Sprachgruppenzählung als heilsame Watschn – ein Kommentar

Hausgemachten Schaden beheben

Dienstag, 17. Dezember 2024 | 01:31 Uhr

Von: ka

Bozen – Seit das mit Spannung erwartete Ergebnis der Sprachgruppenzählung feststeht, herrscht unter Südtirols Patrioten Katzenjammerstimmung.

Dabei sticht insbesondere ins Auge, dass Südtirols zweitgrößte Stadt, Meran, wieder mehrheitlich italienisch ist.

Unabhängig betrachtet, bleiben die Anteile der Sprachgruppen untereinander zwar im Wesentlichen stabil, aber die Tatsache, dass die “Deutschen” und “Ladiner” jeweils 0,80 und 0,12 Prozentpunkte abgeben mussten und die italienische Sprachgruppe nach einem jahrzehntelangen Rückgang die Trendwende zu schaffen vermochte und mit 0,92 Prozentpunkten einen kleinen Anstieg verbuchen konnte, sollte dennoch zum Nachdenken anregen.

LPA/Fabio Brucculeri

Wohlgemerkt entbehren die Katzenjammerstimmung und noch mehr die “Todesmarsch-Ängste” jeglicher Grundlage. Genauso wenig ist es jedoch angebracht, wie üblich mit dem Finger auf Italien zu zeigen, denn die Probleme, die gegenüber der letzten Zählung den kleinen, aber immerhin beobachtbaren Schwund der beiden Minderheiten verursacht haben, sind vor allem hausgemacht.

Die verglichen mit den heimischen Löhnen viel zu hohen Lebenshaltungs- und Wohnkosten treiben nicht nur viele junge Südtiroler ins Ausland, sondern sorgen auch dafür, dass junge Leute immer später aus dem Elternhaus ausziehen. Beides führt dazu, dass in Südtirol die Anzahl der neu gegründeten Familien mit Kindern entsprechend sinkt, was sich im Laufe der Jahre auf die Anteile der jeweiligen Sprachgruppen untereinander auswirkt.

Zudem wurde jahrelang nicht gerne gesehen, wenn nicht sogar aktiv verhindert, dass Eltern mit Migrationshintergrund ihre Kinder in deutsche und ladinische Kindergärten und Schulen einschreiben. Kann man sich daher wirklich darüber wundern, dass angesichts dieser fehlenden Willkommenskultur die Eltern sich und ihre in die italienischen Schulen abgedrängten Kinder der italienischen Sprachgruppe zuordnen? Interessanterweise sind es insbesondere Südtirols Patrioten, die sich Klassen mit so wenig Kindern ausländischer Herkunft wie möglich wünschen, aber soll aus dem kleinen Schwund nicht ein Trend werden, wird man kaum umhinkommen, um diese Kinder und ihre Eltern zu werben.

Anstatt das Ergebnis der Sprachgruppenzählung für wilde Polemiken zu missbrauchen, sollte es viel mehr als heilsame Watschn angesehen werden. Es sollte dazu dienen, dass sowohl die Landesregierung als auch die patriotische Opposition ihre Ansichten überdenken, alte Glaubenssätze über Bord werfen und gemeinsam mit den Italienern Reformen angehen. Ziel soll es sein, Südtirol sowohl für die drei “alten” Sprachgruppen als auch für die “neuen” Südtiroler zu einem Zukunftsland zu machen. Wird uns das gelingen?

Bezirk: Bozen

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