Von: luk
Bozen – Die Ablehnung der Verfassungsreform durch die Italiener im Rahmen eines Referendums hat hohe politische Wellen geschlagen. Kurz nach Mitternacht hat Premier Matteo Renzi seinen Rücktritt verkündet. Er hatte zuvor seine Zukunft mit dem Ausgang der Befragung verknüpft.
Die Konsequenzen nach dem eindeutigen Sieg des „Neins“ könnten auch für Europa, die EU und den Euro erheblich sein. Zumindest war dies im Vorfeld befürchtet worden.
In Südtirol – wo es eine Zustimmung für die Verfassungsreform gab – sind die Reaktionen bisher folgende:
LH Kompatscher: “JA ist Auftrag für Entwicklung der Autonomie”
Während der vorliegende Vorschlag zur Verfassungsreform auf Staatsebene keine Mehrheit fand, sprachen sich die Südtiroler Wählerinnen und Wähler beim Referendum zur Verfassungsreform am 4. Dezember mit klarer Mehrheit für die vom Parlament bereits genehmigte Verfassungsreform aus. „Ich sehe das Ergebnis als klaren Auftrag an die Südtiroler Landesregierung, die Verhandlungen mit der Regierung in Rom zur Weiterentwicklung der Autonomie fortzusetzen“, betont Landeshauptmann Arno Kompatscher. Zunächst müsse man nun die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die seit 2001 notwendige Überarbeitung des Autonomiestatuts ohne Risiko, das heißt im Einvernehmen, vorgenommen werden kann, so wie es von der Schutzklausel laut Verfassungsreform vorgesehen gewesen wäre.
Die italienische Verfassungsreform ist mit 19,419 Millionen Nein-Stimmen (59,11 Prozent der abgegebenen Stimmen) abgelehnt worden. In Südtirol hingegen haben 163.851 Wählerinnen und Wähler (63,69 Prozent) mit Ja gestimmt. 67,41 Prozent der Wahlberechtigten in Südtirol haben sich am Referendum beteiligt, auf Staatsebene waren es 65,47 Prozent. “Trotz der Komplexität hat unsere Bevölkerung gezeigt, dass sie beim Thema Verfassungsreform mitreden wollte und durch ihre Stimmabgabe ein klares Zeichen für die Autonomie gesetzt“, erklärt der Landeshauptmann.
Landeshauptmann Kompatscher zeigt sich über die gute Beteiligung am Referendum in Südtirol erfreut, zumal die Fragestellung eine sehr wichtige und weitreichende war, aber kein Beteiligungsquorum galt: „Zahlreiche Südtirolerinnen und Südtiroler haben ihre Verantwortung wahrgenommen. Schließlich ging es um die Verfassung – das Grundgesetz, welches unser demokratisches System regelt, und damit um die weitere Entwicklung des Staates, der Regionen und insbesondere der Südtirol-Autonomie.“
LH bedauert Ausgang
Südtirols Landeshauptmann bedauert den angekündigten Rücktritt von Ministerpräsident Matteo Renzi. „Ministerpräsident Renzi war ein verlässlicher Ansprechpartner für Südtirol, der immer Wort gehalten hat“, unterstreicht der Landeshauptmann. „Wir hoffen, dass die Phase der Instabilität relativ rasch überwunden werden kann, um dann wieder im konstruktiven Dialog für die Weiterentwicklung der Autonomie weiterarbeiten zu können.“
Südtirols LH Arno Kompatscher (SVP) hat am Montag vor Journalisten auch den negativen Ausgang des Referendums zur Verfassungsreform bedauert. Damit sei eine Phase der Unsicherheit eingeläutet worden, die hoffentlich bald überwunden werden könne, meinte er vor Journalisten in Bozen.
Die Bevölkerung Südtirols habe jener Kraft glauben geschenkt, die sich immer für einen Ausbau der Autonomie eingesetzt habe, so Kompatscher. Gemeinsam mit SVP-Obmann Philipp Achammer bedauerte er, dass das in der Reform vorgesehene Einvernehmen, das in Zukunft bei Änderungen der Autonomie in der Verfassung hätte verankert werden sollen, mit der Ablehnung nicht kommt. Zusätzlich zur internationalen Verankerung und der Schutzfunktion Österreichs wäre damit auch eine innerstaatliche Absicherung der Autonomie in der Verfassung verankert worden, so die Argumentation.
Zur drohenden Instabilität in Italien wünschte sich Kompatscher, dass diese so rasch wie möglich überwunden werden könne. Die SVP werde ihre Linie der Verlässlichkeit im Kampf für die Autonomie fortsetzen. Das Ergebnis in Südtirol habe die Position der SVP als Verhandlungspartner in Rom gestärkt, meinte er.
BürgerUnion: Angriff auf Autonomie abgewendet
“Durch das gesamtstaatliche Nein beim Verfassungsreferendum wurde ein schwerer Angriff gegen die Demokratie und gegen die Südtirol-Autonomie abgewendet”, so der Landtagsabgeordnete der BürgerUnion, Andreas Pöder. “Landeshauptmann Arno Kompatscher und Landesrat und SVP-Obmann Philipp Achammer haben mit Renzi und mit der Verfassungsreform auf das falsche Pferd gesetzt und gleichzeitig die Südtiroler erfolgreich getäuscht “, so Pöder. “Zum Glück ist das Verfassungsreferendum auf gesamtstaatlicher Ebene krachend gescheitert. Mit massiven Lügen haben Kompatscher und Achammer sowie die SVP die Südtiroler mit dem Ja zur Verfassungsreform getäuscht”, so Pöder. “Landeshauptmann Arno Kompatscher und SVP-Obmann Philipp Achammer sollten sich für die Täuschung der Südtiroler Wähler entschuldigen.”
Palermo: Italien muss früher oder später Reformen angehen
Viele hatten es befürchtet, andere herbeigesehnt: Italien hat gegen die Verfassungsreform gestimmt und Ministerpräsident Matteo Renzi hat seinen Rücktritt eingereicht. Doch Italien wird um Reformen nicht herumkommen, davon ist der Senator von SVP und PD, Francesco Palermo, überzeugt.
STF: Pyrrhussieg – Südtirol kommt mit zwei blauen Augen davon
Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blickt die Süd-Tiroler Freiheit in einer ersten Stellungnahme auf den Ausgang des Verfassungsreferendums.
„Italien wird mit großer Mehrheit, um die 60 Prozent, Nein zur Zentralisierung des Staates und zum Demokratieabbau sagen. Südtirol wird eine von voraussichtlich nur drei Regionen bzw. Provinzen sein, die dazu Ja sagt. Und das auch noch deutlich. Durch das Scheitern der Reform wird eine große Gefahr für Südtirols Autonomie, wenn auch nicht durch Südtirol selbst, abgewendet“, freut sich die Bewegung.
Dennoch bleibe ein mehr als fahler Beigeschmack: „Die SVP hat es offensichtlich geschafft, ihr Märchen vom Autonomieausbau im zentralistischen Korsett zu verkaufen. Dass dieser Sieg, und Kompatschers und Achammers Nibelungentreue zu Renzi und dem PD, wertlos ist und keine unmittelbaren Konsequenzen nach sich zieht, ist ausgerechnet dem italienischen Wahlvolk zu verdanken. Vorerst sind wir mit zwei blauen Augen davongekommen“, betont die Süd-Tiroler Freiheit. „Vorerst. Denn das deutliche Ja zum Zentralstaat kann sich noch als schwere Hypothek erweisen!“
Die Bewegung dankt in der Stunde des Pyrrhussieges allen Helfern, die für das Nein und damit für Südtirols Rechte gekämpft haben. „Gemeinsam haben wir der SVPD die Stirn geboten. Wir haben unseren Beitrag dafür geleistet, dass über 80.000 Südtiroler Nein zu Rom sagten!“
Grüne: “Worüber abgestimmt wurde und wer gewonnen hat”
Die grünen sind erfreut über die hohe Wahlbeteiligung beim gestrigen Referendum. Dies sei ein gutes Zeichen. “Fast drei Viertel der BürgerInnen Italiens hat sich mit dem wichtigsten Dokument der Republik befasst und sich in der einen oder anderen Weise dazu geäußert. Die Verfassung wird vorerst nicht abgeändert, und das ist gut so.”
“Denn die Reform war inhaltlich und formell untragbar. In einem technisch schlecht gemachten, streckenweise unleserlichen und nur im Gesamtblock zur Abstimmung gebrachten Text wurden die Rezentralisierung des Staates und die Schwächung der demokratischen Institutionen vorgeschlagen – in Verbindung mit einem schändlichen Wahlgesetz eine fatale Aussicht für Italien. Zudem zielte die Reform, und das deutliche Votum im Süden Italiens bestätigt dies, an den eigentlichen Problemen der Bevölkerung und des Staates total vorbei”, heißt es in einer Aussendung.
“Die allgemein wahrnehmbare Schalheit beweist, dass es keine Sieger und keine Verlierer gibt, weder in Südtirol, noch im gesamten Staatsgebiet. Renzi hat nicht nur einen strategischen Fehler gemacht, als er den Ausgang des Referendums an seine politische Zukunft gekettet hat. Er hat, mit vehementer Unterstützung sämtlicher politischer Leader Italiens (und im Kleinen, auch jener Südtirols), diese Abstimmung zwangspolitisiert und –personalisiert. Darin liegt die wahre Verantwortung Renzis der Demokratie gegenüber. Referenden sollten sich von Wahlen genau dadurch unterscheiden, dass frei über eine Sachfrage abgestimmt werden kann. Diese Freiheit hat Renzi, und mit ihm Grillo und Salvini, den Wählerinnen und Wählern genommen. So hat jede und jeder in Italien und in Südtirol über etwas anderes abgestimmt: über die Inhalte der Reform, über die Regierung Renzi und die Alternativen zu ihr, über die wirtschaftlichen Folgen einer möglichen Regierungskrise, über die populistischen Gefahren, in Südtirol auch über die Schutzklausel und sogar über die Selbstbestimmung”, so die Grünen.
Dieses Ergebnis mache daher nachdenklich und auch ein wenig ratlos. “Hätte das Nein gewonnen, ohne dass Renzi ganz Italien erpresst hätte, dann gäbe es jetzt eine klare Anweisung vom Volk an das Parlament, eine neue, ordentliche Reform zu machen. Wenn an der Spitze Italiens wirklich reife DemokratInnen stünden, würden sie jetzt genau diesen Auftrag annehmen. Am Ende gibt es vielleicht doch eine Gewinnerin. Unberührt von den politischen Spielen und Eitelkeiten bietet sie seit 1948 gewährte Gewissheit. Die Regierungen kommen und gehen, sie bleibt: die Verfassung”, schließen die Grünen.
FH: “Nein-Sieg verhindert Unheil für Südtirol”
Italien und Südtirol haben über die neue Verfassung abgestimmt und die Ergebnisse könnten unterschiedlicher nicht sein. Während Italien mit einem klaren NEIN zur Renzireform auftrat, konnte sich in Südtirol das JA zum Zentralismus und zur Romtreue durchsetzen.
“Das gesamtstaatliche Ergebnis ist erfreulich und war angesichts der politischen Lage zu erwarten. Die Ablehnung der Machtkonzentration, des Zentralismus und der Aushöhlung der Demokratie war ein wichtiges Signal”, erörtert der Freiheitliche Landesparteiobmann in einer ersten Stellungnahme.
“Auch Südtirol wurde damit Unheil erspart”, gibt Blaas zu bedenken, “aber als dennoch bedauerlich muss das Ergebnis in Südtirol angesehen werden. Die Werte der Autonomie, der Eigenständigkeit und des Selbstbewusstseins scheinen in einer Krise zu sein.”
“Der massive Widerstand gegen die Freiheitliche NEIN-Kampagne in den letzten Wochen hat die Generalmobilisierung des Establishments gezeigt. Mit allen erdenklichen Mitteln bis hin zu Fotomontagen wurde das Engagement zum Schutz der Heimat torpediert”, erläutert Blaas.
“Die Mehrheit der Wähler haben die zentralistische Entwicklung des Staates aufgehalten und den Weg für Neues geebnet”, betont Walter Blaas abschließend.
Steger: Südtirols „Ja“ ist ein klarer Auftrag
Der SVP-Fraktionsvorsitzender Dieter Steger nimmt den Ausgang des Referendums zur Kenntnis und bedauert, dass den Italienern der Mut zur Veränderung fehlt. Er würdigt das eindeutige „Ja“ der Südtiroler. „Wir haben damit ein klares Signal gegeben: Italien gehört reformiert!“
„Die hohe Wahlbeteiligung zeigt, dass den Südtirolerinnen und Südtirolern die Bedeutung dieser Wahl bewusst war. Über eine Verfassungsreform abzustimmen ist mit einer großenVerantwortung verbunden“, betont SVP-Fraktionsvorsitzender Dieter Steger und weiter: „Das ist ein aussagekräftiges Ergebnis – auch wenn ich mir italienweit ein anderes gewünscht hätte. Italien hat eine weitere Chance verpasst. Die Südtiroler haben hingegen mit dem eindeutigen ‘Ja’ ihre Bereitschaft zu Fortschritt und Veränderung signalisiert. Dafür möchte ich mich bedanken“, sagt Steger.
Durch diese Entscheidung sei aber auch an Südtirol eine Chance vorbeigezogen. „Vielleicht sogar eine einmalige Chance. Ich hoffe, dass wir im Zuge einer nächsten Verfassungsreform – die sicher kommen wird und kommen muss – wieder eine Chance erhalten und diese auch nutzen werden“, meint Steger und bemerkt weiter: „Auch aus volkswirtschaftlicher Sicht wird das ‘Nein’ Konsequenzen für den Staat und leider auch für unser Land haben. Gerade jetzt wären Stabilität, Sicherheit und Verlässlichkeit so wichtig“.
Südtirol habe sich von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise relativ rasch erholt und könne mittlerweile wieder gute volkswirtschaftliche Daten aufweisen: Die Arbeitslosigkeit hat sich normalisiert, die Beschäftigung hat zugenommen, die Betriebe haben sich erholt. Steger: „Wie es jetzt weitergehen wird, weiß niemand so recht – dass eine Regierungskrise aber nichts Gutes bringt, wissen wir aus Erfahrung“.
Gerade deshalb müssten jetzt alle Bemühungen darauf ausgerichtet sein, die Folgen dieser Volksentscheidung möglichst gering zu halten. „Italien wird zwar ‘weiterwurschteln’ und Südtirol wird weiter hoffen und alles tun, dass – wo immer es geht – Vereinfachung, Entbürokratisierung und Effizienz wirksam werden. Das ‘Ja’ der Südtiroler muss als klarer Auftrag gesehen werden. Durch die bisher guten Beziehungen zu Rom dürfte doch das Eine oder Andere in unserem Sinne weitergehen und das wird auch das Bemühen unseres Landeshauptmannes, unserer Abgeordneten und der gesamten SVP sein“, sagt Steger.