Stellungen im Gazastreifen angegriffen

Israelische Bodentruppen kämpfen im Gazastreifen

Sonntag, 29. Oktober 2023 | 20:45 Uhr

Von: APA/AFP/Reuters/dpa

Nach drei Wochen heftiger Luftangriffe stoßen seit dem Wochenende auch immer mehr israelische Bodentruppen mit Kampfpanzern gegen die im Gazastreifen herrschende Hamas vor. Israels erklärtes Ziel ist die Zerschlagung der in dem Küstenstreifen herrschenden islamistischen Organisation. Terroristen der Hamas und anderer extremistischer Gruppen hatten am 7. Oktober das schlimmste Massaker unter israelischen Zivilisten seit der Staatsgründung Israels 1948 angerichtet.

Weltweit kam es zu Protesten gegen Israel angesichts von immer mehr Toten im Gazastreifen. Die UN sprechen von einer prekären humanitären Situation. Im Gazastreifen plünderten Menschen UN-Lebensmittellager.

“Wir treten in die nächste Phase unseres Krieges gegen die Hamas in Gaza ein. Aus der Luft, zu Lande und zur See”, sagte Israels Armeesprecher Daniel Hagari in einem vom Militär in der Nacht zum Sonntag auf der Plattform X veröffentlichten Video. Dazu wurden nächtliche Luftaufnahmen israelischer Kampfpanzer veröffentlicht, die bereits in bebautem Gebiet aus kurzer Distanz feuerten. Zwei israelische Soldaten seien bei den Kämpfen im nördlichen Gazastreifen verwundet worden, so die Armee.

Als Israel nach dem Hamas-Überfall am 7. Oktober die Mobilisierung von 300.000 Reservisten ankündigte, war von vielen eine großangelegte Bodenoffensive erwartet worden. Tatsächlich aber scheint Israel einen solchen Frontalangriff vermeiden zu wollen, der die Hisbollah im Südlibanon zu einem Angriff auf Israel verleiten und die Armee in einen Zwei-Fronten-Krieg verwickeln könnte. Die Schiitenmiliz ist wie die Hamas mit Israels Erzfeind Iran verbündet. Statt eines plötzlichen Großangriffs setzt Israel deshalb offenbar eher auf eine allmähliche Ausweitung seiner Bodeneinsätze gegen die Hamas.

Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu entschuldigte sich für Vorwürfe gegen den Geheimdienst, ihn nicht vor Kriegsabsichten der Hamas gewarnt zu haben. In einem Post auf der Online-Plattform X, den er am Sonntagvormittag veröffentlichte, hieß es: “Ich habe mich geirrt. Dinge, die ich nach der Pressekonferenz (am Vorabend) gesagt habe, hätten nicht gesagt werden dürfen, und ich entschuldige mich dafür.” Zuvor hatte der Ministerpräsident auf X geschrieben, er sei zu keinem Zeitpunkt vor kriegerischen Absichten der Hamas gewarnt worden. Es gab keine Erklärung für den plötzlichen Sinneswandel.

Berichte über den Verlauf der Bodenkämpfe im Norden gab es kaum, da die meisten Journalisten ebenso wie Hunderttausende Zivilisten in den Süden des Gazastreifens geflohen waren. Dazu hatte die israelische Armee tagelang aufgerufen, damit die Menschen bei kommenden kriegerischen Auseinandersetzungen nicht zu Schaden kommen. Zudem waren fast alle Telefon- und Internetverbindungen in und mit dem Gazastreifen rund 36 Stunden ausgefallen, bis sie am Sonntag langsam wieder hergestellt werden konnten.

Die Hamas führte nach eigenen Angaben am Sonntag “heftige Gefechte” mit der israelischen Armee im Gazastreifen. “Unsere Kämpfer führen derzeit im Nordwesten des Gazastreifens heftige Gefechte mit Maschinengewehren und Anti-Panzer-Waffen gegen die eingedrungenen Besatzertruppen”, erklärte am Sonntagabend der bewaffnete Arm der radikalislamischen Palästinenserorganisation.

Die Ezzedine-Al-Qassam-Brigaden teilten zudem mit, sie hätten “Mörsergranaten und Raketen” auf einen israelischen Militärstützpunkt in Eres gefeuert. Dort befindet sich der wichtigste Grenzübergang zwischen Israel und dem Gazastreifen. Seit dem Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober ist er geschlossen.

Die Opferzahlen im Gazastreifen stiegen nach den heftigen Luftangriffen weiter. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten palästinensischen Gesundheitsministeriums wurden seit dem 7. Oktober mehr als 8.000 Palästinenser getötet und rund 20.000 verletzt. Unterdessen wurde auch Israel wieder mit Raketen aus dem Gazastreifen beschossen. Von weiteren Opfern wurde nichts bekannt. Seit dem 7. Oktober hat Israel 1.400 Tote und rund 4.000 Verletzte zu beklagen. Zudem wurden vor drei Wochen mindestens 229 Menschen aus Israel in den Gazastreifen verschleppt.

Am Sonntag hätten Soldaten tagsüber erneut in mehreren Städten des palästinensischen Gebietes Razzien unternommen, hieß es seitens der israelische Armee. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Ramallah wurden dabei fünf Palästinenser an vier verschiedenen Orten bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten getötet.

Während der Einsätze seien unter anderem Sprengsätze auf die Soldaten geworfen worden, hieß es von der israelischen Armee. Zudem sei es im Flüchtlingslager Askar bei Nablus zu einem Schusswechsel gekommen. Von palästinensischer Seite hieß es, dabei seien zwei Männer im Alter von 29 und 35 Jahren getötet worden. Die Soldaten waren laut israelischen Angaben vor Ort, um das Haus eines Attentäters zu zerstören, der im Frühjahr bei einem Anschlag im Westjordanland drei Israelis ermordet hatte.

Israels Armee hatte zuvor unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse mitgeteilt, die Hamas nutze das Krankenhaus als Kommando- und Kontrollzentrum. In Videodarstellungen waren tief in der Erde unter der Klinik zahlreiche Kontrollräume und Verbindungstunnel zu sehen. Die Hamas, die von Israel, der EU und den USA als Terrororganisation eingestuft wird, bestritt die Nutzung des Krankenhauses für “militärische Zwecke”.

Israel hat mit den Angriffen auf Gaza aus Sicht des Irans rote Linien überschritten. “Die Verbrechen der zionistischen Einheit, humanitär und militärisch, haben die roten Linien überschritten, die alle zum Handeln zwingen könnten”, sagte Regierungschef Ebrahim Raisi in einem am Samstagabend veröffentlichten Interview dem arabischen Sender Al Jazeera.

Die Lage der mehr als 2,2 Millionen Einwohner des Gazastreifens wird immer prekärer. Nach Angaben von Hilfsorganisationen gehen Trinkwasser, Lebensmittel und Medikamente zur Neige. Über den Grenzübergang Rafah aus Ägypten kamen seit Beginn des Kriegs rund 90 Lastwagen. Gebraucht würden 100 – pro Tag. Nach Angaben des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA brachen Tausende Menschen in Lager- und Verteilpunkte für Hilfsgüter ein. Sie hätten dabei Mehl und andere Dinge wie Hygiene-Artikel mitgenommen.

Israel will die Lieferung humanitärer Hilfsgüter in den Gazastreifen nach eigenen Angaben erleichtern. Elad Goren von der zuständigen Cogat-Behörde sagte Journalisten am Sonntag, Hilfslieferungen sollten in den kommenden Wochen “dramatisch erhöht” werden. Dies geschehe auf Bitten der USA. Goren sagte weiter, die Wasserversorgung im Gazastreifen sei “nicht auf dem normalen Level”, aber ausreichend für humanitäre Bedürfnisse. 90 Prozent des Trinkwassers im Gazastreifen stamme aus dem Palästinensergebiet selbst. Nach israelischen Erkenntnissen gebe es keinen Mangel an Lebensmitteln in dem Küstenstreifen.

Dass Österreich am Freitag gegen eine Resolution der UNO-Vollversammlung zur Verbesserung der humanitären Situation und für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen gestimmt hat, war mit dem grünen Koalitionspartner “nicht akkordiert”. Das erklärte deren außenpolitische Sprecherin, Ewa Ernst-Dziedzic, gegenüber der “Tiroler Tageszeitung”.

Später wurden diese von der “TT” zitierten Aussagen seitens der Grünen gegenüber der APA relativiert. “Die Regierung ist sich absolut einig – eine Resolution, die weder das Selbstverteidigungsrecht Israels gegen den Terror noch die Verurteilung der Taten der Hamas enthält, kann unmöglich unsere Zustimmung finden”, hieß es in einer Aussendung.

Allerdings wurde bestätigt: “Die Form der Nicht-Zustimmung – ob mittels Enthaltung oder Ablehnung – wurde koalitionär vorab nicht abgestimmt.” Aber: “Auch eine Enthaltung wäre möglich gewesen. In der Konsequenz findet die Vorgangsweise des Außenministers jedoch die Zustimmung der Grünen.” Laut “TT” hatte Ernst-Dziedzic gesagt: “Eine Enthaltung, für die sich beispielsweise Deutschland entschied, wäre aus unserer Sicht angemessen gewesen.”