Von: luk
Bozen – Der Südtiroler Landtag hat heute einen Antrag der Süd-Tiroler Freiheit zu den faschistischen Ortsnamen in weiten Teilen angenommen.
Beschlussantrag Nr. 690/16: Faschistische Orts- und Flurnamen in Süd-Tirol: Für die wissenschaftliche Wahrheit! (eingebracht von den Abg. Knoll, Zimmerhofer und Atz-Tammerle am 20.10.2016): Der Süd-Tiroler Landtag wolle beschließen: 1. Der Süd-Tiroler Landtag bekennt sich zur Position der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1985, laut der aufgezwungene Namen einen „kulturellen Übergriff und Aggressionsakt“ darstellen! 2. Der Süd-Tiroler Landtag begrüßt die historisch fundierte Mehrsprachigkeit in der Süd-Tiroler Orts- und Flurnamengebung. 3. Der Süd-Tiroler Landtag missbilligt jede Initiative, mit der die Wissenschaft, insbesondere die Sprachwissenschaft, für politische Zwecke instrumentalisiert wird. 4. Der Süd-Tiroler Landtag missbilligt Versuche, faschistische Orts- und Flurnamen als entfaschistisiertes Kulturgut zu reinterpretieren. 5. Der Süd-Tiroler Landtag beauftragt den Landtagspräsidenten, den vorliegenden Beschlussantrag denselben Institutionen zur Kenntnis zu bringen, denen der Appell der „Accademia della Crusca“ zugeschickt wurde (dem italienischen Staatspräsidenten, sämtlichen Institutionen der italienischen Regierung und des italienischen Verfassungsgerichts).
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) bezog sich in der Begründung zu seinem Antrag auf den Appell der „Accademia della Crusca“ (Sprachgesellschaft zur Bewahrung der italienischen Sprache) für den Erhalt der so genannten italienischen Toponomastik in Süd-Tirol („Alto Adige“), der auch an den Staatspräsidenten gerichtet wurde. Prominentester Unterzeichner sei Prof. Carlo Alberto Mastrelli, langjähriger Direktor des von Ettore Tolomei im Jahr 1904 gegründeten „Istituto di studi per l’Alto Adige“. “Die Initiative der Vertreter der „Accademia della Crusca“ ist daher leicht zu durchschauen: Es handelt sich um den Versuch, die tolomeisch-faschistische Orts- und Flurnamengebung in Süd-Tirol, nicht nur politisch, sondern nunmehr wissenschaftlich zu rechtfertigen. Die Wissenschaft wird damit für politische Zwecke instrumentalisiert.” Knoll zählte einige Beispiele auf, die die unwissenschaftliche Methode Tolomeis widerlegten. Die Wissenschaftler, die den Appell mitunterzeichnet hätten, verfügten nur über vage bzw. einseitige Südtirol-Kenntnisse, einer habe sogar öffentlich zugegeben, dass er die Situation eigentlich gar nicht genau kenne.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore) stellte zwei verschiedene Prioritäten fest: das friedliche Zusammenleben und die Vorherrschaft. Namen würden sich in der Geschichte entwickeln und verändern, es sei nicht sinnvoll, das Rad zurückzudrehen. Der Appell der Professoren sehe alle Namen in Südtirol als Kulturgut an, die Mehrsprachigkeit sei eine Errungenschaft, eine Brückenfunktion in Europa. Den Appell hätten auch namhafte Professoren an deutschen Universitäten unterschrieben. Jede Sprachgruppe habe ein Recht auf ihre Namen.
Die Ortsnamensfrage schleppe man seit Jahrzehnten hinter sich her, inzwischen würden aber Fakten geschaffen, etwa durch Reise-Apps, meinte Bernhard Zimmerhofer (STF). Die SVP habe es bei der Streitbeilegungserklärung verschlafen, eine Lösung einzufordern. Zuerst sollte man die faschistischen Dekrete abschaffen, dann könne man auf Augenhöhe miteinander verhandeln.
Der Antrag fordere wissenschaftliche Wahrheit, aber natürlich habe die Frage auch politischen Hintergrund, erklärte Pius Leitner (Freiheitliche). Es gebe auch unter Wissenschaftlern unterschiedliche Meinungen. Es brauche eine politische Lösung, aber vor einem kulturellen Hintergrund. Die Freiheitlichen hätten hier einen anderen Lösungsansatz, der vom Völkerrecht vorgegeben sei. Es sei richtig, zum Appell der Accademia della Crusca Stellung zu beziehen, und für eine Stellungnahme gegen die faschistischen Dekrete sei er sowieso zu haben.
Man müsse feststellen, dass Unrecht geschehen sei, erklärte Dieter Steger (SVP), der Antrag lege dies auch dar. Aber man bemühe sich gerade um eine politische Lösung in dieser Frage. Eine rein historische Lösung sei unrealistisch. Die angepeilte Lösung sei ein Kompromiss, der akzeptabel sei und mit dem man das Thema abschließen könne. Es sei Zeit für einen Abschluss. Einige Forderungen des Antrags seien durchaus unterstützenswert, und es sei richtig, wenn auch der Landtag seine Position dem Staatspräsidenten klar mache. Steger forderte eine getrennte Abstimmung zu einzelnen Teilen des Antrags.
Sie fürchte, der angekündigte Kompromiss sei kein guter, denn in dieser Frage gebe es keinen, meinte Brigitte Foppa (Grüne). Sie unterstützte den ersten Punkt des Antrags, der willkürliche Namensgebung brandmarke. Davon abgesehen warnte sie davor, sich auf einen Streit mit der Accademia della Crusca einzulassen; dies könnte weitere Aktionen zur Folge haben.
Paul Köllensperger (5 Sterne Bewegung) plädierte wie Steger für einen Abschluss zu diesem Thema. Als deutschsprachiger Bürger teile er den Antrag, müsse aber als Vertreter seiner Bewegung noch mit dieser Rücksprache halten. Er werde sich daher der Stimme enthalten.
LH Arno Kompatscher hatte sich den Vorstoß erwartet. Da sei man gerade dabei, eine Lösung zu finden, und schon würden wieder Extrempositionen vorgebracht. Es sei eine Tatsache, dass ein Unrecht geschehen sei. Seit Ende des Weltkriegs bemühe man sich um eine Lösung, nun gebe es wieder einen neuen Ansatz für eine pragmatische Lösung. Man müsse auch in Rechnung stellen, dass man inzwischen in Südtirol einige gemeinsame Vorschläge gefunden habe. Eines sei die angepeilte Lösung, etwas anderes die Bewertung der Geschichte, bei der es keine Kompromisse geben könne, daher könne man Teile des Antrags auch mittragen. Allerdings möchte man sich nicht politisch einspannen lassen, um wieder Fronten aufzubauen.
Der Antrag habe nicht eine Lösung zur Ortsnamensfrage zum Ziel, antwortete Sven Knoll, man wolle sich nur gegen den Versuch wehren, die erfundenen Ortsnamen als wissenschaftlich fundiert hinzustellen. Tolomei habe übrigens auch Familiennamen auf dieselbe “wissenschaftliche” Weise übersetzt. Wenn man der Linie der Accademia della Crusca folgen würde, dann wären auch diese Familiennamen wissenschaftlich begründet.
Die Prämissen des Antrags wurden mit neun Ja, 19 Nein und einer Enthaltungen abgelehnt. Der erste Punkt wurde mit zwölf Ja, 16 Nein und einer Enthaltung abgelehnt, die anderen wurden mit 23 Ja, sechs Nein und einer Enthaltung angenommen.