Von: mk
Bozen – Heute wird der Autonomiekonvent über das Thema des Minderheitenschutzes diskutieren. Der grüne Vertreter im Konvent, der Landtagsabgeordnete Riccardo Dello Sbarba, hat hierzu eine Reihe von Vorschlägen hinterlegt, die heute Abend in der Eurac zur Debatte stehen werden.
Seit 1972, dem Geburtsjahr des derzeitigen Autonomiestatuts, habe die Gesellschaft einen weitreichenden Wandel erlebt und auch die Institutionen hätten sich weiterentwickelt. So sei es laut den Grünen nun möglich geworden, eine modernere und europäischere Autonomie zu entwerfen. „Wir Grünen haben seit jeher zu den Themen des Zusammenlebens, der demokratischen Vielfalt und der Bürgerrechte an der Seite von vielen anderen Teilen der Gesellschaft Denk- und Vorarbeit geleistet. Die Zeit ist jetzt reif, Wünsche und Forderungen, die von der Bevölkerung seit langem vorgebracht werden, in unsere Landesverfassung einfließen zu lassen. Damit kommt die Politik ihrem Auftrag der Volksvertretung am ehrlichsten nach“, erklärten die Grünen auf einer Pressekonferenz.
Laut den Grünen ist die Gesellschaft nicht mehr statisch, sondern dynamisch. „Die Migration ist ein eindrucksvolles Phänomen, jedoch nicht der einzige Ausdruck dieser Entwicklung. Es geht auch um den Bildungsgrad, der heute höher ist als früher, um die Frauen, die den Arbeitsmarkt erobert, die Wirtschaft und die Unternehmen, die sich internationalisiert haben. Die Gesellschaft von heute muss mobil sein, wenn sie funktionstüchtig sein will – und das gilt für alle Ebenen, auch in beruflicher Hinsicht. Junge Menschen studieren im Ausland, sie reisen, verlassen das Land und/oder kehren wieder zurück – und nicht selten stoßen sie dann auf ein Gesellschaftssystem, das auf Sesshaftigkeit ausgerichtet ist, anstatt auf Mobilität und Flexibilität. Bestimmte Starrheiten sind nicht mehr zeitgemäß. Auf die mobile Gesellschaft reagieren bedeutet konkret: im Statut die neuen Minderheiten im Lande anerkennen; die Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung freistellen, zumindest bei der ersten Erklärung; die Jahre der Ansässigkeitspflicht in der Region für das Wahlrecht zu reduzieren“, erklären die Grünen.
Die Macht ist laut den Grünen vom Staat auf das Land übergegangen. „Im Jahr 1972 gab es noch die Übermacht von Staat und Region. Durch das Statut wurde ein großer Teil dieser Macht auf das Land übertragen. Gerade darin liegt der Erfolg der Autonomie: Die Sprachminderheiten werden heute nicht mehr durch anachronistische Systeme der Trennung geschützt, sondern dadurch, dass das Land weitgehend souverän agieren kann. Nimmt die autonome Macht zu, muss die innere Demokratie im Gegenzug ausgebaut werden. Dadurch erwachsen mehr Rechte und mehr Freiheiten für die Menschen, jenseits der Logik der “Zugehörigkeit”. Alte Ungerechtigkeiten wurden inzwischen ausgeglichen, man darf daher über die Sinnhaftigkeit bestimmter Mechanismen neu nachdenken. Auch über die in jeder Demokratie notwendige Gewaltenteilung bzw., Aufteilung der Macht sind Überlegungen anzustellen. Daher gilt es, den ethnischen Proporz flexibler zu gestalten und auszusetzen, wo immer der ethnische Ausgleich schon erreicht ist (wobei er als Korrekturmechanismus jederzeit wieder eingesetzt werden kann, wenn sich die Gleichgewichte wieder verschieben sollten) und mindestens die Hälfte der Richterinnen und Richter des Verwaltungsgerichtes von der politischen Ernennung auszunehmen und via Wettbewerb zu ermitteln“, fordern die Grünen.
Außerdem nimmt der Minderheitenschutz in Europa Laut den Grünen neue Formen an. „Der “neue” Minderheitenschutz fußt auf dem Prinzip der “Wahlfreiheit” (s. Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten von 1994). Die „Werkzeuge“ zum Schutz der Minderheiten (z.B. Schule in der Muttersprache) müssen gesichert bleiben. Jede Person muss das Recht haben, diese zu nutzen oder aber andere Wege zu beschreiten, die vielleicht besser zur eigenen Lebensplanung passen. Mehrsprachigkeit ist kein Problem, sondern ein Ziel und ein Wert – außerdem von vielen Bürgerinnen und Bürgern gewünscht. Viele Wege führen zur Mehrsprachigkeit. Es ist nicht mehr akzeptabel, dass in unserem Land, mit seiner kulturellen Vielfalt und seinem sprachlichen Reichtum, Modelle verboten sind, die in ganz Europa gängig sind“, erklären die Grünen.
Ihre Vorschläge sind die Verankerung der innovativen Sprachdidaktik und der Schulversuche, die in vielen Schulen bereits existieren, im Autonomiestatut und die Schaffung der Möglichkeit eines Zusatzangebots der gemeinsamen mehrsprachigen Schule für jene, die sie wünschen – im Sinne des Spracherwerbs, aber auch als Ausdruck eines Landes, das nicht mehr auf Trennung setze. Außerdme schlagen die Grünen eine Ausweitung des Gebrauchs der ladinischen Sprache vor. „Wir sind überzeugt, mit diesen Vorschlägen einem großen Teil der Bevölkerung aus dem Herzen und aus der Seele zu sprechen. Auch auf diese Stimmen sollten wir bei der Weiterentwicklung unserer Autonomie nicht vergessen“, hieß es auf der Pressekonferenz.