Geländegewinne bei Awdijiwka in der Ostukraine

Jetzt sind die Russen plötzlich auf dem Vormarsch

Montag, 27. November 2023 | 13:51 Uhr

Von: APA/dpa

Bei den Kämpfen in der Ostukraine haben russische Truppen bei der Industriestadt Awdijiwka Geländegewinne erzielt. Ukrainischen Militärbeobachtern vom Montag zufolge haben sich ukrainische Einheiten aus dem südöstlich der Stadt gelegenen Industriegebiet zum Teil zurückziehen müssen. Russische Quellen hatten dies bereits am vergangenen Wochenende berichtet. Offizielle Bestätigungen lagen zunächst nicht vor.

Im Industriegebiet verlief bereits seit 2014 die Frontlinie zwischen Regierungstruppen und von Moskau unterstützten Separatisten. Kleinere Gebietsgewinne seien durch russische Truppen auch nordwestlich von Awdijiwka beim Dorf Stepowe erzielt worden. Den ukrainischen Einheiten droht weiter eine Einkreisung. Die Garnison der stark zerstörten Stadt kann nur noch über einen schmalen Korridor von weniger als sieben Kilometern mit Nachschub versorgt werden. Die Ukraine wehrt seit über 21 Monaten eine russische Invasion ab.

Der Vorsitzende des EU-Militärausschusses in Brüssel, der österreichische General Robert Brieger, zog im Interview mit den “Oberösterreichischen Nachrichten” und den “Salzburger Nachrichten” (Montag) Zwischenbilanz über den Ukraine-Krieg: Dieser habe sich zu einem “Abnützungskrieg” entwickelt. “Es wird weiter Kämpfe mit großen Verlusten geben. Aber es sind keine großen Geländegewinne zu erwarten.” Wie es weitergehen könnte? Brieger: “Es könnte zu einem Waffenstillstand kommen, wo der Status quo eingefroren wird, um die Voraussetzungen für spätere Friedensverhandlungen zu schaffen. Das Positivste wäre eine (ukrainische) Gegenoffensive, die alle Gebiete rückerobert. Dafür stehen die Ressourcen derzeit nicht zur Verfügung. Man kann einen langen Krieg über Jahre nicht ausschließen.”

Laut Brieger hängt die Fähigkeit der Ukraine, ihre Souveränität wiederzuerlangen und das Land zu verteidigen, “im sehr großen Umfang von westlicher Unterstützung ab. Die westliche Gemeinschaft hat sich dazu verpflichtet, der Ukraine bei ihrem Existenzkampf zu helfen. Wenn diese politische Verpflichtung zu einem Erfolg führen soll, dann müssen weiterhin verstärkt Waffen geliefert werden.” Hierbei sei die Lieferung von Kampfjets ein “wichtiger Punkt”, so der oberste EU-Militärvertreter. Auch die ukrainische Generalität weise darauf hin, “dass für eine erfolgreiche Gegenoffensive auch die Luftüberlegenheit zumindest sektoral sichergestellt werden muss, und da könnten Kampfflugzeuge schon einen Vorteil ergeben.” Die Niederlande, Dänemark und das Nicht-EU-Land Norwegen haben der Ukraine Dutzende F-16-Flugzeuge zugesagt, sie wurden aber noch nicht geliefert.

Vor dem Hintergrund von Wahlen, Energiekrisen und illegaler Migration könne man nicht ausschließen, dass bei EU-Staaten Ermüdungserscheinungen auftreten, was die Unterstützung für die Ukraine betrifft. Daher “brauchen wir eine glaubwürdige Kommunikation, dass man den russischen Narrativen faktenbasierte Botschaften entgegenstellt und darüber informiert, dass es auch um die Sicherheit Europas geht.” Es sei jedenfalls “nicht hilfreich, wenn in (EU-)Mitgliedsstaaten die Unterstützung für die Ukraine infrage gestellt wird”.

Auf die Menschen der nur sechs Autostunden von Österreich entfernten Ukraine warte der zweite Kriegswinter. Laut einem UNO-Bericht seien mittlerweile rund 18 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer auf humanitäre Hilfe angewiesen. Darauf verwies am Montag die Hilfsorganisation Jugend Eine Welt in einer Aussendung. Es mangle an Nahrung, Wasser, Medikamenten, Unterkünften und Heizmaterial. Der beginnende Wintereinbruch verschlimmere die Situation.

“Stellen Sie sich vor, draußen schneit es, bei Ihnen in der Wohnung funktioniert die Heizung nicht, die Fenster sind aufgrund von Bombenangriffen nicht mehr dicht und Sie frieren in den eigenen vier Wänden. Für viele bei uns hier in Österreich ist so eine Situation undenkbar, für Millionen in der Ukraine leider wieder bitterkalte Realität”, beschrieb Jugend-Eine-Welt-Geschäftsführer Reinhard Heiserer die Lage. Seit Beginn der groß angelten russischen Invasion Ende Februar 2022 habe die Nothilfe von Jugend Eine Welt jeweils rund 10.000 Betroffene in der Ukraine sowie in der direkt angrenzenden Republik Moldau erreicht.