Von: luk
Bozen – Im Südtiroler Landtag fand heute die Generaldebatte zum Gesetzentwurf der Landesregierung statt.
Landesgesetzentwurf Nr. 155/18: „Soziale Landwirtschaft“ (vorgelegt von der Landesregierung auf Vorschlag von LR Schuler). Mit dem Gesetzentwurf werden ein Landesverzeichnis und die Anerkennung von Anbietern sozialer Landwirtschaft geschaffen. Auch der Tätigkeitsbeginn, die Gemeindeimmobiliensteuer und der Landesbeirat für soziale Landwirtschaft, die Überwachung und Strafen sowie die Übergangsbestimmungen würden mit diesem Gesetzentwurf geregelt. Der Artikel 5 des Gesetzentwurfs regelt die subjektiven und objektiven Voraussetzungen, wobei mit Durchführungsverordnung die Modalitäten für den Zugang der Anbieter sozialer Landwirtschaft sowie die Formen der Zusammenarbeit mit den zuständigen Körperschaften und öffentlichen Diensten festgelegt werden. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf sollen keine Parallelstrukturen aufgebaut werden. Es werden vier Tätigkeitsbereiche aufgelistet: die soziale und Arbeitseingliederung, soziale Dienstleistungen und Tätigkeiten sowie Dienstleistungen für die örtlichen Gemeinschaften, Leistungen und Dienstleistungen zur Unterstützung und Begleitung von medizinischen, psychologischen und Rehabilitationstherapien, Projekte zur Umwelt- und Ernährungserziehung, zum Erhalt der Biodiversität sowie zur Verbreitung des Wissens über die umliegende Kulturlandschaft.
Das Sozialsystem zu erhalten, sei eine der größten Herausforderungen, erklärte LR Arnold Schuler. Schon die Änderung der Zusammensetzung der Familien mache das nötig. Es gebe neben der Pflegesicherung auch andere Formen der Unterstützung, eine davon sei die soziale Landwirtschaft. Die Landwirtschaft leiste bereits vieles im sozialen Bereich, schon dadurch, dass die Familien bestens organisiert sind und damit die öffentlichen Strukturen entlasten, etwa in der Seniorenbetreuung. Der Staat habe 2015 ein Gesetz zur sozialen Landwirtschaft erlassen, an das man nun anschließe. Zur Umsetzung sei eine Arbeitsgruppe unter Maria Hochgruber Kuenzer eingesetzt worden, an der auch Eurac, Landwirtschaftsabteilung, die Bäuerinnenorganisation u.a. teilgenommen hätten. Zur Diskussion im Vorfeld erklärte Schuler, vieles beruhe auf einem Missverständnis. Es gehe um einen zusätzlichen, niederschwelligen Dienst, niemandem werde etwas weggenommen. Es stehe der soziale Dienst im Vordergrund, nicht das Zusatzeinkommen für die Landwirtschaft.
“Es kann durchaus sinnvoll sein, das naturnahe soziale Umfeld eines Bauernhofs für Menschen zur Verfügung zu stellen, die sich in einer schwierigen Situation befinden”, erklärte Brigitte Foppa (Grüne) in ihrem Minderheitenbericht, machte aber auch eine Reihe von Schwachstellen aus: Der verfehlte Ausgangspunkt: Es wird nicht von den Menschen mit besonderen Bedürfnissen ausgegangen, sondern von der Landwirtschaft und dem Ziel, ihr eine weitere Einkommenssäule zu garantieren; die drohende Schieflage zwischen der Professionalität der Sozialberufe und dem Angebot auf dem Bauernhof, dessen Befähigung noch völlig im Dunklen liegt; die fehlende Zielrichtung der finanziellen Förderung; die Steuerung der gesamten Materie über die Abteilung Landwirtschaft; das Soziale und die Gesundheit sind gerade einmal mit je einem Beamten im zu schaffenden Landesbeirat vertreten – vergessen wurden sowohl die Vertretungen der Sozialberufe wie die der Sozialgenossenschaften, der Selbsthilfeorganisationen und der öffentlichen Sozialdienste, und nur durch einen Änderungsantrag unserer Fraktion konnte zumindest die Vertretung des Dachverbandes für Soziales und Gesundheit im Fachbeirat gesichert werden; die üblichen GIS-Erleichterungen auch für Gebäude, die für soziale Landwirtschaft adaptiert werden – es ist sicherzustellen, dass nicht über den Umweg der sozialen Landwirtschaft bauliche Eingriffe, die sonst nicht möglich wären, erfolgen können; die Gleichstellung der Betriebe der sozialen Landwirtschaft mit den Anbietern von Sozial- und Gesundheitsdiensten.” Das Gesetz sei unausgereift, urteilte Foppa schließlich: “Das Gesetz bleibt in der Darlegung der Zielsetzung erstaunlich ungenau und verschleiert. Im Bericht gibt es nicht den Ansatz eines Hinweises auf die grundlegende Zielsetzung, den Maßnahmen und Modalitäten, wie diese erreicht werden sollen – darunter vor allem das abgesprochenen und integrierte Vorgehen im Netz mit den lokalen Sozial-, Gesundheits-, Arbeits-, Berufsbildungs- und allgemeinen Bildungseinrichtungen. Kein Hinweis auf den Finanzierungsbedarf, keine wie auch immer geartete planerische Perspektive.”
Die Sozialverbände hätten anders als von Schuler behauptet keine Existenzängste wegen dieses Gesetzes, bemerkte Sigmar Stocker (Freiheitliche), sie hätten dagegen viele Fragen gehabt und sie hätten gerne am Gesetz mitgearbeitet. Das Gesetz sei eine gute Idee, aber nicht ausgereift, und solle nun noch kurzfristig vor den Wahlen zur Unterstützung von Kollegin Kuenzer durchgeboxt werden. Es entstehe dadurch auch leider der Eindruck, dass sich die Landwirtschaft wieder Vorteile verschaffen wolle.
Walter Blaas (F) betonte, dass Stocker selbst Landwirtschaftsvertreter sei. Es sei ein typisches Gesetz zum Wohle der Landwirtschaft, insofern sei den Vertretern der Landwirtschaft im Saal durchaus Respekt für ihre Durchschlagskraft zu zollen. Die Konkurrenz belebe den Markt, aber privilegierte Schienen dürften nicht sein. Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen z.B. würden für die Landwirtschaft abgeschwächt. Er fürchte, das Gesetz werde auch als Hebel für anderes benutzt, etwa bauliche Maßnahmen, die man anders nicht genehmigt kriege.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) äußerte seine Zustimmung zu den Zielen des Gesetzes, aber auch Bedenken zur Umsetzung. Eine Bäuerin sei auf dem Hof ziemlich ausgelastet, auch weil von der Landwirtschaft immer mehr verlangt werde. Er frage sich, wie sich die Betreuung zeitlich ausgehe. Zweifel habe er auch bei den Sicherheitsbestimmungen und Verantwortlichkeiten: Für die Betreuung von Patienten mit bestimmten, etwa psychischen Beschwerden brauche es spezifisches Hintergrundwissen. Sehr sinnvoll hingegen seien z.B. Projekte zur Erziehung im Umgang mit Nahrungsmitteln.
Brigitte Foppa (Grüne) hatte ebenfalls Zweifel am Zeitmanagement. Eine Bäuerin müsste neben der Arbeit in Hof und Feld, neben Gästebetreuung und Hofladen auch Patienten betreuen. Bei der Vorstellung des Gesetzes sei man nie von den Patienten ausgegangen, sondern vom Bauernhof. Dem sei der Zuerwerb gegönnt, aber in diesem Fall müssten die Patienten im Vordergrund stehen. Es gehe laut Staatsgesetz um Menschen in psychiatrischer Behandlung oder nach psychiatrischer Haft, Jugendliche mit Drogen- und anderen Problemen, autistische Patienten – hier seien auch die Profis oft überfordert. Die Hauswirtschaftsschulen würden für das nötige Wissen nicht genügen. Man sollte wenigstens klare Kriterien ins Gesetz schreiben.
Maria Hochgruber Kuenzer (SVP) wehrte sich gegen den Vorwurf, man wolle das Gesetz schnell durchboxen. Es sei zwei Jahre daran gearbeitet worden. Man habe bewusst nicht alle Berufsbilder aus dem Staatsgesetz übernommen, sondern sich auf acht konzentriert, die vom Land bereits anerkannt seien. Es gebe hier keine eigene Schiene für die Landwirtschaft, es seien immer die einschlägigen Gesetze zu berücksichtigen. Viele der genannten Tätigkeiten würden heute auf dem freien Markt geboten. Bei den geregelten Tätigkeiten würden für die Bäuerin dieselben Vorschriften gelten. Das einzig Neue sei, dass diese Tätigkeiten nun auch als landwirtschaftliche Tätigkeiten anerkannt würden. Derzeit gebe es bereits die Seniorenbetreuung auf dem Bauernhof, und nur vier, fünf Bäuerinnen übten diese Tätigkeit aus – es sei also nicht ein Zusatzeinkommen für die ganze Landwirtschaft. Der Beruf der Bäuerin sei heute vielfältig, aber nicht jede Bäuerin mache alles. Wenn eine Bäuerin Kinder betreue, dann mache sie das nicht nebenher. Die Bauernhöfe seien kein Altersheim und keine Tagesstätte, sondern eine Zusatzgelegenheit für eine bestimmte Zeit. So könnten sie auch pflegende Angehörige unterstützen, die oft überfordert seien. Wer diese Tätigkeiten ausübe, sei auch dafür ausgebildet.
Andreas Pöder (BürgerUnion) sah die soziale Landwirtschaft als nützliche Einrichtung, die es auf staatlicher Ebene bereits gebe. Allerdings sehe er die Gefahr, dass von der eigentlichen Landwirtschaft wenig mehr übrig bleibe, wenn immer wieder neue Tätigkeiten dazu kämen. Eine zusätzliche Einnahmequelle sei durchaus sinnvoll, aber es sollte eine völlig gleiche steuerliche Behandlung wie bei den anderen Anbietern gelten. Es dürfe nicht wieder ein Reservat mit bestimmten Vorteilen entstehen. Auch bei der Ausbildung würden die Standards stark gesenkt. Falls man beides angleiche, könne er dem Gesetz zustimmen, erklärte Pöder. Es sollte nicht ein Konkurrenzkampf bei den sozialen Dienstleistungen entstehen. Für die Betreuung eines Angehörigen könnten die vorgesehenen Ausbildungsstandards genügen, die Betreuung Außenstehender sei eine andere Sache. Andere Anbieter von solchen Diensten müssten weit höhere Standards einhalten, das sei keine faire Konkurrenz. Bauern würden gerne vor Strafen verschont, etwa bei den Luftfahrthindernissen, aber dieses Gesetz sehe hohe Strafen für Nichtbauern vor.
Bernhard Zimmerhofer (STF) lobte die Zielsetzung. Die demografische Entwicklung zwinge zur Suche nach Alternativen, die Pflegeheime hätten zu wenig Platz. Er fragte, wie diese Maßnahmen finanziert werden.
Sven Knoll (STF) sah eine Ungleichbehandlung bei den Hygienevorschriften. Ein kleiner Ausschankbetrieb müsse eine Edelstahlküche haben, ein Bauernhof, der Essen auf Rädern anbiete, nicht. Er fragte, an welche Betreuungszeiten gedacht werde – bei acht Stunden bleibe keine Zeit für den Hof mehr. Die Zeiten seien nicht kontinuierlich, antwortete Hochgruber Kuenzer, manchmal sei ein Tag abzudecken, manchmal ein Wochenende.
Riccardo Dello Sbarba (Grüne) erinnerte daran, dass mit diesem Gesetz nichts Neues geschaffen wird, in Italien gebe es bereits 475 soziale Bauernhöfe. In Italien gebe es auch ein Netzwerk mit den Sozialdiensten, immerhin würden auch Patienten in sehr schwierigen Situationen betreut. Dieser Aspekt, die fachliche Unterstützung der sozialen Bauernhöfe, fehle im vorliegenden Entwurf völlig. Es handle sich jedenfalls um eine Marktnische. Man werde sehen, ob dieses Gesetz für eine weitere Verbreitung sorge. Dello Sbarba fragte, ob man erhoben habe, wie viele Betriebe an dieser Möglichkeit interessiert seien.
LR Arnold Schuler stellte fest, dass das Grundanliegen von allen geteilt wird. Es gehe bei diesem Gesetz um einen Mehrwert für das Sozialsystem, nicht für die Landwirtschaft. Man sollte der Landwirtschaft für diese Bereitschaft dankbar sein. Es stimme, dass die Kollegin Kuenzer maßgeblich an der Ausarbeitung des Gesetzes beteiligt gewesen sei, aber das bedeute nicht, dass er keine soziale Ader habe – er habe, wie auch andere Landesräte, den Landtag mehr einbinden wollen. Von den Grünen hätte er sich mehr Unterstützung für dieses Gesetz erwartet. Die Ausbildungsstandards für viele Tätigkeiten wie auch die Hygienebestimmungen seien bereits durch andere Gesetze vorgegeben. Die Wahlen hätten mit dem Timing nichts zu tun, die Landesregierung arbeite weiter an ihren Vorhaben bis zum Ende der Legislaturperiode. An Blaas, der ein Geschenk für die Landwirtschaft vermutete, richtete Schuler die Frage, wo er sonst die Alternative sehe, wenn man schon Personal aus dem Ausland holen müsse. Die Zuerwerbsmöglichkeiten seien wesentlich für den Erhalt der kleinen Betriebe und insofern auch im Interesse des Landes. Es sei eine Marktnische, aber mit viel Potenzial. Dieses Gesetz schaffe die Rahmenbedingungen, sie auszubauen.
Anschließend wurde mit der Behandlung von Tagesordnungen zum Gesetzentwurf fortgefahren.