Wahllokal in der georgischen Hauptstadt Tiflis

Georgien-Wahl: Moskau-freundliche Regierungspartei vorn

Samstag, 26. Oktober 2024 | 23:03 Uhr

Von: APA/AFP/Reuters

Georgien droht nach seiner Parlamentswahl eine Zerreißprobe: Sowohl das Moskau-freundliche Regierungslager als auch die pro-europäische Opposition haben am Samstagabend den Sieg für sich reklamiert. Die Wahlkommission teilte mit, nach Auszählung der Stimmen in 70 Prozent der Wahlbezirke komme die Regierungspartei Georgischer Traum auf 53 Prozent, das Oppositionsbündnis auf 38,28 Prozent. Die Opposition wies die offiziellen Teilergebnisse als “gefälscht” zurück.

“Wir erkennen die gefälschten Ergebnisse der gestohlenen Wahlen nicht an”, sagte in der Nacht zum Sonntag (Ortszeit) die Chefin der größten Oppositionspartei UNM, Tina Bokuschawa.

Nach der als Richtungsentscheidung angesehenen Parlamentswahl beanspruchen sowohl die Regierung als auch die Opposition den Sieg. Der Milliardär Bidsina Iwanischwili erklärte die von ihm gegründete pro-russische Regierungspartei Georgischer Traum am Samstag nach Schließung der Wahllokale zum Gewinner. Pro-europäische Oppositionsparteien sowie die ihnen nahestehende Staatspräsidentin Salome Surabischwili erklärten hingegen, die Opposition habe insgesamt eine Parlamentsmehrheit in der Kaukasusrepublik errungen.

Zuvor von Medien veröffentlichte Prognosen wichen stark voneinander ab. Der Sender Imedi TV, der der Regierungspartei nahesteht, prognostizierte für diese ein Ergebnis von 56 Prozent. Dem Sender Formula TV zufolge, der der Opposition nahesteht, konnte die Regierungspartei hingegen mit 41 Prozent und die Opposition insgesamt mit 52 Prozent der Stimmen rechnen. Der ebenfalls pro-oppositionelle Sender Mtawari Archi TV sah die Regierungspartei bei 42 Prozent und die Opposition bei insgesamt 48 Prozent.

Iwanischwili, der früher selbst Ministerpräsident war, beanspruchte eine weitere Regierungszeit des Georgischen Traums. “Es ist ein seltener Fall auf der Welt, dass ein und dieselbe Partei in einer so schwierigen Situation einen solchen Erfolg erzielt”, sagte er seinen Anhängern. “Ich versichere Ihnen, dass unser Land in den nächsten vier Jahren große Erfolge erzielen wird.”

Präsidentin Surabischwili hingegen erneuerte ihren Vorwurf der Wahlmanipulation durch die Regierungspartei. “Das europäische Georgien gewinnt mit 52 Prozent trotz der Versuche, die Wahlen zu manipulieren, und ohne die Stimmen aus der Diaspora”, erklärte Surabischwili auf X.

Die Leiterin der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung, Bokutschawa, sagte der Nachrichtenagentur Reuters, der Georgische Traum habe die Wahl verloren. “Wir werden das amtliche Endergebnis abwarten, aber der Verlierer sollte die Größe haben, seine Niederlage einzugestehen und sich zu verabschieden.” Georgien habe sich für eine Zukunft in Europa entschieden.

Am Wahltag war es nach Angaben Surabischwilis zu Gewalt gekommen. “Ich möchte auf die zutiefst beunruhigenden Vorfälle von Gewalt in verschiedenen Wahllokalen hinweisen”, erklärte die Staatschefin in Onlinediensten. Zuvor waren in Onlinenetzwerken Videos verbreitet worden, wonach es an mehreren Wahllokalen zu gewaltsamen Konfrontationen kam.

Außerdem war die Wahl von Vorwürfen der Wahlmanipulation und der Einschüchterung von Wählern überschattet. Die wahlbeobachtende Vereinigung junger Anwälte etwa berichtete von “erheblichen Wahlverstößen”. Die Oppositionsparteien teilten zudem Aufnahmen von offenbar verstopften Wahlurnen im südöstlichen Dorf Sadachlo. Die Wahlkommission erklärte später die in diesem Ort abgegebenen Stimmen für ungültig.

“Sie verstopfen Wahlurnen, schikanieren Wähler und schlagen Beobachter”, beklagte die UNM-Spitzenpolitikerin Bokutschawa. Die UNM ist die Partei des inhaftierten Ex-Präsidenten Michail Saakaschwili. Der Exekutivsekretär von Georgischer Traum, Mdinaradse, wies die Anschuldigungen als eine von der Opposition inszenierte “Provokation” zurück.

Die Parlamentswahl wird international genau beäugt. Laut Zentraler Wahlkommission nehmen Vertreterinnen und Vertreter von über 60 internationale Organisationen, darunter der OSZE, des Europarates und der NATO sowie des Europäischen Parlaments an Wahlbeobachtungen teil. “Man merkt, dass viele internationale, aber auch lokale Wahlbeobachter teilnehmen”, erklärte auch der EU-Abgeordnete Reinhold Lopatka (ÖVP), der für das Europäische Parlament die Wahl verfolgt, am Samstag im Gespräch mit der APA.

Die Europäische Union fürchtet, dass Georgien sich unter der Partei Georgischer Traum von seinem Ziel des EU-Beitritts abkehren und sich zu Russland hinwenden könnte. Ungarns rechtsnationalistischer Regierungschef Viktor Orban, dessen Land gerade die EU-Ratspräsidentschaft innehat, beglückwünschte allerdings Georgischer Traum zu einem “überwältigenden Sieg”. Im Onlinedienst X erklärte er: “Die Menschen in Georgien wissen, was das Beste für ihr Land ist, und haben sich heute Gehör verschafft.” Orban pflegt enge Beziehungen zum russischen Staatschef Wladimir Putin und kritisiert regelmäßig die westliche Unterstützung für die Ukraine in ihrem Abwehrkrieg gegen die russischen Invasionstruppen.

Die seit zwölf Jahren regierende Partei Georgischer Traum will die Beziehungen zu Russland ausbauen, während die Opposition den Anschluss an die Europäische Union sucht. Iwanischwili hatte angekündigt, im Falle eines Wahlsieges seiner Partei werde sie Oppositionsparteien verbieten. Es gelte zu verhindern, dass das Land mit seinen rund 3,6 Millionen Einwohnern in einen direkten Konflikt mit Russland gedrängt werde. Oppositionskandidaten wirft er vor, eine Revolution und Chaos anzetteln zu wollen.

Bereits jetzt hat die Regierung eine Entfremdung mit der Europäischen Union erreicht. Vergangenen Juni trat das Gesetz gegen angebliche ausländische Einflussnahme in Kraft. Von der Opposition und westlichen Regierungen wird es als Mittel zur schärferen Kontrolle der Zivilgesellschaft und unvereinbar mit Grundrechten kritisiert. Die Europäische Union legte den Beitrittsprozess auf Eis. Erst vergangenen Dezember hatte Georgien den Status eines Beitrittskandidaten erhalten.

Kritiker vermuten Russland hinter dem Kurs der Regierung in Tiflis. Verwiesen wird darauf, das in Russland ein ähnliches Gesetz verabschiedet wurde, dass auch gegen inländische Kritiker angewendet wird. Die Regierung in Moskau hat eine Einflussnahme in Georgien abgestritten.

Kommentare

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12 Kommentare auf "Georgien-Wahl: Moskau-freundliche Regierungspartei vorn"


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Doolin
Doolin
Kinig
19 Tage 11 h

…die Georgier haben sich den Russen zu beugen, sonst ergeht es ihnen wie den Ukrainern…das sind sowjetische Kolonien, deren Freiheitsbestrebungen unterdrückt werden…

Oracle
Oracle
Kinig
18 Tage 2 h

Dem stimme ich leider zu….

Faktenchecker
17 Tage 18 h

Ist es bei uns anders?

“Bilanz der Postfaschistin Zwei Jahre Meloni: Mehr Strafen, weniger Rechte”

https://www.n-tv.de/politik/Zwei-Jahre-Meloni-Mehr-Strafen-weniger-Rechte-article25314746.html

N. G.
N. G.
Kinig
17 Tage 17 h

Ich frage dich, nach all dem emotionalen Gesülze wann in der Geschichte der Menschheit je Länder frei waren, frei in ihrern Entscheidungen noch sonst was?
Wir Menschen sind noch lange nicht da wo wir uns selbst gern sehen möchten. Na, du uns siehst. GRINS

romanok1966
romanok1966
Grünschnabel
18 Tage 1 h

Warum ist Ungarn eigentlich noch in der EU? Nur zum Abkassieren? Warum tritt das Land nicht endlich aus? Die Ungarn sind bestimmt froh, sich wieder in die russische Einflusssphäre zu begeben.

So ist das
18 Tage 17 Min

Weil sie aus Russland kein Geld erhalten würden 🤔

N. G.
N. G.
Kinig
17 Tage 23 h

Abwarten, in Ungarn kommt Bewegung in die Sache und Orban steht unter Druck. Fängt schin an Geschichten zu erzählen, wie Trump.

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ungarn-orban-nationalfeiertag-100.html

romanok1966
romanok1966
Grünschnabel
18 Tage 1 h

Die EU hat gut daran getan, den Beitrittsprozess Georgiens auf Eis zu stellen. Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung mit der Annäherung an Russland einverstanden ist, soll es so sein. Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. 

N. G.
N. G.
Kinig
17 Tage 23 h

Das kann man so nicht sagen. Bei Polen sah auch alles gut aus und wenn sich dann politische Verhältnisse zum schlechten entwickeln kann man nicht viel tun. Wie in all den Ländern in denen es inzwischen so ist.

Ischjolougisch
Ischjolougisch
Superredner
17 Tage 23 h

Das muss man sich mal vorstellen. Die Partei Georgischer Traum hat Ängste geschürt sollte die Opposition gewinnen wird es zu einem russischen Angriffskrieg wie in der Ukraine kommen.

hundeseele
hundeseele
Universalgelehrter
17 Tage 19 h

FREIE Wahlen gibt es schon lange nicht mehr.Entweder sie werden von der einen oder der anderen Seite manipuliert-kommt darauf an wer gewinnt,dann wird manipulativ eingegriffen.Am meisten von den angeblich demokratischen Mächten,die beide Seiten für sich proklamieren!

N. G.
N. G.
Kinig
17 Tage 18 h

Wir haben in den letzten Wahlen in den USA gesehen wie demokratisch das Wahlergebnis aufgenommen wurde und dieses Mal muss man nur hoffen, dass es nicht ganz ausartet wenn Trump nicht gewinnen sollte.

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