Mit neuen Themen zum Erfolg – ein Kommentar

Glückliche Patrioten

Freitag, 03. November 2023 | 01:16 Uhr

Von: ka

Bozen – Die heimischen politischen Beobachter rechneten fest mit Zuwächsen für die „Patrioten“, aber dass die Süd-Tiroler Freiheit (STF) ihre Mandate verdoppeln und die neu aus der Taufe gehobene Partei JWA des ehemaligen Schützenkommandanten und Hobby-Rappers Jürgen Wirth Anderlan aus dem Stand zwei Mandate holen würde, war nach dem schicksalhaften Wahltag dann doch eine Überraschung. Besonders in den Landgemeinden konnten die beiden Oppositionsparteien der Sammelpartei sehr viele Stimmen entreißen und ihr gefährlich nahekommen.

Der Erfolg der STF hat viele Väter. Der STF, die jahrelang nur als reine Selbstbestimmungspartei wahrgenommen worden war, gelang es geschickt, ihr Themenspektrum zu erweitern. Die Parteispitze, allen voran Sven Knoll, erkannte rechtzeitig, dass Los von Rom, Ortsnamen und Doppelpass zwar ihre kleine Stammwählerschaft ansprechen, aber mit den täglichen Problemen der Bevölkerung nichts zu tun haben. Mit einer engagierten, teilweise aggressiven Kampagne besetzte die Süd-Tiroler Freiheit das Thema Sicherheit, das aufgrund mehrerer Vorfälle seit Monaten unter den Fingernägeln der Südtiroler brennt. Auch bei den Themen leistbares Wohnen sowie Wolf und Bär hatte die STF ein gutes Gespür für die Nöte und Ängste der Bevölkerung. Ein glückliches Händchen bewies die STF-Parteiführung zudem bei der von vielen politischen Mitbewerbern anfangs belächelten Entscheidung, mit Sven Knoll als Landeshauptmannkandidat zur Wahl anzutreten. Der jugendlich frische Onlineauftritt der Bewegung rundet das Bild des Erfolgsmodells STF ab.

stf

Anders liegt der Fall bei der Liste JWA, die sich mit ihrem viel kritisierten, aber charismatischen Gründer und Listenführer Jürgen Wirth Anderlan den Wählern stellte. JWA sprach wie die STF zwar auch die Bedürfnisse vieler Südtiroler an, ihr Erfolg beweist aber auch, dass der Ärger der Gegner der Impfpflicht und Corona-Maßnahmen noch lange nicht verflogen ist. Ein Teil der Bevölkerung, der die Einschränkungen der Pandemiezeit als Angriff auf ihre Rechte und Freiheit empfindet, wollte bei den Wahlen ein Zeichen setzen und wählte je nach persönlichem Gusto – ob eher patriotisch-konservativ oder städtisch-liberal – entweder JWA oder die Bewegung Vita der Bozner Rechtsanwältin Renate Holzeisen.

In einer immer unsichereren Welt sehen weite Bevölkerungsschichten in der Rückkehr zu den Wurzeln der eigenen Identität und Kultur einen Rettungsanker, was sich auch im Erfolg von STF und JWA widerspiegelt. Zudem empfindet die Landbevölkerung, die unter den Rissen der Wölfe und Bären leidet, die dauernde Besserwisserei vieler städtischer Tierschützer als Affront und – schlimmer noch – als Beweis, dass denen unten im Tal das Schicksal der Berglandwirtschaft einerlei ist.

Facebook/Liste JWA

Insbesondere die STF wird den Beweis antreten müssen, ob sie die dazugewonnene Stärke in politische Erfolge umzumünzen vermag, oder wie die immer noch zerstrittenen Freiheitlichen, die vor genau zehn Jahren sogar sechs Mandate erobern konnten, wieder auf ihre Stammwählerschaft zusammenschmelzen wird.

Politische Beobachter mögen sich mit Blick auf die vielen Parteien und die kommende schwierige Koalitionsbildung auf spannende Zeiten freuen, aber das Wahlergebnis zeigt vor allem, dass die Gesellschaft immer zersplitterter wird und die Südtiroler Bevölkerung immer weiter auseinanderdriftet. Angesichts der sich öffnenden soziale Schere, der Missachtung der Wünsche und Bedürfnisse großer Teile der Bevölkerung und der Zerstrittenheit der politischen Führung ist das keine Überraschung. Die kommende Landesregierung steht vor der Herkulesaufgabe, das Land wieder zusammenzuführen. Gelingt das nicht, steht mehr auf dem Spiel als fehlende Mehrheiten. Es geht um nichts weniger als um unsere Autonomie und die Zukunft Südtirols.

Bezirk: Bozen