Von: APA/dpa/Reuters
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat eine fortschreitende Steigerung der massiven Angriffe auf Hamas-Ziele im Gazastreifen angekündigt. “Wir haben den Kampf wieder mit aller Macht aufgenommen”, sagte Netanyahu am Dienstag per Videobotschaft. “Von jetzt an werden Verhandlungen nur unter Feuer geführt”, erklärte der Regierungschef. Erstmals seit Beginn einer Waffenruhe vor zwei Monaten hatte die israelische Luftwaffe wieder massiv Ziele im Gazastreifen bombardiert.
Zu den Angriffen der Nacht mit mehr als 400 Toten sagte Netanyahu: “Dies ist erst der Anfang.” Israel werde weiter gegen die islamistische Hamas kämpfen, bis alle Kriegsziele erreicht seien. Dies seien die Rückführung aller Geiseln, die Zerstörung der Hamas und die Gewährleistung, dass Gaza keine Bedrohung mehr für Israel darstellen könne.
Sorge um Geiseln
Netanyahu sagte, er fühle mit den Angehörigen der Geiseln, die noch im Gazastreifen festgehalten werden. Man unternehme alles für die Freilassung der Verschleppten. Israel habe Vermittlungsangebote des US-Gesandten Steve Witkoff angenommen, die Hamas habe diese dagegen abgelehnt.
Der militärische Druck sei eine Bedingung für die Freilassung weiterer Geiseln, sagte Netanyahu. Die Angehörigen der Geiseln weisen dies jedoch vehement zurück und äußern die Sorge, die Wiederaufnahme des Krieges gefährde vielmehr das Leben ihrer Liebsten.
Er sei den USA dankbar für ihre Hilfe im Kampf gegen die Huthi im Jemen, sagte Netanyahu. “Natürlich bleibt uns noch viel Arbeit gegenüber anderen Teilen der Achse des Bösen.” Netanyahu bezog sich dabei auf die selbst ernannte “Achse des Widerstands” des Irans, Israels Erzfeind.
Erstmals seit Beginn einer Waffenruhe vor zwei Monaten hatte die israelische Luftwaffe in der Nacht wieder massiv Ziele im Gazastreifen bombardiert. Mehr als 400 Menschen wurden nach Angaben der von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde getötet und Hunderte weitere verletzt.
Mehrere führende Funktionäre getötet
Bei den Angriffen auf Stellungen der Hamas im Gazastreifen an sind nach Angaben der Terrororganisation fünf Führungsmitglieder ums Leben gekommen. Die Hamas nannte unter anderem Mahmud Abu Watfa, Leiter des Hamas-Innenministeriums und verantwortlich für die Polizei in Gaza, Issam al-Daalis, Vorsitzender des Regierungsverwaltungsausschusses, sowie Bahjat Abu Sultan, verantwortlich für den inneren Sicherheitsapparat der Hamas. Sie alle hätten eine zentrale Rolle beim von der Hamas geplanten Wiederaufbau ihrer Herrschaft im Gazastreifen nach Ende des Kriegs gespielt, schreibt die Nachrichtenseite “ynet”.
Nach Angaben der Organisation Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ) wurde auch ihr Sprecher getötet. Naji Abu Saif, bekannt als Abu Hamsa, sei bei einem “Angriff auf seine Familie und auf die Familie seines Bruders” ums Leben gekommen, teilte die Terrororganisation mit. Der Islamische Jihad ist mit der islamistischen Hamas verbündet und war auch an dem Massaker im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen. Israels Erzfeind Iran gilt als Unterstützer beider Organisationen, die Israels Zerstörung anstreben.
Zurückgekehrte Zivilisten müssen wieder fliehen
Palästinensische Zivilisten im Norden und Süden des Gazastreifens, die während der Waffenruhe in ihre Wohngebiete zurückgekehrt waren, wurden von der Armee erneut zur Flucht aufgerufen. Vor mehr als zwei Wochen hatte Israel bereits die humanitären Hilfslieferungen in den Küstenstreifen gestoppt, anschließend auch die letzte Stromleitung in das Gebiet gekappt. Die neuen Bombardements verschärfen die Sorge vor dramatischen Auswirkungen für die im eineinhalbjährigen Krieg bereits schwer geschundene Zivilbevölkerung.
Israels schwerste Luftangriffe in Gaza seit dem Inkrafttreten der Waffenruhe erfolgten auf die “wiederholte Weigerung der Hamas, unsere Geiseln freizulassen, sowie auf ihre Ablehnung aller Vorschläge, die sie vom Gesandten des US-Präsidenten Steve Witkoff und von den Vermittlern erhalten hat”, teilte das Büro des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu in der Nacht mit.
Hamas: Netanyahu-Regierung hat Waffenruhe gebrochen
In einer Erklärung der Hamas hieß es hingegen, Netanyahu und dessen “extremistische Regierung” hätten beschlossen, das Waffenruhe-Abkommen zu brechen. Damit riskiere Israel das Leben der verbliebenen Geiseln, drohte die islamistische Terrororganisation. Sie forderte die Vermittler Ägypten, Katar und USA auf, Israel “für den Bruch” des Abkommens zur Verantwortung zu ziehen. Netanyahu hatte wiederholt erklärt, Israel werde alle seine Kriegsziele erreichen. Dazu gehört die Freilassung aller Geiseln und die komplette Zerschlagung der Hamas.
Im Jänner war zwischen Israel und der Hamas eine zunächst sechswöchige Waffenruhe vereinbart worden. Bisher konnten sich beide Seiten nicht auf die Bedingungen für eine Verlängerung einigen. Israel hatte mit Wiederaufnahme des Krieges gedroht, sollte die Hamas keine weiteren Geiseln freilassen. Auch während der Waffenruhe war es immer wieder zu tödlichen Angriffen gekommen. Die Hamas und andere Islamistengruppen halten nach israelischen Informationen noch 24 Geiseln und die Leichen von 35 Entführten fest.
Internationale Kritik an Luftangriffen
International wurden die Luftangriffe verurteilt, darunter von Frankreich, der Türkei und der UNO. China und Russland zeigten sich besorgt. Arabische Medien berichteten, der ägyptische Geheimdienst habe eine “dringende Einladung” an die Hamas geschickt, eine Delegation für neue Waffenruhe-Gespräche nach Kairo zu entsenden.
Rechtsextreme Partei Otzma Yehudit wieder in Regierung
Kritiker Netanyahus warfen ihm vor, er habe den Gaza-Krieg auch aus innenpolitischen Erwägungen wieder aufgenommen. Bis Ende des Monats muss das israelische Budget gebilligt werden, sonst käme es automatisch zu Neuwahlen. Dafür braucht Netanyahu aber die Unterstützung des rechtsextremen Politikers Itamar Ben-Gvir und dessen Partei Otzma Jehudit.
Aus Protest gegen die Waffenruhe-Vereinbarung mit der Hamas waren diese im Jänner aus der Regierung ausgeschieden. Kurz nach den Luftangriffen verkündete Netanyahus rechtskonservative Regierungspartei Likud dann aber prompt eine Rückkehr von Otzma Jehudit und deren Ministern in die Koalition.
Yehuda Cohen, Vater eines entführten Soldaten, warf Netanyahu im Gespräch mit verschiedenen Medien in scharfen Worten vor, dieser beabsichtige einen “Mord an den Geiseln”, um an der Macht zu bleiben. Der israelische Oppositionspolitiker Yair Golan beschuldigte Netanyahu ebenfalls, dieser spiele mit dem Leben der israelischen Soldaten und Geiseln, weil er Angst vor Massenprotesten gegen die angekündigte Entlassung des Inlandsgeheimdienstchefs Ronen Bar habe. Im Laufe des Tages und auch für Mittwoch sind in Israel große Kundgebungen geplant, um gegen die Entlassung des Shin-Bet-Chefs zu demonstrieren.
Der Trump-Faktor
Nach Ansicht von Netanyahus Kritikern fühlt dieser sich von US-Präsident Donald Trump auf der ganzen Linie ermutigt – sowohl im Vorgehen gegen interne Gegner als auch mit Blick auf die Wiederaufnahme der Angriffe im Gazastreifen. Trump hatte der Hamas mehrfach mit der “Hölle” gedroht, sollten nicht alle Geiseln – darunter auch Amerikaner – umgehend freigelassen werden. Kürzlich war eine von Trump freigegebene Lieferung schwerer Bomben in Israel eingetroffen. Für die neuen massiven Angriffe gab Trump Medienberichten zufolge dann auch Grünes Licht.
Auslöser des Gaza-Krieges war der Überfall der Hamas und anderer extremistischer Palästinensergruppen auf Israel am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 Israelis als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt wurden. Seitdem wurden laut der Gesundheitsbehörde bei Kämpfen im Gazastreifen rund 49.000 Menschen getötet. Die Angaben, die nicht zwischen Kämpfern und Zivilisten unterscheiden, lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Israel sprach bisher von rund 20.000 getöteten Terroristen.
Aktuell sind 27 Kommentare vorhanden
Kommentare anzeigen