Von: mk
Bozen – „Es erreicht uns die Nachricht, dass Isidor Unterkircher, einer der in einem unrühmlichen Prozess verurteilten ‚Pfunderer Buam‘, für immer von uns gegangen ist“, erklärt Obmann Roland Lang im Namen des Südtiroler Heimatbundes.
In der Nacht des 15. August 1956 waren sieben junge Bauernburschen in Pfunders, einem kleinen Gebirgsort in einem Seitental des Pustertals, vor einer Arbeiterkantine in eine Rauferei mit zwei italienischen Finanzern geraten, mit denen sie vorher zusammen ausgiebig in der Kantine gezecht hatten. Einer der Finanzer, Raimondo Falqui, hatte Reißaus genommen, war schwer alkoholisiert davon gerannt und in der Dunkelheit von einer steinerne Brücke ohne Geländer drei Meter tief in den ausgetrockneten Roanerbach gestürzt. Bei seinem Sturz hatte sich Falqui offensichtlich an einem Stein die Stirne eingeschlagen. Die spätere Untersuchung ergab, dass Falqui 1,7 Promille Alkohol im Blut gehabt hatte, also schwer betrunken gewesen war.
Die vor der Kantine Zurückgebliebenen habenFalquis Sturz nicht mitbekommen und gingen ebenso wie dessen Kollege nach Hause und schliefen ihren Rausch aus. Am nächsten Tag wurden die Bauernburschen als „Mörder“ verhaftet.
Sofort setzte eine Hetzjagd italienischer Zeitungen ein, die aus einem bedauerlichen Unfall eine geplante Mordtat machten. Die Bozener Zeitung „Alto Adige“ meldete: „Die Missetat hat ohne Zweifel ihre Ursache in dem ungesunden Geist der antiitalienischen Gehässigkeit“. („Alto Adige“ vom 23. August 1956). „Die Südtiroler Volkspartei trägt die moralische Schuld am Mord des Finanzwächters von Pfunders.“ („Alto Adige“ vom 31. August 1956). „Eine zerstörerische Propaganda … hat ihre Früchte getragen.“ („Alto Adige“ vom 18. September 1956)
Aus dem Mord wurde ein politischer Mord – und die gesamte Südtiroler Volksgruppe und ihre Führung als angebliche Anstifter eines hinterhältigen und grausamen Verbrechens.
Bereits die ersten Ermittlungen wurden so geführt, dass sie eine spätere Mordanklage rechtfertigen sollten. Die These der Vernehmenden und später des Gerichtes lautete, dass Falqui zu Tode geprügelt und dann in das Bachbett geworfen worden sei. Als Ankläger vor Gericht fungierte der Staatsanwalt Mario Martin, der später bei den Folterungen Südtiroler Häftlinge in den 60-er Jahren noch eine unrühmliche vertuschende Rolle spielen sollte.
Der Prozess gegen die Pfunderer Burschen begann am 8. Juli 1957 und fand vor dem Schwurgericht in Bozen statt. Den Angeklagten half es gar nichts, dass sie aussagten, bei den Verhören geschlagen und zur Unterschrift der in italienischer Sprache abgefassten Protokolle mit ihren „Geständnissen“ erpresst worden zu sein. Auch die Verhandlung wurde nur in italienischer Sprache geführt. Die Angeklagten konnten weder den Aussagen der Zeugen noch der Beweisführung der Ankläger folgen.
Der Staatsanwalt behauptete, die Angeklagten hätten den Finanziere Falqui geradezu „gelyncht“ und der Vertreter der Privatanklage nannte die Angeklagten „Hyänen“, „Bestien“ und „hündische Meute“. Alle Bewohner des „finsteren und zurückgebliebenen Südtiroler Tales Pfunders“ hätten, politisch von der einheimischen Presse verhetzt, im sardischen Finanzer Falqui „den Bringer des Fortschritts und der Kultur“ gehasst und mit Mordlust verfolgt. Der Nebenkläger Dott. Vigilio Dadea aus Mailand beschimpfte unter wohlwollender Duldung des Gerichtsvorsitzenden Dott. Leone Borzaga die Bauernburschen als „halbe Kannibalen, Wegelagerer und Mörder“ („L’Adige“, Trient, vom 13. Juli 1957).
Alle Angeklagten wurden am 16. Juli 1957 zu hohen Strafen verurteilt, Isidor Unterkircher in zweiter Instanz zu 17 Jahren und zehn Monaten. Er war nicht nur wegen Mordes, sondern auch noch wegen „Schmähung der italienischen Nation“ verurteilt worden.
Der italienische Justizminister Guido Gonella nannte das Urteil „würdig der vornehmsten Traditionen der italienischen Justiz“.
Am 1. April 1958 veröffentlichten die „Dolomiten“ eine Entschließung der „Südtiroler Volkspartei“ (SVP), in welcher es hieß: „Es wurde Rache geübt, die zur Beschaffenheit der Tat und den offenbaren Absichten der Täter in keinem Verhältnis steht und an die dunkelsten Zeiten unmenschlicher Strafjustiz erinnert.“
Das Urteil rief in ganz Tirol Entsetzen hervor. Am 1. April 1958 ruhte in ganz Nordtirol von 10.00 Uhr bis 10.05 Uhr alle Arbeit zu einem Gedenken an die unglücklichen Pfunderer Burschen. Landeshauptmann Dr. Tschiggfrey, erklärte während dieser Gedenkminuten über den Rundfunk: „Das Tiroler Volk denkt, von tiefstem Leid erfaßt, an jene sechs jungen Bauernsöhne eines entlegenen Südtiroler Bergdorfes, deren Leben durch einen Richterspruch ganz oder teilweise vernichtet wird.“
In einem Gutachten stellte der international renommierte Kriminologe Prof. Dr. Armand Mergen später schwerste Unterlassungen der Erhebungsbehörden und des Gerichtes fest und kam zu dem Schluss, dass die Schuld der Verurteilten nicht bewiesen worden sei.
Am 18. Dezember 1968 wurde Isidor Unterkircher angesichts des bevorstehenden „Paket“-Abschlusses vom italienischen Staatspräsidenten begnadigt. „Er erlangte die ihm entzogenen bürgerlichen Rechte bis zum Schluss nicht mehr zurück, weil er diesbezüglich kein Gnadengesuch einbrachte“, schließt Roland Lang.