Hamas verband Leichenübergabe mit Rhetorik gegen Israels Premier

Hamas übergab vier Geisel-Leichen an Israel

Donnerstag, 20. Februar 2025 | 19:25 Uhr

Von: APA/AFP/dpa/Reuters

Die islamistische Palästinenser-Organisation Hamas hat am Donnerstag im Gazastreifen vier tote Geiseln an Israel ausgehändigt. Das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu erklärte, Israel habe “die Särge von vier gefallenen Geiseln erhalten”. Laut Hamas waren Shiri Bibasm, ihre beiden kleinen Söhne Ariel und Kfir und ein 84-jähriger Mann bei einem israelischen Luftangriff im November 2023 getötet worden. Letzterer wurde mittlerweile auch identifiziert.

“Die Leichen der Geiseln wurden an Vertreter der IDF und der ISA im Gazastreifen übergeben”, erklärte ein Militärsprecher mit Verweis auf die israelischen Streitkräfte und den israelischen Inlandsgeheimdienst. Die Hamas hatte zuvor in Khan Younis die vier Särge an das Internationale Komitee vom Roten Kreuz übergeben. Vertreter des Roten Kreuzes luden diese zunächst in ihre Fahrzeuge und fuhren dann ab, wie Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten.

Die Familie des 84-jährigen Oded Lifschitz wurde eigenen Angaben zufolge bereits darüber informiert, dass ihr Angehöriger identifiziert wurde. “Mit tiefer Trauer haben wir die offizielle und bittere Nachricht erhalten, die die Identifizierung des Leichnams unseres geliebten Oded bestätigt”, teilte die Familie in einer vom Forum der Geisel-Angehörigen verbreiteten Erklärung mit. “503 qualvolle Tage der Ungewissheit sind zu Ende. Wir hatten so sehr auf ein anderes Ergebnis gehofft und dafür gebetet”, hieß es weiter. Der Mann war ein pensionierter Journalist und Aktivist für die Rechte von Palästinensern. Laut ersten forensischen Untersuchungen ist er bereits seit mehr als einem Jahr tot.

Ob es sich bei den am Vormittag übergebenen drei weiteren Geisel-Leichen um die Familie Bibas, eine Mutter mit ihren beiden Kleinkindern, die alle auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, handelt, ist bisher nicht bestätigt.

Im Zuge einer Vereinbarung mit der Hamas wird Israel nun Berichten zufolge alle Frauen und Minderjährigen freilassen, die seit Beginn des Gaza-Kriegs nach den verheerenden Hamas-Massakern ab Oktober 2023 festgenommen wurden und die nicht am bewaffneten Kampf gegen Israel beteiligt gewesen sein sollen.

Übergabe einmal mehr provokativ und propagandistisch inszeniert

Die Hamas inszenierte die Übergabe in Khan Younis martialisch. Auf einer Bühne hatte sie die vier Särge neben Geschoßhülsen aufgereiht, daneben standen vermummte und bewaffnete Hamas-Kämpfer. Zahlreiche jubelnde Schaulustige versammelten sich zu lauter Musik. An jedem Sarg war ein Foto der jeweiligen mutmaßlichen Geisel, die die Hamas nach eigenen Angaben übergeben wollte, zu sehen. Im Hintergrund der Bühne war ein großes Plakat mit Fotos der Geiseln zu sehen, auf dem der israelische Ministerpräsident Netanyahu als Vampir dargestellt war.

Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, verurteilte die Inszenierung scharf: “Das Zurschaustellen von Leichen, wie es heute Morgen geschehen ist, ist verabscheuungswürdig und verstößt gegen das Völkerrecht”, erklärte Türk in Genf. “Nach internationalem Recht muss jede Übergabe der sterblichen Überreste von Verstorbenen dem Verbot grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung entsprechen und die Achtung der Würde der Verstorbenen und ihrer Familien gewährleisten.”

Bevor die schwarzen Särge in Fahrzeuge des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) geladen wurden, stellten die Mitarbeiter des Roten Kreuzes weiße Sichtblenden auf. Sie überdeckten Hamas-Propaganda auf den Särgen mit weißen Tüchern.

Hamas spricht von Tod bei israelischem Angriff

Kfir und Ariel Bibas waren offenbar die letzten Kinder, die noch von der Hamas als Geiseln im Gazastreifen festgehalten wurden. Die Hamas hatte die Kleinkinder sowie deren Eltern Shiri und Yarden vor mehr als 16 Monaten aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt. Kfir war damals gerade einmal neun Monate alt, sein Bruder Ariel vier Jahre. Videoaufnahmen der verängstigen Mutter und ihrer beiden rothaarigen Söhne, die bei der Entführung nach dem Massaker der Hamas-Terroristen im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober 2023 entstanden, gingen um die Welt. Der getrennt von seiner Familie festgehaltene Yarden Bibas war am 1. Februar lebend freigelassen worden. Die Hamas hatte noch während des Krieges im Herbst 2023 mitgeteilt, die drei seien bei israelischen Bombardements getötet worden.

Vier weitere Leichen sollen laut Hamas kommende Woche übergeben werden. Zudem sollen am Samstag sechs weitere Geiseln im Rahmen des Abkommens zwischen Israel und der Islamistenorganisation freikommen, darunter der Austro-Israeli Tal Shoham.

Fortsetzung der Waffenruhe bleibt ungewiss

Seit Beginn der Waffenruhe im Gaza-Krieg am 19. Jänner hatten Islamisten im Gazastreifen in mehreren Runden bisher 19 Geiseln freigelassen. Zusätzlich kamen fünf aus Israel entführte Thailänder unabhängig von der Vereinbarung frei. Das mehrstufige Abkommen zwischen Israel und der Hamas sieht vor, dass während einer ersten, sechswöchigen Phase nach und nach insgesamt 33 Geiseln, darunter acht Tote, im Austausch gegen 1.904 palästinensische Häftlinge aus israelischen Gefängnissen freikommen.

Die erste Phase des Deals soll in eineinhalb Wochen enden. Berichten zufolge haben beide Kriegsparteien bisher – entgegen der Vereinbarung – noch keine ernsthaften Verhandlungen über die zweite Phase des Deals geführt. Sie soll zu einem endgültigen Ende des Krieges sowie zur Freilassung der noch verbliebenen Geiseln führen. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf Außenminister Gideon Saar, dass die Gespräche noch “in dieser Woche” beginnen sollen.

Auslöser des Krieges war der Überfall der Hamas und anderer extremistischer Gruppierungen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seitdem wurden laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde im Gazastreifen fast als 48.300 Menschen getötet, darunter auch viele Frauen und Minderjährige.

Präsident bittet um Vergebung

Israels Präsident Yitzhak Herzog äußerte sich nach der Übergabe der vier Leichen durch die Hamas zutiefst betrübt. “Qual. Schmerz. Es fehlen die Worte”, hieß es am Donnerstag in einer Mitteilung des Staatsoberhauptes. Er verneige sich im Namen des Staates Israel und bitte um Vergebung. “Vergebung dafür, dass wir euch an dem schrecklichen Tag nicht beschützt haben. Vergebung dafür, dass wir euch nicht sicher nach Hause gebracht haben.”

Der israelische Botschafter in Wien, David Roet, sprach von der Übergabe in einer Aussendung von einem “schrecklichen Spektakel, das die Hamas heute Morgen veranstaltet hat”. “Es kann keine Rechtfertigung, keine Toleranz und keine Zweideutigkeit geben, wenn es darum geht, denjenigen entgegenzutreten, die Zivilisten in einer Weise entführen, ermorden und entmenschlichen, wie seit den dunklen Zeiten des 20. Jahrhunderts nicht mehr”, wurde Roet zitiert. “Die Hamas hat der Welt einmal mehr ihr wahres Gesicht gezeigt. Die internationale Gemeinschaft muss unbeirrt dafür sorgen, dass sich solche Gräueltaten nicht wiederholen, und sich gemeinsam dafür einsetzen, dass die Hamas nie wieder in Gaza regiert.”

Der Präsident der Israelitische Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, übte indes Kritik am Roten Kreuz. Er warf dem IKRK und “vielen UNO-Agenturen” Untätigkeit vor. “Nach dem größten Versagen des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes während der Shoah, zeigt sich heute wieder, dass diese Organisation, die sich in vielen Konflikten als Menschenretter verdient gemacht hat, bei Juden und Jüdinnen wegsieht, sich als bloßer Taxidienst der Hamas betätigt oder sich gar für ihre Propaganda instrumentalisieren lässt.” Deutsch forderte in einer der APA übermittelten Stellungnahme die Zerschlagung der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Jihad.

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