Von: mk
Bozen – Oft können Ärzte in den Erste-Hilfe-Abteilungen der Spitäler nur den Kopf schütteln. Denn nicht immer müssen sie sich um Notfälle kümmern. Stattdessen gibt es Patienten, die schon seit Wochen über Schmerzen klagen, aber nicht den Hausarzt aufgesucht haben, Säuglinge, die schreien, aber ansonsten kerngesund sind oder Bürger, die untertags keine Zeit hatten, zum Arzt zu gehen und abends ins Krankenhaus marschieren. Wer sich in die Notaufnahme begibt, ohne dass es sich dabei um einen „dringenden“ oder „gerechtfertigten“ Besuch handelt, sollte in Südtirol schon seit Jahren laut Landesbestimmung mit 50 Euro zur Kasse gebeten werden. Doch die Ärzte haben Bauchweh mit dieser Regelung, berichtet das Tagblatt Dolomiten.
Laut Bestimmung müsste der Patient außerdem bis zu 100 Euro für erhaltene Fachleistungen zahlen.
Doch für viele Patienten scheint das keine Abschreckung zu sein. Stattdessen rechnen sich manche genau aus, dass sie damit günstiger und vor allem schneller drankommen.
Ob die „Strafgebühr“ fällig wird, darüber entscheidet jener Arzt, der den Patienten behandelt. Der Arzt wird also quasi zum Richter. Das lassen sich wiederum nicht alle Patienten gefallen und reichen Beschwerde ein.
In den Krankenhäusern von Brixen und Sterzing hat es laut Primar Dr. Martin Ogriseg im Jahr 2016 rund 258 Patienten gegeben, von denen diese „50-Euro-Strafgebühr“ verlangt wurde.
Der Direktor des Amtes für Patientenaufnahme und -verrechnung im Krankenhaus Brixen, Helmuth Pircher, erklärt gegenüber dem Tagblatt Dolomiten: „Wir ziehen diese Regelung von allen Bezirken am konsequentesten durch.“
Nach einer Beschwerde muss oft der Arzt sein Verhalten rechtfertigen. Manchmal geschieht dies er nach vier bis sechs Wochen, weil die Rechnung erst so spät den Patienten erreicht hat. Nicht selten würden sich die Ärzte dann gar nicht mehr an den Fall erinnern, erklärt Ogriseg. Das Ganze sei sehr mühsam.
Manche Bürger wenden sich auch an Politiker, die wiederum einen Brief an Landesrätin Martha Stocker schreiben. Diese reicht die Beschwerde an Thomas Schael weiter, worauf der Generaldirektor an die ärztlichen Direktionen schreibt. „Wir sind bei den zum Teil seitenlangen Beschwerden zu schriftlichen Stellungnahmen verpflichtet“, erklärt Ogriseg laut „Dolomiten“. Kein Wunder, dass viele Ärzte sich mit der „Geldstrafe“ zurückhalten.
In der Ersten Hilfe in Bozen, wo besonders viele ungerechtfertigte und nicht dringende Fälle behandelt werden, werden die 50 Euro plus der Betrag für die Fachleistungen gemessen an der Größe des Einzugsgebietes selten verlangt. Laut Bezirksdirektor Umberto Tait geschah dies 250 Mal im Jahr 2016. Laut Tait sei in diesem Bereich Objektivität sehr schwierig. Während der Arzt eine gesundheitliche Beschwerde für nicht dringend hält, könne ein Patient dies ganz anders empfinden.
In Meran und Schlanders wurden 2016 zusammengerechnet 260 Patienten zur Kasse gebeten. Laut dem Primar der Ersten Hilfe im Krankenhaus Meran, Dr. Norbert Pfeifer, gebe es „keine klare Anordnung des Landes“, dieses Geld zu verlangen, sondern es handle sich um eine Option. Pfeifer erklärt gegenüber den „Dolomiten“, dass nicht selten Patienten „wegen einer banalen Grippe in die Notaufnahme kommen – und dann die anderen Patienten im Warteraum anstecken“.
Im Krankenhaus in Schlanders würden die 50 Euro höchstens zehnmal im Jahr verlangt, berichtet der ärztliche Koordinator, Dr. Helmuth Weiss. „Die Erste Hilfe muss für alle zugänglich sein – rund um die Uhr“, ist er laut „Dolomiten“ überzeugt.
Dr. Diego Gatta, Direktor des Amtes für Patientenverwaltung im Krankenhaus Bruneck, ist mit der 50-Euro-Regelung in Südtirol nicht ganz zufrieden. In anderen Regionen Italiens zahle der Patient im Rahmen des Triage-Systems, das auch in Südtirol angewandt wird, je nach Farbe mehr oder weniger Geld, also je nachdem wie dringend seine Beschwerden eingestuft werden. Auch in Südtirol sei bereits darüber diskutiert worden, erklärt Gatta.
Brunecks Bezirksdirektor Walter Amhof erklärt, dass es sich bei den 50 Euro nicht um eine Strafe handle. Die Landesregierung wolle vielmehr ähnlich wie bei einer normalen Facharztvisite einen Spesenbeitrag einheben. In Bruneck mussten 103 Patienten im Jahr 2016 zahlen. Die Erste Hilfe sei laut Amhof oft „Sammelbecken für all jene, die anderswo keine Hilfe erhalten“. Das könne man den Bürgern auch nicht ankreiden, erklärt er gegenüber den „Dolomiten“.