Von: mk
Bozen – Ein Plädoyer für Europa der geteilten Souveränität und der Solidarität hielt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bei der Konferenz „Autonomie und Föderalismus”.
Mit einem Plädoyer für ein geeintes Europa, in dem die Mitgliedsländer sich die Souveränität teilen und sich solidarisch zur Seite stehen, sorgte der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker heute Mittag an der Freien Universität Bozen für den Höhepunkt der Konferenz zu „Autonomie und Föderalismus in Europa“. „Europa ist der Dialog zwischen Souveränität und Solidarität“, erklärte Juncker wörtlich. Die Europäische Kommission sei zu oft der Prügelknabe und werde für alles in die Verantwortung genommen, beklagte Juncker. Wenn etwas gut funktioniere, so sei es das Verdienst der einzelnen Staaten, wenn etwas schlecht funktioniere, liege die Schuld bei der Kommission. „Man kann aber nicht beim Nehmen Vollzeiteuropäer und beim Geben ein Teilzeit-Europäer sein“, so Juncker.
Der EU-Kommissionspräsident zeigte auf, wie notwendig die Zusammenarbeit der europäischen Länder sei: So könne kein Land allein Klimaschutz betreiben, Handelspolitik müsse global gedacht werden und eine gemeinsame Außenpolitik sei Europa dringend zu verordnen. Wie sinnvoll es sei, Souveränität zu teilen, zeige der Erfolg der gemeinsamen Währung: „Der Euro hat Ordnung in die europäische Finanzpolitik gebracht. Eine Rückkehr zu nationalen Währungen wäre eine Katastrophe“, zeigte sich Juncker überzeugt.
Neben der geteilten Souveränität bezeichnete Juncker die Solidarität als zweite Grundlage der Europäischen Union und nahm dabei vor allem auf die Flüchtlingsfrage Bezug, in der man Griechenland und Italien nicht allein lassen dürfe. „Italien unternimmt enorme Anstrengungen, da ist Solidarität notwendig.“ Aber auch bei der Verteilung der Finanzmittel müsse die Solidarität Richtschnur sein.
Neben der Solidarität mahnte Juncker auch zu Bescheidenheit: „Europa ist der kleinste Kontinent. Mehr als 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung entsteht außerhalb Europas. Die Europäer machen heute elf Prozent der Weltbevölkerung aus und werden Ende des Jahrhunderts noch vier Prozent sein. Doch: Solange täglich 25.000 Kinder sterben, weil sie nichts zu essen haben, solange ist die EU mit ihren Aufgaben nicht am Ende.“
Solidarität und Subsidiarität seien beim Zusammenspiel der Staaten, Regionen und Kommunen gefragt. „Kleinstaaterei führt ins Abseits“, so Juncker. Der Kommissionspräsident bezeichnete die Europaregion als Modell und forderte: „Wir müssen den Wert der europäischen Einheit pflegen und bewahren.“
An diese Worte knüpfte Landeshauptmann Arno Kompatscher in seinen Abschlussworten an. Der Landeshauptmann bezeichnete Europa als kulturelle und wirtschaftliche Perspektive und Vision für Südtirol und wies auf die Brückenfunktion des Landes als „kleines Europa in Europa“ hin. „Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs, in der der Populismus leichtes Spiel hat“, so der Landeshauptmann. „Die Antwort auf diese Probleme sind nicht starke Nationalstaaten, sondern ein starkes Europa“, betonte abschließend Landeshauptmann Kompatscher, der Motor dazu können die Regionen sein.“ Südtirol sei dazu bereit.
Bizzo: „Junckers breites Blickfeld auf den Wert Europas“
„Der Besuch des Präsidenten des EU-Kommissionsvorsitzenden Jean-Claude Juncker in Bozen zeigt, dass die Entwicklung Südtirols in Europa als beispielhaft gesehen wird, und die Grundlage dieser gelungenen Geschichte von Frieden, Zusammenleben und Minderheitenschutz ist das Gruber-Degasperi-Abkommen.“ Mit diesen Worten kommentiert Landtagspräsident Roberto Bizzo die Teilnahme des EU-Kommissionsvorsitzenden an der Tagung zu „70 Jahre Pariser Vertrag“, die von der Freien Universität Bozen und dem Land Südtirol am Sitz der Universität ausgerichtet wurden.
„Das Hauptaugenmerk der sehr interessanten Tagung lag auf dem Schutz der deutschsprachigen Minderheit durch Pariser Vertrag und Sonderautonomie“, erklärt Bizzo, der aber auch anmerkt, „dass einerseits der Schutz der deutschsprachigen Minderheit sicher zur Autonomie für Trentino-Südtirol gehört, dass es aber eine zu enge und historisch nicht angemessene Sichtweise ist, wenn man die Autonomie – gerade nach dem europäischen Einigungsprozess und mitten im Zeitalter der Globalisierung – allein darauf reduziert. Die heutige Rede Junckers, der Degasperi als Europäer der ersten Stunde anerkannt und der den Wert von Subsidiarität und Solidarität im heutigen Europa unterstrichen hat, eröffnet uns ein breiteres Blickfeld.“
Besonders schätzt Bizzo, dass Juncker die Rolle der Regionen als Motor Europas hervorgehoben und dazu aufgerufen hat, die EU nicht als Hindernis oder Sündenbock zu sehen, sondern als Partner der Regionen und der Staaten, auch bei den aktuellen Herausforderungen wie Migration, Naturkatastrophen und Kriegen, die nicht allzu weit entfernt sind. „Ein Signal der Öffnung und Hilfsbereitschaft, das der Landtag, der oft auch mit der Umsetzung von EU-Normen durch Landesgesetze befasst ist, mit Genugtuung aufnimmt.“