Attacken auf Gaza gehen weiter

Israel verstärkt Luftangriffe auf den Gazastreifen

Sonntag, 22. Oktober 2023 | 23:37 Uhr

Von: APA/AFP/dpa/Reuters

Vor dem Hintergrund einer angekündigten Bodenoffensive hat Israel in der Nacht auf Sonntag den Gazastreifen massiv bombardiert. Die in dem Palästinensergebiet herrschende radikalislamische Hamas meldete nach den Angriffen mindestens 80 Tote. Angesichts der gefährlichen Lage in der Region kündigten die USA eine Verstärkung ihrer militärischen Präsenz im Nahen Osten an. Ein israelischer Soldat wurde indes nach Angaben der Armee während eines Einsatzes im Gazastreifen getötet.

Augenzeugen und medizinischem Personal meldeten etwa, dass bei einem israelischen Luftangriff auf das Flüchtlingslager Jabalia im Norden des Gazastreifens mindestens drei Palästinenser getötet wurden. Etliche weitere Palästinenser wurden den Informationen zufolge dabei verletzt.

Auch drei israelische Soldaten wurden bei dem Einsatz im Gazastreifen verletzt, teilte die Armee am Sonntagabend mit. Militante Palästinenser hatten demnach eine Panzerabwehrrakete auf einen israelischen Panzer sowie ein technisches Fahrzeug abgefeuert. Der Vorfall ereignete sich dem Militär zufolge während einer Razzia in der Nähe der israelischen Ortschaft Kissufim. Ziel des Einsatzes sei es gewesen, “Terrorinfrastruktur zu zerschlagen, das Gebiet von Terroristen und Waffen zu säubern und vermisste Personen und Leichen zu finden”, hieß es in der Mitteilung weiter. Israels Militär hatte in den vergangenen zwei Wochen bereits mehrere begrenzte Vorstöße in den Gazastreifen unternommen. Sie gelten auch als Vorbereitung für eine mögliche Bodenoffensive Israels gegen die islamistische Hamas, die kurz bevorstehen könnte.

Laut einer Erklärung der ägyptischen Armee vom Sonntag wurden mehrere Grenzsoldaten bei dem versehentlichen Beschuss durch das israelische Militär leicht verletzt. Ein Beobachtungsposten sei von Splittern eines Geschosses getroffen worden, das von einem israelischen Panzer abgefeuert worden sei. Das israelische Militär entschuldigte sich für den Vorfall. Der Panzer habe den ägyptischen Militärposten neben der Grenze in der Gegend von Kerem Shalom versehentlich getroffen, hieß es in einer Mitteilung. Der Vorfall werde untersucht. Die Armee bringe “ihre Trauer über den Vorfall zum Ausdruck”. Israel hatte zuletzt Angriffe auf Stellungen der islamistischen Hamas im Gazastreifen intensiviert und bereitet eine Bodenoffensive vor.

Kerem Shalom befindet sich unweit der Grenze zu Ägypten und dem dortigen Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen. Rafah ist der einzige Übergang, der nicht von Israel kontrolliert wird. Er gilt als einziger Weg, um dringend benötigte Hilfsgüter zur notleidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen zu bringen. Am Samstag und Sonntag brachten insgesamt rund 40 Lastwagen Hilfsgüter in den Transitbereich des Grenzübergangs zum weiteren Transport in den Gazastreifen.

Ägypten und Israel hatten 1979 einen Friedensvertrag geschlossen. Die arabische Republik war mit Jordanien lange das einzige arabische Land, das Israel offiziell anerkannte. Das Verhältnis zwischen Ägypten und Israel wird aber meist als “kalter Friede” bezeichnet.

Die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen seit Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel ist indes nach Angaben der radikalislamischen Palästinensermiliz auf ungefähr 4.651 gestiegen. Darunter seien 1.873 Kinder, teilte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium in dem Palästinensergebiet am Sonntag mit. Am Samstag hatte die Hamas noch 4.385 Tote gemeldet.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu warnte die libanesische Hisbollah-Miliz vor der Eröffnung einer Front gegen Israel. Wenn die Hisbollah in den laufenden Krieg eintrete, werde Israel mit unvorstellbarer Härte reagieren und Verheerungen im Libanon anrichten, erklärt Netanyahu israelischen Angaben zufolge bei einem Treffen mit israelischen Einheiten nahe der libanesischen Grenze.

Der zweite Mann an der Spitze der Hisbollah, Naim Qassim, schließt eine noch größere Beteiligung seiner Bewegung am Konflikt mit Israel nicht aus. “Wir können nichts garantieren”, sagte Qassim am Samstagabend in Beirut. “Wir müssen niemandem sagen, was unser Plan ist und was unsere Vision für die Zukunft ist.” Die Hisbollah kämpfe im Süd-Libanon an der Grenze zu Israel für ihr Land, für die Palästinenser und für die “Zukunft unserer Generationen”. Jetzt sei sie in der “Mitte der Schlacht” angekommen und mache Fortschritte. “Wir versuchen, auf eine Weise zu arbeiten, die die israelische Armee schwächt”, sagte Qassim in der vom Fernsehsender Al-Majadin übertragenen Rede.

Israel hatte am Samstag angekündigt, seine Luftangriffe auf den Gazastreifen verstärken zu wollen, um den Druck auf die radikale Palästinenserorganisation zu erhöhen. “Wir müssen in die nächste Phase des Krieges unter bestmöglichen Bedingungen eintreten”, erklärte Armeesprecher Daniel Hagari. Ziel israelischer Luftangriffe war auch eine Moschee im besetzten Westjordanland. Dabei wurden laut israelischer Armee “Terroristen” der Hamas und des Islamischen Jihad getötet.

Das israelische Militär rechnet im Kampf gegen die Hamas nach den Worten eines Sprechers mit schweren Verlusten auf der eigenen Seite. Die israelische Strategie bestehe darin, in Vorbereitung der nächsten Phase des Militäreinsatzes die Hamas zu schwächen, erklärte Oberstleutnant Jonathan Conricus dem US-Sender Fox TV. “Wir gehen davon aus, dass die Hamas das Schlachtfeld vorbereitet hat … und zumindest in der ersten und in der Zwischenphase, kämpfen und den israelischen Streitkräften schwere Verluste zufügen wird.” Conricus bezieht sich bei den Vorbereitungen der Hamas vor allem auf Tunnel, die von der radikal-islamischen Gruppe schon in der Vergangenheit für Angriffe genutzt wurden.

Die Hamas hatte am 7. Oktober einen Großangriff auf Israel gestartet und dabei etwa 1.400 Menschen getötet. Zudem verschleppten die schwer bewaffneten Islamisten 212 Menschen aus Israel als Geiseln. Als Reaktion auf den Überfall riegelte Israel den Gazastreifen ab und startete seine massiven Luftangriffe. Außerdem wurde eine Bodenoffensive angekündigt und Zehntausende Soldaten an der Grenze zum Gazastreifen zusammengezogen.

Angesichts der Lage in der Region kündigten die USA eine Verstärkung ihrer militärischen Präsenz im Nahen Osten und eine Verlegung von Verteidigungssystemen und zusätzlichen Truppen in das Gebiet an. Verteidigungsminister Lloyd Austin erklärte, dies erfolge als Reaktion auf die “jüngste Eskalation” des Iran und seiner Verbündeten. Die Maßnahme solle der Abschreckung dienen, den Schutz der US-Streitkräfte in der Region erhöhen und zur Verteidigung Israels beitragen, hieß es aus dem Pentagon.

Auch die Lage im Norden Israels an der Grenze zum Libanon verschärfte sich. Bei den Gefechten im Grenzgebiet waren am Samstag Angaben der Hisbollah zufolge vier ihrer Kämpfer getötet worden. Die Palästinensermiliz Islamischer Jihad meldete einen toten Kämpfer. Sowohl auf israelischer als auch auf libanesischer Seite flüchteten bereits zahlreiche Menschen aus Angst vor einem Flächenbrand aus den grenznahen Städten.

Nach Angaben der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA setzten israelische Angriffe Sonntagfrüh die beiden wichtigsten Flughäfen in Syrien in Damaskus und Aleppo außer Betrieb. Dabei seien ein ziviler Flughafenangestellter getötet und ein weiterer verletzt worden, hieß es mit Verweis auf Sicherheitskreise.

Es ist das zweite Mal seit dem Hamas-Angriff, dass Israel gleichzeitig die Flughäfen in der syrischen Hauptstadt und der nördlich gelegenen Stadt Aleppo angreift.