Schwere Ausschreitungen in Athen

Größter Protest in der Geschichte Griechenlands

Freitag, 28. Februar 2025 | 18:07 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Selbst zu Zeiten der schweren Finanzkrise gab es keine solch großen Demonstrationen: Zu Hunderttausenden sind die Menschen in Griechenland landesweit auf die Straße gegangen, um an das schwere Zugsunglück vor zwei Jahren in Tempi mit 57 Toten zu erinnern. Sie fordern von der Regierung Aufklärung und die Bestrafung der Verantwortlichen. Allein in Athen protestierten der Polizei zufolge rund 170.000 Menschen. Dabei kam es zu Ausschreitungen mit insgesamt 29 Verletzten.

Nach Ende der Veranstaltung randalierten Hunderte Autonome und Hooligans und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Die Polizei setzte Tränengas gegen vermummte Demonstranten ein, die Brandsätze warfen. Die Menschen werfen der Regierung vor, die Umstände des Frontalzusammenstoßes zwischen einem Güter- und einem Personenzug am 28. Februar 2023 in Tempi nicht ordentlich aufzuarbeiten. “Nein zur Vertuschung” und “Wir vergessen nicht” stand auf den Plakaten der Demonstranten. “Mörder” riefen sie an die Regierung gerichtet.

Bericht: Schwere Ermittlungsfehler

Am 28. Februar 2023 war ein Passagierzug, in dem viele Studierende unterwegs waren, mit einem Güterzug in der Nähe der Tempi-Schlucht im Zentrum des Landes zusammengestoßen. 57 Menschen kamen ums Leben. Die juristische Untersuchung des Unglücks ist noch nicht abgeschlossen. Bisher wurde niemand in Zusammenhang mit dem Unfall verurteilt.

Diese Woche wurde nach zwei Jahren erstmals ein offizieller Bericht der Behörde für Unfälle im Luft- und Bahnverkehr vorgestellt. Darin ist vom desolaten Zustand der griechischen Bahn ebenso die Rede wie von der mangelnden Qualifikation des Bahnvorstehers, der einen der Züge aufs falsche Gleis geschickt hatte. Auch die kaum funktionstüchtige Sicherheitstechnik auf der Strecke wurde angeführt.

Zudem stellte die Behörde schwere Ermittlungsfehler im Anschluss an das Unglück fest. So sei unter anderem die Unglücksstelle nicht richtig kartiert worden, auch hätten Feuerwehr, Rettungskräfte und Polizei ihre Einsätze nicht koordiniert. Beweismaterial sei dadurch abhandengekommen oder vernichtet worden – unter anderem, als ein Teil des Unfallorts zementiert wurde, damit Kräne installiert werden konnten, um die zertrümmerten Waggons zu bewegen.

Offen blieb in dem Bericht, ob an Bord des Güterzugs wirklich verbotenerweise ein brennbarer Gefahrstoff transportiert wurde, wie die Familien der Opfer vermuten.

Parteiübergreifender Protest

Die Forderung der Menschen auch nach politischer Verantwortung für das Unglück setzt die konservative Regierung unter Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis zunehmend unter Druck. In seltener Einheit protestierten und streikten die Griechen parteiübergreifend. Der Flug-, Bahn-, Fähr- und Nahverkehr waren lahmgelegt, Behörden und Schulen machten dicht. Viele Schüler trugen schwarz, andere hielten schwarze Ballons hoch. Anders als bei früheren Protesten beteiligten sich auch viele Selbstständige und Privatunternehmen, etliche Tavernen, Cafés und Supermärkte blieben geschlossen. Theater sagten Aufführungen ab. In vielen Gemeinden läuteten Kirchenglocken.

In einem Post auf Facebook schrieb Mitsotakis am Freitag, die Regierung werde ihren Beitrag leisten, um das Eisenbahnnetz zu modernisieren und es sicherer zu machen. Oppositionsparteien warfen der Regierung vor, Beweise zu vertuschen, und forderten sie zum Rücktritt auf. Nächste Woche soll das Parlament darüber debattieren, ob ein Ausschuss die mögliche politische Verantwortung für die Katastrophe untersuchen soll.

Mindestens fünf Verletzte

“Die Regierung hat nichts für die Gerechtigkeit getan”, sagte Christos Main, ein 57 Jahre alter Musiker, der an der Demonstration in Athen teilnahm. “Das war kein Unfall, das war Mord.” Eine Demonstrantin erklärte, sie wolle nicht nur der Toten gedenken, sondern auch dagegen protestieren, dass die Regierung die wahren Hintergründe verschleiere. Vor dem Parlamentsgebäude wurden die Namen der Toten in roter Farbe auf den Boden gesprüht. “Jeden Tag erscheint uns das Monster der korrupten Macht”, sagte Maria Karystianou, deren Tochter bei dem Zugsunglück starb und die einen Verein der Opferfamilien leitet, vor der Menge in Athen.

Im Anschluss an die Demos in Athen und Thessaloniki kam es zu Ausschreitungen zwischen Autonomen und der Polizei. Allein in Athen sollen laut Polizeiangaben zwischen 500 und 700 Vermummte randaliert und Brandsätze geschleudert haben. Die Beamten setzten Tränengas und Wasserwerfer ein. Es gab 20 Festnahmen, 70 Menschen wurden in Gewahrsam genommen. 29 Menschen, darunter fünf Polizisten, seien verletzt und in Krankenhäusern behandelt worden, berichtete der Nachrichtensender ERTnews unter Berufung auf Rettungskräfte.

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