Viele im Gazastreifen suchen in UNRWA-Schulen Zuflucht

Humanitäre Katastrophe im Gazastreifen nach Hamas-Angriff

Donnerstag, 12. Oktober 2023 | 14:51 Uhr

Von: APA/dpa/Reuters

Im dicht besiedelten Gazastreifen hat sich die humanitäre Lage angesichts massiver israelischer Luftangriffe als Reaktion auf die Hamas-Gräuel extrem verschärft. Die Schläge kämen aus der Luft, vom Meer und vom Land, berichtete das UNO-Nothilfebüro (OCHA) am Donnerstag. Bisher seien fast 340.000 Menschen aus ihren Wohnungen geflüchtet. Israel forderte die Freilassung der israelischen Geiseln und verbat sich angesichts des blutigen Überfalls vom Samstag “Moralpredigten”.

Flüchtende Menschen haben nach OCHA-Angaben kaum sichere Zufluchtsorte. Wegen der Abriegelung könnten sie sich nur auf dem kleinen, nur 40 Kilometer langen und zwischen sechs und zwölf Kilometer breiten Territorium bewegen. Sie fliehen OCHA zufolge vor den Angriffen in andere Viertel zu Verwandten, Freunden oder in Schulen des UNO-Hilfswerks für Palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Mit 360 Quadratkilometern ist der von über 2 Millionen Menschen bewohnte Gazastreifen kleiner als Wien.

Das UNRWA warnt unterdessen vor einer Wasserkrise im Gazastreifen. “Die UNRWA-Notunterkünfte sind überfüllt und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, Non-Food-Artikeln und Trinkwasser ist begrenzt. In UNRWA-Notunterkünften und im gesamten Gazastreifen droht aufgrund beschädigter Infrastruktur eine Wasserkrise”, hieß es im aktuellen Lagebericht, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Aufgrund der vollständigen Blockade des Gazastreifens durch die israelischen Behörden könnten die Wasservorräte nicht wieder aufgefüllt werden, hieß es. Rund 218.000 Menschen suchten wegen der anhaltenden israelischen Luftangriffe derzeit in den Gebäuden des Hilfswerks Zuflucht.

Angriffe auf Zivilisten sind nach Angaben des Roten Kreuzes unter keinen Umständen zu rechtfertigen. “Es gibt keine Hierarchie des Schmerzes”, sagte der Regionaldirektor Nahost des Internationale Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Fabrizio Carboni, am Donnerstag in Genf. Es sei nicht akzeptabel, das Zufügen von Leid mit selbst erlittenem Schmerz zu rechtfertigen.

Carboni sprach über die Lage in Israel und im Gazastreifen, ohne konkret auf Äußerungen von Palästinensern oder Israelis einzugehen. Das IKRK ist stets auf Neutralität bedacht. “Man darf Zivilisten nicht ins Visier nehmen, man darf ein Gebiet nicht belagern und man darf keine Geiseln nehmen”, betonte Carboni. “Es ist nicht akzeptabel, ein Gebiet wie den Gazastreifen mit mehr als zwei Millionen Menschen abzuriegeln.”

Das Österreichische Rote Kreuz teilte unterdessen mit, dass mehrere internationale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Israel und dem Gazastreifen in den vergangenen Tagen ums Leben gekommen seien. Es handle sich um Helfer der Schwesterngesellschaften Magen David Adom und Palästinensischer Roter Halbmond. “Ich bin zutiefst erschüttert über den Tod der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Israel und im Gazastreifen. Sie haben sich beispielhaft für Zivilistinnen und Zivilisten eingesetzt, die von den Kampfhandlungen betroffen und dringend auf Hilfe angewiesen sind”, so Gerald Schöpfer, Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes, in einer Aussendung.

Seit dem Beginn der Luftangriffe am Samstag starben nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza mehr als 1.350 Menschen, mehr als 6.000 wurden verletzt.

Israels Energieminister Israel Katz hat die Wiederaufnahme der seit Tagen unterbrochenen Grundversorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen an die Freilassung der israelischen Geiseln in Hand der islamistischen Hamas geknüpft. “Kein Stromschalter wird umgelegt, kein Wasserhahn geöffnet und kein Treibstofflaster fährt rein, bis die israelischen Geiseln nach Hause zurückgekehrt sind”, schrieb Katz am Donnerstag auf der Plattform X (vormals Twitter). Humanitäre Gesten werde es nur im Gegenzug für humanitäre Gesten geben. “Und dass uns keiner Moral predigt”, schrieb Katz.

Die US-Regierung führt mit Israel und Ägypten Gespräche über die Öffnung eines Grenzübergangs für Zivilisten zur Ausreise aus dem Gazastreifen. Ägypten hatte zuvor eine begrenzte Waffenruhe als Voraussetzung dafür genannt. Am Donnerstag forderte Ägypten Israel auf, Luftangriffe auf seinen einzigen Grenzübergang zum Gazastreifen zu vermeiden. In einer Erklärung des ägyptischen Außenministeriums hieß es, Angriffe auf die palästinensische Seite des Grenzübergangs Rafah müssten vermieden werden, damit notwendige Reparaturarbeiten vorgenommen werden könnten. Der Übergang sei eine Lebensader zur Unterstützung der Menschen im Gazastreifen.

Bei den Angriffen vom Wochenende massakrierten Terroristen der im Gazastreifen herrschenden Palästinenserorganisation Hamas mindestens 1.300 Menschen in Israel, überwiegend Zivilisten, darunter 260 Besucher eines Musikfestivals. Etwa 3.000 Menschen wurden verletzt. Die EU, den USA und Israel stufen die Hamas als Terrororganisation ein.

Angesichts der Eskalation der Gewalt zwischen Israel und der Hamas haben Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga einen sofortigen Stopp der israelischen Gegenangriffe auf den Gazastreifen gefordert. Die Außenminister der 22 Mitgliedsländer warnten bei einem Dringlichkeitstreffen am Mittwoch in Kairo außerdem vor “katastrophalen” humanitären und sicherheitsrelevanten Folgen durch eine Verschärfung des Konflikts.