Von: mk
Bozen – Noch nie in der Geschichte der letzten 50 Jahre hat sich der “Westen” und “Osten” bei der Beurteilung der Geschehnisse in der Ukraine so einhellig auf das Recht der Völker nach Eigenverwaltung und Selbstbestimmung berufen. Dies stellt zumindest der Obmann des Südtiroler Heimatbundes (SHB), Roland Lang, fest.
Ministerpräsidenten, sonstige Politiker, unzählige Geisteswissenschaftler und Journalisten würden seit Wochen mit dem Zitieren aus dem Handbuch des Völkerrechts wetteifern.
„Jetzt erkennen alle das ansonsten so verteufelte und als utopisch beschriebene internationale Recht auf Selbstbestimmung an. Sie sind endlich angekommen im Haus der hohen humanitären Erkenntnisse. Das ist Engelmusik für die Seelen jener Volksgruppen wie die Südtiroler, Schotten, Katalanen und Kosovaren, die seit jeher für dieses heilige Recht und für ein freies Europa der Regionen eintreten“, erklärt Lang.
Das Recht auf Selbstbestimmung werde seit Jahren mit schlimmen Methoden verkannt, um nur einige Bespiele zu nennen, etwa in Afghanistan, Libyen, Hongkong, Ruanda, im Tibet, aber auch in Donbass in der Ukraine, wo hunderte Angehörige der russischen Minderheit ermordet worden seien.
Darum könne man Don Paolo Renner nur recht geben, wenn zur Beurteilung der letzten Ereignisse in Medieninterviews zur Besonnenheit aufrufe.
Der Ukraine-Krieg führt im Westen Europas zu einer enormen Welle der Solidarität. Gleichzeitig werden Künstler und Sportler aus Russland immer öfter ausgeschlossen. Die Universität von Bicocca wollte Dostojewski-Vorlesungen verbieten, der Chefdirigent der Münchner Philharmoniker Valeri Gergijev darf nicht mehr dirigieren, weil er sich nicht von Putin distanziert. Generell haben russische Bürger in Europa Angst, sich öffentlich zu äußern, weil ihnen Hass entgegenschlägt.
„Die Russen und Weißrussen werden im Allgemeinen dämonisiert, obwohl sie im Grunde ganz anständige Menschen sind“, erklärte Don Paolo Renner. Er ist Beauftragter in Südtirol für ökumenische Kontakte mit der russisch-orthodoxen Kirche und war mehrfach in den Ländern unterwegs. “Die Russen sind ein sehr, sehr sensibles Volk. Sie haben eine Neigung zur Demut und die Wurzeln ihrer Religiosität sind tief”, betonte Don Paolo Renner.
Er hält auch die Angst für eine schlechte Ratgeberin. “Wir brauchen uns nicht vor den Russen zu fürchten. Die Russen mögen Putin mehrheitlich nicht – sie müssen ihn ertragen”, so Renner. Auch die Russen würden den Krieg nicht wollen.
Der SHB rät wie Don Renner zu vernunftgeleiteten Entscheidungen: „Wir müssen uns fragen, was könnte diesen Konflikt tatsächlich entschärfen – anstatt Öl ins Feuer zu gießen.“ Man müsse unterscheiden zwischen Tätern und Opfern – auf beiden Seiten, erklärt Roland Lang.