Von: mk
Bozen – Der erste Weltfrauentag fand am 19. März 1911 statt. Er hat seine Wurzeln in der Arbeiterinnenbewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Seit 1921 und somit seit genau 100 Jahren wird er jährlich am 8. März gefeiert. Die Vereinten Nationen (UN) wählten dieses Datum 1975 im Internationalen Jahr der Frau zum „Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ und richteten erstmals dazu am 8. März eine Feier aus. Seitdem wird weltweit mittels Initiativen für Gleichberechtigung, höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und gegen Diskriminierung an Frauen aufmerksam gemacht.
Weibliche Rezession
Heuer hat der internationale Tag der Frau eine besondere Bedeutung, nicht nur wegen der vielen Jahre, die Frauen immer noch auf eine gleichberechtigtere Welt warten, sondern auch wegen der Corona-Pandemie, die besonders von Frauen viele Opfer verlangt und eine Rolle rückwärts in Sachen Frauenrechte bewirkt hat. Es hat sich nämlich bestätigt, was viele vorausgesagt haben: Frauen zahlen in der Krise einen hohen Preis und spüren vorwiegend die sozialen und ökonomischen Folgen. Einige sprechen bereits von einer weiblichen Rezession („Shecession“ zusammengesetzt aus „she“ und „recession“).
Der Applaus auf den Balkonen ist verhallt, nun müssen Taten folgen, um die Rechte aller Frauen zu stärken und eine gleichberechtigte Gesellschaft herzustellen. Homeschooling, Homeoffice und die tägliche Arbeit aller Frauen, nicht nur, aber auch in systemrelevanten Berufen, haben aufgezeigt, dass ohne diese Heldinnen das System zusammenbrechen würde, zum Leidwesen der gesamten Gesellschaft.
Familienarbeit und Arbeitsplätze
Bereits die Schließung der Betreuungs- und Bildungseinrichtungen hat eine Kernproblematik der Geschlechtergleichstellung offengelegt: Die ungleiche Verteilung der unbezahlten Familien- und Pflegearbeit. Bereits vor der Corona-Pandemie haben italienweit 37.611 Mütter im Vergleich zu 13.947 Väter gekündigt. In Südtirol waren es im Jahr 2019, laut Arbeitsinspektorat, 847 Mütter und 225 Väter. Der Grund der am häufigsten von den Frauen angegeben wurde, war die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf. Bei den Männern war es ein Betriebswechsel.
Mit der Corona-Pandemie hat sich diese Situation zusehends verschärft: Geschlossene Betreuungs- und Bildungseinrichtungen und der Ausfall essenzieller Dienste haben die Frauen ins Private zurückgedrängt. Verschärft durch die Tatsache, dass laut dem nationalen Statistikinstitut ISTAT der Großteil der verlorengegangenen Arbeitsplätze, rund 72 Prozent, Frauen betrifft.
Frauen und Rente
Das Thema der Ungleichbehandlung von Frauen in der Arbeitswelt wird damit plötzlich besonders greifbar: Frauen arbeiten in erhöhtem Maße in Sektoren, die von der Krise besonders betroffen sind, in prekären Arbeitsverhältnissen oder als Selbstständige.
Dies hat auch eklatante Folgen für die Pensionen der Frauen. Laut den aktuellen Daten der Beobachtungsstelle des NISF/INPS bekamen Frauen in Trentino-Südtirol vor der Pandemie im Durchschnitt 735 Euro Altersrente, Männer erhalten 1.433 Euro. 79 Prozent der Frauen müssen mit einer Altersrente von unter 1.000 Euro auskommen, bei den Männern sind es nur 34 Prozent. Wenn dem nicht gegengesteuert wird, wird sich die Rentenschere noch weiter ausdehnen und viele Frauen in die Altersarmut führen.
Kampf gegen Gewalt an Frauen
Auch die zunehmende Gewalt an Frauen ist erschreckend. 15 Feminizide in Italien seit Jahresbeginn sind nur ein kleiner Teil der vielen Frauen, die tagtäglich Opfer von Gewalt werden und deren Leid nicht gesehen wird, teils, weil es hinter verschlossenen Türen stattfindet, teils, weil die Gesellschaft wegschaut und damit Gewalt zulässt.
Aktive Beteiligung
Dazu kommt, dass in der politischen Debatte diese Themen kaum präsent sind. Frauen fehlen in den (politischen) Entscheidungsgremien, Gleichstellungsthemen wurden und werden im Umgang mit der Pandemie ausgeklammert. Frauen wollen und dürfen somit nicht nur mit gemeint sein, sondern wollen aktiv ihren Beitrag leisten, damit die Pandemie bekämpft und Frauen nicht weiterhin die vorwiegend Leidtragenden sind. Deshalb haben die Vereinten Nationen das heurige Jahr unter folgendes Motto gestellt: „Frauen in Führung: für eine gleichberechtigte Zukunft in einer Covid-19 Welt!“
Der Appell der Frauenorganisationen
Auch in Südtirol haben verschiedene Organisationen, Verbände und Institutionen immer wieder auf die Problematiken aufmerksam gemacht und zum Handeln angeregt. Den 8. März nutzen sie, um erneut ihre Forderungen für die Gleichberechtigung der Geschlechter zu stellen:
– Implementierung der Chancengleichheit und der Gleichstellung der Geschlechter als interdisziplinäres Thema;
– Einbezug von Interessensvertretungen für die Rechte der Frauen in Entscheidungsprozessen;
– Garantie von Betreuungs- und Bildungsdienstleistungen in der Krise oder von Notfallbetreuungssystemen;
– Schaffung flexibler Betreuungs- und Bildungsangebote;
– Schaffung und Implementierung von flexiblen und familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen;
– Schließung der Lohn- und Rentenschere;
– Bekämpfung der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen;
– Geschlechtergerechte Aufteilung der Haus- und Pflegearbeit.
Die unterzeichnenden Organisationen und Interessensvertretungen sind sich einig, dass es mehr denn je wichtig ist, auf die Schieflage in der Geschlechterparität aufmerksam zu machen und konkrete Handlungen einzuleiten.