evangelischen Kirche, später schlafen sie bei Privatpersonen. Öffentliche Hand und Hilfsorganisationen weisen sie weiterhin ab, der „Circolare Critelli“ vom September 2016 sieht keine Aufnahme vor, alle rechtlichen Möglichkeiten scheinen ausgeschöpft.
Ein Netzwerk wird aktiv
Die Verständigung ist schwierig, F. spricht nur Tigrinisch. Doch mit Hilfe ihres Mannes in Deutschland und mit Händen und Füßen werden die ersten Tage überbrückt. Ein Netzwerk aus Privatpersonen wird aktiv: Begleitdienste zur Flüchtlingsberatung, Kontaktaufnahme mit Deutschland, Anforderung der notwendigen Dokumente (Heiratsurkunde, Asylnachweis des Mannes etc.) und vieles mehr. Bei den öffentlichen Stellen stößt man weiterhin auf taube Ohren.
Offene Ohren und Unterstützung findet F. schließlich bei einer Mitarbeiterin der Caritas: Sie setzt alle Hebel in Bewegung. Mittels Übersetzer wird die monatelange Flucht rekonstruiert und bestätigt, dass sie weder in Mailand noch sonst irgendwo in Italien aufgenommen worden war und F. somit nicht den Kriterien des „Circolare Critelli“ unterliegt. F. und M. erhalten endlich eine Unterkunft in Bozen und bekommen Zugang zur Rechtsberatung. F. erfährt von der Möglichkeit der Familienzusammenführung und somit der Chance einer legalen Ausreise nach Deutschland; sie entscheidet sich für diesen langwierigen aber legalen Weg. Viele bürokratische Hürden sind zu überwinden; die Möglichkeit der Familienzusammenführung war bisher kaum genutzt worden. In Italien gibt es einige wenige Fälle, in Südtirol bislang keine. Die Bürokratie dauert so lange, dass sich die Betroffenen oftmals allein auf den Weg ins Zielland zu Verwandten machen – auch mit fatalen Folgen: Man denke an Ameil Temergen aus Eritrea, der am Bozner Bahnhof von einem Zug überrollt wurde – nicht wissend, dass er auf legalem Weg seinem Bruder nach Deutschland hätte nachfolgen können.
Einer sehr guten Netzwerkarbeit, dem Einsatz vieler Privatpersonen und insbesondere der Hartnäckigkeit der Caritas-Mitarbeiterin ist es zu verdanken, dass die Familienzusammenführung von F. und ihrer Tochter mit ihrem Mann Monate später gelingt. Die Geschichte von F. und M. endet in Italien mit dem Abflug von Verona Ende April und geht nun in Deutschland weiter.
Diese Geschichte unterstreicht wie wichtig Vernetzung und Zusammenarbeit ist und was bei gutem Willen alles möglich wird. F. und M. hatten das Glück auf Privatpersonen zu treffen, die sich ihrer annahmen und so konnten sie über legalen Weg das Land verlassen. Derzeit steht diese Möglichkeit nur wenigen offen, denn es fehlen die entsprechenden Informationen. Auch braucht es viel Geduld, die bürokratischen Hürden zu meistern. Doch die Familienzusammenführung ist ein gesetzlich vorgesehenes Recht und sollte nicht vom Glück abhängig sein. Die Unterstützung der öffentlichen Hand wäre dabei hilfreich und gefordert.
Die Geschichte von F. und M. ist die Geschichte vieler verschiedener Menschen, die einen Beitrag geleistet haben und sich trotz bürokratischer Schwierigkeiten nicht entmutigen ließen. Es ist die Geschichte jener Mitarbeiterin, die unermüdlich war, nachhakte, Akten wälzte und schließlich die erste Familienzusammenführung Südtirols ermöglichte. Es ist die Geschichte, die zeigt, dass das Schicksal jener Menschen, die auf ihrer Flucht bei uns stranden, nicht allen gleichgültig ist, dass es viele gibt, die bereit sind, sich für Menschenrechte stark zu machen und dass es sich lohnt, auf Missstände hinzuweisen, die Stimme zu erheben und zu handeln: In diesem Fall konnte eine kleine Familie wieder vereint werden.
*Wenn sich die Familienangehörigen in einem der so genannten Dublin III Mitgliedstaaten aufhalten, besteht unter den Voraussetzungen der Dublin III Verordnung die Möglichkeit der Wiederherstellung der Familienbande im Rahmen des Dublin III Verfahrens. Dublin III Mitgliedsstaaten sind alle Länder der Europäischen Union sowie die assoziierten Staaten Norwegen, Island, Schweiz und Lichtenstein.