Gabriel Attal ist ein Vertrauter Macrons

Gabriel Attal wird neuer Premierminister Frankreichs

Dienstag, 09. Januar 2024 | 14:50 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters/AFP

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat den erst 34-jährigen bisherigen Bildungsminister Gabriel Attal zum neuen Premierminister ernannt. Das teilte der Élyséepalast am Dienstag mit. Am Montagabend war die Mitte-Regierung von Élisabeth Borne zurückgetreten. Attal ist der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte Frankreichs. Er ist seit 2023 Bildungsminister und gilt als enger Vertrauter Macrons. Der Personalwechsel gilt als Schachzug Macrons im Jahr der Europawahl.

In Umfragen lag Macrons Partei zuletzt acht bis zehn Prozentpunkte hinter der Bewegung der rechtsextremen Oppositionschefin Marine Le Pen. Attal sei “die beste Karte, die der Präsident ausspielen könnte”, sagte Ifop-Meinungsforscher Jerome Fourquet dem Sender BFM TV. Er verwies auf die Popularität, die Attal seiner Meinung nach durch sein schnelles Handeln als Bildungsminister und durch seine Kommunikationsfähigkeit erlangt habe.

Die Amtsübergabe sollte am Nachmittag stattfinden. Anschließend wollte Attal als neuer Regierungschef die vom Hochwasser betroffenen Gebiete in Nordfrankreich besuchen. Macron beauftragte ihn außerdem mit der Bildung einer neuen Regierung.

Attal wird damit der erste offen homosexuelle Politiker in dem Amt. In der Rangliste der bei Amtsantritt jüngsten Regierungschefs liegt Attal auf Platz sechs hinter Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (Österreich 2017: 31 Jahre), Pandeli Majko (Albanien 1997: 31 Jahre), Mart Laar (Estland 1992: 32 Jahre), Waldemar Pawlak (Polen 1992: 32 Jahre) und Sanna Marin (Finnland 2019: 34 Jahre).

Der als guter Kommunikator geltende Attal hatte sich als Regierungssprecher während der Pandemiezeit einen Namen gemacht. Nach seiner Ernennung zum Bildungsminister verbot er die muslimische Abaya-Kleidung in staatlichen Schulen des laizistisch ausgerichteten Landes. Der Bann für die langen orientalischen Gewänder brachte Attal Beifall aus dem konservativen Lager ein. Als Bildungsminister bekannte Attal auch freimütig, dass er in seiner Jugend Mobbing erlebt hatte und wegen seiner Homosexualität und seiner jüdischen Herkunft angefeindet worden sei. Macron könnte Attal vom Typ her zudem besser liegen als Borne: Attals dynamische Art und seine steile Karriere erinnern Beobachter an den Präsidenten.

Borne hatte ihren Rücktritt nach tagelangen Spekulationen über eine Regierungsumbildung am Montag eingereicht. Präsident Macron dankte ihr im Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, “von ganzem Herzen” für ihre “vorbildliche” Arbeit im Dienste des Landes. Borne war im Mai 2022 ernannt worden. Sie war die zweite Ministerpräsidentin in der Geschichte Frankreichs nach Edith Cresson.

Borne soll bis zuletzt dafür geworben haben, im Amt zu bleiben. Macron liegt jedoch daran, mit einer erneuerten Regierungsmannschaft nach der ungeliebten Pensionsreform und dem umstrittenen Einwanderungsgesetz ein neues Kapitel aufzuschlagen. Im Frühling finden außerdem die Europawahlen statt, im Sommer richtet Frankreich die Olympischen und Paralympischen Spiele aus.

Für Macron geht es mit der Ernennung Attals und der damit verbundenen Umbildung des Kabinetts um eine Flucht nach vorne. Seit den Parlamentswahlen 2022 hat sein Lager in der Nationalversammlung keine absolute Mehrheit mehr und ist auf Stimmen der Opposition angewiesen. Schon die heftig umstrittene Pensionsreform im vergangenen Jahr drückte Macron letztlich ohne Endabstimmung in der Kammer durch. Beim neuen Immigrationsgesetz machte die Regierung den konservativen Républicains im Dezember so massive Zugeständnisse, dass Abgeordnete aus den eigenen Reihen dagegen votierten und das Lager zu brechen drohte.

Le Pen hatte das veränderte Einwanderungsgesetz als “großen ideologischen Sieg” für ihre Partei gefeiert, die in der Nationalversammlung dafür stimmte. Das Regierungslager beanspruchte aber für sich, dass es eine Mehrheit auch ohne die Stimmen der extremen Rechten gegeben hätte. Linksgerichtete Politiker aus dem Lager Macrons warfen ihm Verrat an seinen Wahlversprechen vor. Macron hatte die Präsidentschaftswahlen 2017 und 2022 für sich entschieden, als sich die Wähler hinter ihm scharten, um einen Sieg Le Pens zu verhindern.

Dabei geht Macron aber auch das Risiko ein, einem Politiker Platz einzuräumen, der schon jetzt beliebter ist als er selbst. Diese Situation hatte er bereits mit seinem ersten Premierminister Édouard Philippe erlebt, der bald darauf gegen den Technokraten Jean Castex ausgewechselt worden war.

Die Opposition reagierte kritisch bis höhnisch auf die Ernennung. “Attal wird erneut Regierungssprecher. Das Amt des Premierministers entfällt damit”, kommentierte der linkspopulistische Parteichef Jean-Luc Mélenchon. Der rechtspopulistische Abgeordnete Sébastien Chénu sah in der Ernennung des sehr jungen Regierungschefs eine Antwort auf den 28 Jahre alten Chef der Partei Rassemblement National, Jordan Bardella. “Die Regierung nähert sich uns in Inhalt und in Form an”, sagte er.

Die Regierungsumbildung dürfte den Konkurrenzkampf in Macrons Lager um dessen Nachfolge bei der nächsten Präsidentschaftswahl im Jahr 2027 verschärfen. Dafür gelten der ehemalige Premierminister Philippe, Innenminister Gérald Darmanin und Finanzminister Bruno Le Maire als potenzielle Kandidaten. Macron darf bei der kommenden Wahl nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten.