Von: mk
Dass Kreml-Despot Wladimir Putin auch Nato-Gebiet angreifen könnte, darüber macht man sich im Westen zunehmend Sorgen. Nun wird darauf reagiert: Ab Februar plant das Verteidigungsbündnis das größte Manöver seit Ende des Kalten Krieges.
Politikwissenschaftler Fabian Hoffmann warnte auf der Nachrichtenplattform X (vormals Twitter), Moskau denke über solche Szenarien nach. Dem müsse effektiv begegnet werden. Die Nato müsse auf einen Krieg mit Russland vorbereitet sein, so der Experte der Universität Oslo.
Schon in zwei bis drei Jahren könnte Hoffmann zufolge Putin Nato-Gebiet ins Visier nehmen. Im ZDF-Interview empfiehlt der der Sicherheitsexperte. “Europa muss Abschreckungsfähigkeit aufbauen.”
Doch nicht nur in Deutschland registriert man alarmierende Anzeichen: Dem Institute for the Study of War (ISW) zufolge verstärkt der russische Präsident offenbar seine Bemühungen, einen Vorwand für künftige Eskalationen gegen baltische Staaten zu schaffen.
So behauptete Putin zuletzt etwa, dass die baltischen Staaten, vor allem Lettland, russische Staatsbürger aus dem Land vertreiben würden und dass dies die “Sicherheit Russlands direkt” beeinträchtige.
Lettland hatte seine Aufenthaltsbestimmungen für russische Staatsbürger zuvor geändert. Rund 1000 Russen können demnach ausgewiesen werden, weil diese es versäumt haben, eine gültige Aufenthaltsbestätigung zu beantragen. Dies teilte Riga im Dezember mit. Laut ISW schaffe Putin unter dem Vorwand, seine “Landsleute” zu schützen, ein Narrativ, mit dem er künftige Aggressionen begründen könnte.
Putins Drohungen gegen das Baltikum müsse man ernst nehmen, das sei nicht bloßes Säbelrasseln, mahnt auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). US-Präsident Joe Biden warnt ebenfalls vor der Gefahr eines russischen Angriffs auf die drei baltischen Staaten.
Nato-Oberbefehlshaber Christopher Cavoli, ein amerikanischer Vier-Sterne-General, erklärte, dass Russland „eine gewaltige und unkalkulierbare Bedrohung“ bleibe. Dies gilt vor allem, wenn Putin aus dem Ukraine-Krieg siegreich hervorgehen sollte. Weil Russlands militärische Schlagkraft derzeit im Angriffskrieg auf die Ukraine gebunden ist, traut man Moskau einen Angriff auf die Nato derzeit nicht zu. Dazu fehlen die militärischen Mittel – abgesehen von einem Atomkrieg. Die längerfristige Perspektive wirkt allerdings bedrohlicher.
Nato-Militärs äußern nach gründlicher Analyse Befürchtungen, dass nach einem Ende des Ukraine-Krieges die Gefahr für den Westen massiv steigen könnte. Für Putin stellen militärische Konflikte unter anderem eine Möglichkeit dar, von innenpolitischen Problemen abzulenken und weiter an der Macht zu bleiben. Außerdem füttern Kriege seine Großmachtphantasien.
„Steadfast Defender 2024“ mit 90.000 Soldaten
Am geplanten Nato-Manöver beteiligen sich rund 90.000 Soldaten. Im Rahmen der Übung „Steadfast Defender 2024“ fahren außerdem 50 Kriegsschiffe, Hunderte Kampfjets und drei Flugzeugträger-Gruppen der USA auf, um ein deutliches Signal zu senden.
Die Schwerpunkte des Manövers sollen in Deutschland, Polen und im Baltikum liegen, doch der gesamte Übungsraum erstreckt sich von Norwegen bis nach Rumänien. Ziel ist das Training einer raschen Mobilisierung, wobei die NATO die Dinge offen beim Namen nennt: Im Szenario wird ein Angriff von Russland und Weißrussland gegen ein Mitglied des Bündnisses durchgespielt. Trainiert werden soll insbesondere die Alarmierung und Verlegung von nationalen und multinationalen Landstreitkräften.
Szenario der Übung ist ein russischer Angriff auf alliiertes Territorium, der zum Ausrufen des sogenannten Bündnisfalls nach Artikel 5 des NATO-Vertrags führt. Letzterer regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird.
Planer im deutschen Verteidigungsministerium rechnen im Ernstfall sogar mit einem Eskalationsszenario, bei dem die NATO und Russland schon 2025 unmittelbar vor einem Krieg stehen könnten.
Befürchtungen zufolge könnte Putin nach einer erfolgreichen Offensive Panzerverbände und Soldaten in Belarus und Kaliningrad aufmarschieren lassen und dann mit hybriden Angriffen Gewalt und Chaos in Estland, Lettland und Litauen auslösen.
Die bisher größte NATO-Übung seit dem Ende des Kalten Krieges war 2018 mit Schwerpunkt in Norwegen organisiert worden. An ihr waren rund 51.000 Soldaten beteiligt. Die letzten NATO-Manöver, die größer waren als die nun geplante Übung, fanden vor der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 statt. Damals gab es unter anderem noch die Manöverreihe “Return of Forces to Germany” (Rückkehr von Streitkräften nach Deutschland). An ihr waren 1988 beispielsweise rund 125.000 Soldaten beteiligt.
Putin weist Spekulationen zurück
Dass Putin einen Grenzkonflikt in der Suwalki-Lücke zwischen Baltikum und Polen vom Zaun reißt, wird ebenfalls für möglich gehalten. Die NATO müsste dann 300.000 Soldaten zum Schutz der Ostflanke mobilisieren. Wie der Konflikt ausgeht, ist laut derzeitigem Stand völlig offen.
Putin weist solche Vermutungen als „völligen Blödsinn“ zurück. Im russischen Staatsfernsehen erklärte er, Russland habe „keinen Grund, kein Interesse, kein geopolitisches Interesse, weder wirtschaftlich, politisch noch militärisch, mit NATO-Ländern zu kämpfen“. Wie zuverlässig solche Zusagen sind, hat Putin allerdings bereits in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg bewiesen.
Die Ukraine wehrt seit fast zwei Jahren mit massiver Militärhilfe vor allem aus den NATO-Staaten einen Angriff Russlands ab.