Krieg brach vor eineinhalb Jahren aus

Fast 70 Prozent des Gazastreifens unter Befehl Israels

Mittwoch, 16. April 2025 | 11:38 Uhr

Von: APA/dpa/AFP

Eineinhalb Jahre nach Beginn des Gaza-Kriegs stehen laut UNO-Generalsekretär António Guterres rund zwei Drittel des abgeriegelten Küstengebiets unter Israels Evakuierungsbefehl oder werden von der Armee als Sperrzone betrachtet. Er sei “sehr besorgt, da die (humanitäre) Hilfe weiterhin blockiert wird, mit verheerenden Folgen”, schrieb Guterres auf X. Israel kündigte am Mittwoch an, dauerhaft die Kontrolle in den eroberten Gebieten behalten zu wollen.

Die Armee werde in den “Sicherheitszonen” bleiben und als Puffer zwischen dem Feind und den israelischen Gemeinden fungieren, “in jeder vorübergehenden oder dauerhaften Realität”, sagte Israels Verteidigungsminister Israel Katz nach Angaben seines Büros. Dies gelte auch im Libanon sowie in Syrien.

Anders als in der Vergangenheit werde die Armee keine Gebiete mehr räumen, teilte Katz weiter mit. Sollte die Hamas die Geiseln nicht freilassen, würden die Einsätze ausgeweitet. Diese Strategie unterscheidet sich von der zu Beginn des Kriegs, als Israel Truppen von Ort zu Ort verlegte und erklärte, es werde kein Gebiet besetzt.

Katz: Keine humanitäre Hilfe für Gaza

Katz hatte jüngst angekündigt, die Armee werde große Gebiete im Gazastreifen erobern, die als israelisch kontrollierte “Sicherheitszonen” dienen sollen. Er hatte bereits in der Vergangenheit damit gedroht, diese eingenommenen Gebiete auf unbestimmte Zeit unter israelischer Kontrolle zu halten. Israel will damit eigenen Angaben zufolge Druck auf die islamistische Palästinenser-Organisation Hamas ausüben. Die Hamas pocht auf einen Abzug der israelischen Truppen als Voraussetzung dafür, weitere Geiseln freizulassen.

Katz kündigte zudem an, dass Israel Hilfslieferungen für die Menschen im Gazastreifen weiter blockieren werde. “Israels Politik ist klar: Es kommt keine humanitäre Hilfe nach Gaza.” Die Blockade dieser Hilfe sei eines der wichtigsten Druckmittel gegen die Hamas.

Immer häufigere Evakuierungsbefehle

Nach UNO-Angaben wurden allein zwischen dem 18. März und dem 8. April fast 400.000 Palästinenser innerhalb des Küstenstreifens vertrieben. Insgesamt leben in dem dicht besiedelten Gebiet am Mittelmeer mehr als zwei Millionen Menschen. Kürzlich beklagte das UNO-Menschenrechtsbüro, die immer häufigeren Evakuierungsbefehle hätten dazu geführt, dass die Palästinenser gewaltsam in immer kleiner werdende Gebiete gedrängt werden, in denen sie kaum oder gar keinen Zugang zu Wasser, Nahrung und Unterkünften hätten.

Israel hatte bereits früher damit gedroht, die eroberten Gebiete auf unbestimmte Zeit unter eigener Kontrolle zu halten, um die islamistische Hamas zum Einlenken zu zwingen. Sie soll die restlichen 24 Geiseln freilassen, von denen man annimmt, dass sie noch am Leben sind, und 35 Leichen anderer aus Israel Entführter übergeben. Unter den vermutlich noch Lebenden sind auch ein Nepalese sowie ein Thailänder, auch unter den Toten sind mehrere Ausländer, die in Israel arbeiteten. Sie alle waren beim Terrorüberfall der Hamas und anderer islamistischer Extremisten auf den Süden Israels am 7. Oktober 2023 nach Gaza verschleppt worden.

Netanyahu droht Hamas weitere Schläge an

Die Hamas werde immer mehr Schläge einstecken müssen, sagte Israels Ministerpräsident Netanyahu nach Angaben seines Büros während eines Besuchs bei israelischen Soldaten im Norden Gazas. Er wurde demnach von Katz und Generalstabschef Eyal Zamir begleitet. Je länger die Hamas sich weigere, die Geiseln freizulassen, desto heftiger würden die Schläge, habe Katz gedroht.

Die Hamas überdenke derzeit einen Vorschlag der ägyptischen Vermittler zur Freilassung von bis zu elf der 24 Geiseln sowie der Leichen mehrerer weiterer Entführter im Gegenzug für eine neue Waffenruhe von bis zu 70 Tagen, zitierte das “Wall Street Journal” ägyptische Beamte. Der Vorschlag beinhaltet auch die Forderung, dass die Hamas ihre Waffen abgibt, was die Terrororganisation zurückwies.

Netanyahu drängt auf ein Abkommen, das die Freilassung der Geiseln vorsieht, Israel aber erlaubt, den Krieg fortzusetzen, bis die Hamas vollständig besiegt ist oder von sich aus die Waffen niederlegt. Die Islamisten sind jedoch nur zur Freilassung der Entführten bereit, wenn Israel einem Ende des Kriegs zustimmt.

Ex-Soldaten fordern Vorrang der Geiseln

In Israel mehren sich derzeit Stimmen selbst aus den Reihen der Armee, die Kritik am Vorgehen der Streitkräfte im Gazastreifen äußern, die Prioritäten der Regierung Netanyahus hinterfragen und sogar ein Ende des Kriegs fordern. 472 Ex-Soldaten aus Spezialeinheiten, darunter aktive Reservisten, hätten einen Brief unterzeichnet, in dem sie dazu aufrufen, der Freilassung der Geiseln Vorrang vor der Weiterführung des Kriegs zu geben, meldete die israelische Zeitung “Haaretz”. Darin heißt es: “Die Freilassung der Geiseln ist heute das wichtigste moralische Gebot und hat Vorrang vor allen anderen Zielen.”

Widerstand auch von Künstlern und Architekten

Laut der “Times of Israel” sprachen sich auch etwa 1.700 Künstler und Kulturschaffende für einen sofortigen Stopp der Kämpfe und die Freilassung der Geiseln aus. In einem Schreiben der Gruppe hieß es, der Gaza-Krieg diene politischen Interessen, bringe Geiseln und Soldaten in Gefahr und führe zu Leid und Tausenden Opfern auf beiden Seiten. Auch 350 israelische Autoren und Autorinnen forderten demnach ein Ende des Krieges.

Rund 600 Architekten, Ingenieure und Stadtplaner schlossen sich der Zeitung zufolge in einem weiteren Schreiben der Forderung nach Freilassung der Geiseln an, auch wenn dies das Ende des Kriegs bedeuten sollte. Derzeit verweigern laut Medienberichten immer mehr Reservisten die Rückkehr zu den Kämpfen, weil sie mit dem Vorgehen der Armee nicht einverstanden seien und etwa eine israelische Wiederbesetzung des Gazastreifens fürchten.

Netanyahus rechtsextreme Koalitionspartner fordern seit längerem eine Wiederbesiedlung des Küstenstreifens, aus dem Israel sich vor 20 Jahren zurückgezogen hat. US-Präsident Donald Trump als Netanyahus wichtigster Verbündeter sagte kürzlich, Israel hätte das “unglaublich wichtige Stück Grundbesitz” – wie er das Kriegsgebiet bezeichnet – nicht aufgeben sollen.

Kommentare

Aktuell sind 8 Kommentare vorhanden

Kommentare anzeigen