Von: APA/AFP/dpa
Mehr als drei Monate nach Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas ist die jüngste der von der islamistischen Palästinenserorganisation verschleppten Geiseln am Donnerstag ein Jahr alt geworden. “Wir denken jeden Tag, jede Sekunde, jede Minute an sie”, sagte Yossi Schneider über seine in den Gazastreifen verschleppte Familie – darunter das Baby Kfir Bibas. Derweil dauerten die heftigen Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der Hamas auch am Donnerstag an.
Bei ihrem Überfall am 7. Oktober hatte die Hamas die Geschwister Kfir und Ariel Bibas sowie deren Eltern Shiri und Yarden aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt. Die Bilder von ihrer Entführung sind in Israel zu einem der Symbole des Hamas-Großangriffs auf Israel geworden, bei dem die Islamisten mehr als 1.000 Menschen töteten und rund 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppten. Allein im Kibbuz Nir Oz wurde jeder vierte der insgesamt 400 Bewohner entweder getötet oder entführt.
Nach israelischen Angaben sind noch immer 132 Geiseln im Gazastreifen – darunter Kfir Bibas und sein vierjähriger Bruder Ariel. Die Angehörigen hoffen, dass das Baby und seine Familie noch am Leben sind. Die Hamas hatte Ende November erklärt, das Kind sei gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Israel bestätigte die Angaben nicht; derzeit wird bei 27 Geiseln vermutet, dass sie tot sind.
Nach einer Vermittlung Katars und Frankreichs waren am Mittwochabend Medikamente zur Versorgung der Hamas-Geiseln im Gazastreifen angekommen. Zeitgleich wurden auch humanitäre Hilfen für die palästinensische Zivilbevölkerung in das Palästinensergebiet gebracht, wie das Außenministerium von Katar mitteilte.
Die Medikamente sollen nach einem Verhältnis von 1 zu 1.000 verteilt werden. Demnach würden für jede Kiste mit Medikamenten, die für Geiseln in Hamas-Gewalt bestimmt sei, jeweils 1.000 solcher Kisten an die Bevölkerung verteilt. Das sagte ein Vertreter des Ägyptischen Roten Halbmonds am Donnerstag. Auch der Nachrichtensender Al-Jazeera berichtete, dass die Kisten nach diesem Verhältnis geliefert und verteilt würden. Insgesamt handle es sich um 60 Tonnen Arzneimittel und andere medizinische Güter.
Die Medizin-Lieferung kam am Mittwochabend im Gazastreifen an. Sie wurde zunächst nach Ägypten geflogen und von dort an den israelischen Grenzübergang Kerem Schalom zur Kontrolle gebracht. Ob die Geiseln in Gewalt der Hamas wirklich Medikamente erhalten werden oder in welchem Ausmaß, war zunächst unklar. Über die Medikamenten- und Hilfslieferungen war unter Vermittlung Katars und Frankreichs wochenlang verhandelt worden. Am Dienstag wurde eine Einigung zwischen Israel und der Hamas verkündet.
Am Mittwoch stellte die Hamas dann neue Bedingungen für die Lieferung der Medikamente. Voraussetzung sei, dass die Lastwagen mit den Arzneimitteln “ohne israelische Inspektion” in das Palästinensergebiet gelassen würden, erklärte Musa Abu Marzook vom Politbüro der Hamas auf X.
Der Krieg zwischen Israel und der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas dauert seit mehr als drei Monaten an. Als Reaktion auf den Überfall am 7. Oktober erklärte Israel der Hamas den Krieg und startete einen massiven Militäreinsatz im Gazastreifen. Nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dort seither mehr als 24.620 Menschen getötet.
Auch in der Nacht auf Donnerstag seien bei nächtlichen israelischen Luftangriffen 93 Menschen getötet worden, erklärte die Hamas. Allein 16 von ihnen seien in der südlichen Stadt Rafah getötet worden, erklärte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium. Auch in Khan Younis sowie weiteren Orten im Zentrum des Gazastreifens habe es massiven Beschuss gegeben, hieß es weiter.
Auf Aufnahmen war schwarzer Rauch über Khan Younis am Morgen nach den Luftangriffen zu sehen. In der zweitgrößten Stadt des Gazastreifens sollen sich nach israelischen Angaben führende Hamas-Vertreter und von ihnen verschleppte Geiseln aufhalten.
Bei einer “gezielten Razzia” im Süden von Khan Younis stießen die israelischen Streitkräfte nach eigenen Angaben auf ein Hauptquartier des “Südbataillons der Khan-Younis-Brigade der Hamas” mit zahlreichen Waffen und Geheimdienstdokumenten. Zudem seien bei heftigen Kämpfen “dutzende Terroristen ausgeschaltet” worden.
Während die israelische Armee im Gazastreifen weiter gegen die Hamas vorgeht, sieht Armeechef Herzi Halevi eine wachsende Kriegsgefahr im Norden des Landes. “Ich weiß nicht, wann der Krieg im Norden stattfinden wird”, hieß es in einer Erklärung Halevis, die am Mittwoch während seines Besuchs im Norden Israels verbreitet wurde. “Aber ich kann Ihnen sagen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es in den kommenden Monaten passiert, viel größer ist als in der Vergangenheit.”