Von: APA/Reuters/dpa
Nach der Parlamentswahl in Irland deuten Prognosen auf eine schwierige Regierungsbildung hin. Die beiden großen Mitte-Rechts-Parteien Fine Gael und Fianna Fail sind Hochrechnungen vom Samstag zufolge nach den Wahlen vom Freitag zwar auf bestem Weg, wieder an die Macht zu kommen. Sie werden aber wohl mindestens einen neuen kleineren Partner brauchen. Den Wahlkampf dominiertem die gestiegenen Lebenshaltungskosten, Migration, hohe Immobilienpreise und Wohnungsnot.
Fine Gael und Fianna Fail kamen den aktuellen Erhebungen von Virgin Media News zufolge auf 20,5 beziehungsweise 21,9 Prozent der Erststimmen. Die linke Sinn Fein erhielt etwa 19,1 Prozent. Die beiden Mitte-Rechts-Parteien haben eine Allianz mit Sinn Fein ausgeschlossen. Für eine Mehrheit im Parlament sind 88 Sitze erforderlich. Auch bei einer Allianz werden Fina Gael und Fianna Fail den Prognosen zufolge nicht an diese Marke herankommen. Offen war am Abend, ob sie dafür einen oder zwei weitere Koalitionspartner benötigen.
Mitte-Links-Parteien Labour und Sozialdemokraten naheliegende Koalitionspartner
Die naheliegendsten Kandidaten dafür wären die Mitte-Links-Parteien Labour und die Sozialdemokraten. Eine Allianz aus vier Partnern statt drei würde die Bildung einer Regierung komplizierter machen. Der derzeitige Junior-Koalitionspartner, die Grünen, könnte alle seiner zwölf Sitze zu verlieren. Fianna Fail-Chef Micheal Martin sagte dem Sender RTE am Samstagabend, es sei noch viel zu früh, um über mögliche Partner zu sprechen. Das gelte auch für die Frage, ob er der nächste Ministerpräsident werden könnte.
Die linke Sinn Fein schien noch vor gut einem Jahr auf dem besten Weg zu sein, die nächste Regierung anzuführen. Sie verlor im Verlauf aber an Zustimmung, was zum Teil auf eine Verärgerung bei potenziellen Wählern über eine relativ liberale Einwanderungspolitik zurückgeführt wurde. Fine Gael und Fianna Fail, die seit der Gründung des Staates vor fast einem Jahrhundert jede Regierung angeführt haben, hatten sich während der letzten Regierungsperiode darauf geeinigt, des Amt des Ministerpräsidenten jeweils für die Hälfte der fünfjährigen Amtszeit der anderen Partei zuzugestehen. Eine ähnliche Vereinbarung scheint auch dieses Mal wahrscheinlich.
Wahllokale schlossen bereits am Freitag
Die Wahllokale hatten bereits am späten Freitagabend um 23.00 Uhr (MEZ) geschlossen. Die Wahlzettel werden aber erst am Tag nach der Abstimmung ausgewertet. Knapp 3,7 Millionen Menschen waren aufgerufen, insgesamt 174 Abgeordnete zu wählen. Wählerbefragungen sahen die drei größten Parteien des Landes fast auf Augenhöhe.
Eine “Exit Poll” mehrerer Medien und Institute auf Grundlage von Nachwahlbefragungen sieht die links-nationale Oppositionspartei Sinn Féin mit 21,1 Prozent hauchdünn in Front. Dahinter folgen die bisherigen Koalitionspartner Fine Gael von Regierungschef Simon Harris mit 21 Prozent und Fianna Fáil von Vizepremier Micheál Martin mit 19,5 Prozent. Die beiden Mitte-Rechts-Parteien regieren seit 2020 in einer historischen Koalition gemeinsam mit den Grünen, die in der “Exit Poll” auf vier Prozent kamen.
In Irland wird – wie sonst in der EU nur in Malta – ein Verfahren angewendet, bei dem Einzelstimmen übertragen werden. Die Wählerinnen und Wähler können ihre Stimme in der Reihenfolge ihrer Präferenz für mehrere Bewerber abgeben. Sollte ein Kandidat oder eine Kandidatin, den oder die ein Wähler als Nummer 1 aussucht, mehr Stimmen bekommen als nötig, fallen diese Stimmen automatisch dem nächsten bevorzugten Kandidaten zu. Somit müssen die Stimmzettel in mehreren Wahlgängen gezählt werden. Bei der Europawahl dauerte es eine Woche, bis alle Mandate vergeben waren.
Nach einer Gesetzesänderung wegen der gestiegenen Bevölkerungszahlen war die Zahl der Abgeordneten von 160 auf 174 im irischen Unterhaus, dem Dáil Éireann, erhöht worden. Statt bisher 39 gab es nun 43 Wahlkreise. Es traten viele Parteilose an, das könnte eine Regierungsbildung erschweren.
Rekordzahl von Frauen kandidierte
Insgesamt wurden 686 Personen für die Wahl nominiert, davon waren 246 Frauen – so viele wie nie zuvor. Die Initiative Women for Election nannte die Anzahl “phänomenal”. “Es hat noch nie eine bessere Gelegenheit gegeben, das Ungleichgewicht in unserem politischen System anzugehen”, sagte Sprecherin Kate Deegan.
Tatsächlich gab es bei der Abstimmung auch ein politisches Baby: Die Parteichefin der Sozialdemokraten, Holly Cairns, brachte am Wahltag in Cork eine kleine Tochter zur Welt, wie sie auf Instagram mitteilte.
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